Vor einem Monat hat Marion Lohoff-Börger, die Autorin unserer Gast-Kolumne „alles jovelino“, an dieser Stelle geschildert, warum sie sich für die Anerkennung von Masematte als UNESCO-Kulturerbe engagiert und welchen Widersprüchen sie dabei begegnet ist. Inzwischen hat sie den Antrag dafür beim Land NRW eingereicht und wurde diese Woche dafür von Oberbürgermeister Markus Lewe offiziell empfangen. Heute setzt sie ihre teilweise sehr persönlichen Schilderungen fort, vor allem den beschwerlichen Weg zu den erforderlichen Gutachten.
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Der gesamte Antrag Masematte als immaterielles Kulturerbe hat sich für mich durch das ganze Jahr 2021 gezogen. Und wie ihr euch sicher vorstellen könnt, habe ich Höhen und Tiefen durchlaufen. Seit dem 27.11. liegt der Antrag fristgerecht beim Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und Ende April 2022 bekomme ich Bescheid, ob er es eine Stufe höher zur Kultusministerkonferenz nach Berlin schafft. Von dort würde es dann nach Paris gehen … aber daran denken wir erst gar nicht.
Spannend wird es bei Projekten, wie auch allgemein im Leben, wenn wir auf die Fresse fallen und eigentlich nicht wieder aufstehen wollen. Bei meiner Suche nach zwei Verfasser*innen für Gutachten ist es mir so ergangen. Daran wäre der Antrag fast gescheitert. Als erstes fragte ich eine Frau, die sich vor langer Zeit mit der Masematte beschäftigt hatte, ob sie das erste Gutachten schreiben würde. Sie sagte spontan zu und ich freute mich und dachte in meinem Überschwang, wie leicht es doch wäre, jemanden zu finden. Sie kannte die Entwicklungen in den letzten 40 Jahren und schien mir ideal gewählt. Dann sechs Wochen vor dem Abgabetermin, also Mitte Oktober der Schock: Sie bekam kalte Füße und sagte mir ab. Man habe ihr davon abgeraten, dieses Gutachten zu schreiben, die Masematte sei doch tot und überhaupt sei die Masematte nicht geeignet Kulturerbe zu werden, weil sie ja gar nicht mehr nachweisbar sei und im Übrigen auch eine Sprache und die werden bekanntlich laut den Richtlinien grundsätzlich nicht anerkannt. Und es gebe doch die Internationale Gesellschaft für Sondersprachenforschung, die kümmere sich um solche Sachen… Die Seite igs.ms.de ist seit kurzem nicht mehr aufzurufen. Sie wurde von PD Dr. Klaus Siewert, von dem ich schon in meiner ersten Kolumne zu berichten wusste, betrieben. Soweit ihre Begründungen, die ich zunächst verdauen musste.
Gott sei Dank hatte ich Ende des Sommers bereits als zweite Gutachterin die Wissenschaftlerin Dr. Marta Lupica Spagnolo aus Berlin gefunden. Ein Freund von mir, der Historiker an der Uni Münster ist, gab mir den Tipp, sie zu fragen. Bei unserem ersten Gespräch per Zoom – sie arbeitet an der Uni Potsdam als Dozentin der Romanistik – wurde mir klar, warum sie absoluter Glücksgriff sein würde: Sie forscht über Migranten, die dort, wo sie sich niederlassen, aber nicht sonderlich willkommen sind, eine eigene Sprache entwickeln. Damit beschäftigt sie sich europaweit. Und: nichts anderes ist die Masematte, wenn wir sie von außen betrachten und ihre Ursprünge Mitte des 19. Jahrhunderts bedenken. Marta Lupica wirft einen sehr weiten und gleichzeitig tiefgreifenden Blick auf die Kulturform Masematte. Ich war so stolz, sie gefunden zu haben. Schon zwei Mal habe ich sie inzwischen nach Münster eingeladen, doch Corona und ihre hohen Arbeitsbelastungen in Potsdam ließen das bisher nicht zu. Sie versprach im kommenden Frühjahr zu kommen. Darauf freue ich mich jetzt schon.
Zurück zu meiner ersten Gutachterin. Was sollte ich machen? Wen könnte ich fragen? Wer ist geeignet und bodenständig genug? Ich wollte ein münstersches Urgestein für mein Gutachten! Mit vertieften Kenntnissen und der Fähigkeit ein Gutachten schreiben zu können, aber ohne kommerzielle Ambitionen. Hannes Demming von der Niederdeutschen Bühne und Autor stand auf meiner Liste. Aber auch Klaus Otto Nagorsnik, der allwissende Bibliothekar der Stadtbücherei. Diesen persönlich zu erreichen und zu sprechen war fast unmöglich. Beide unterstützten meine Bewerbung, winkten aber in der Funktion als Gutachter ab. Und, dass das ganze Unterfangen, ein Gutachten von 5000 Zeichen zu schreiben mal nicht so schnell gemacht wäre, das sah ich ein. Wenn auch traurig und vollkommen entmutigt.
Zu diesem Zeitpunkt wollte ich wirklich und tatsächlich aufgeben. Es fühlte sich schon so richtig gut an, alles einfach hinzuschmeißen. Wie viel Zeit würde ich in den nächsten Wochen haben! Und: Ja, wenn ich drüber nachdachte, die Masematte war wirklich halbtot! Ja, was wollte ich denn eigentlich? Wieso die ganze Arbeit noch? Ich wurde doch eh nicht ernstgenommen! Wer wollte das? Masematte als Kulturerbe der UNESCO? Was für eine blöde Wahnsinnsidee! Leide ich an Größenwahn? Die Zweifler und die, die mir massig Steine in den Weg legten, hatten also fast gewonnen.
Trotzalledem hatte ich mir an einem Montag Ende Oktober einen Tag freigeschaufelt, es war ein Montag, an dem ich noch einziges Mal alle, wirklich alle (!!!!!) anschreiben und anrufen wollte, die irgendwie im Entferntesten in Frage kämen, ein Gutachten zu schreiben. Die Villa ten Hompel, das Stadtmuseum, die Kulturwissenschaftler, die Historiker, Ethnologen, Soziologen… Ich nutze sogar entfernte Kontakte zum Leibnitz-Institut für deutsche Sprache. Ich hätte mir die Finger wund geschrieben, hätte ich das alles auf meinen alten Schreibmaschinen tippen müssen.
Und dann passierte wirklich ein Wunder: Ich hatte am späten Nachmittag dieses legendären Montags Dr. Markus Denkler am Telefon. Er arbeitet für die Kommission für Mundart- und Namensforschung des LWL. Er hätte da eine Idee, wer das Gutachten schreiben könnte, er würde sich melden. Na immerhin, dachte ich. Mein Ultimatum für das Auffinden einer Gutachterin war Ende Oktober, also am Ende der begonnenen Woche, danach würde ich definitiv aufgeben. Aber sowas von!!!!
Gleichzeitig meldete sich Prof. Dr. Spiekermann per Mail. Er ist Sprachwissenschaftler am Germanistischen Institut der Uni Münster. Er wolle mit mir am folgenden Tag telefonieren und die Sache erörtern. Jetzt war ich aufgeregt! Vielleicht würde es mir ja doch noch gelingen…
Das einstündige Telefonat mit Prof. Spiekermann war einer der wichtigsten Momente für mich persönlich in der gesamten Bewerbungszeit. Musste ich doch klar argumentieren und mein Faktenwissen heranziehen, meine aus vielfältigen Erfahrungen gewonnenen Vermutungen begründen, meine populärwisschenschaftlichen Erkenntnisse rechtfertigen und das Wissen um die Kriterien der UNESCO daraufhin anwenden. Das war wie eine mündliche Prüfung für mich. Ich fühlte mich wie im 1. Staatsexamen 1990.
Resultat: Ich glaube ich habe mit einer 3 minus bestanden (hurra!) und wir waren uns einig, dass ein Gutachten über die Masematte mit den derzeit rein wissenschaftlich generierten Fakten nicht zum Erfolg führen konnte.
Mein Kartenhaus wackelte also wieder. Aber dann, ja dann, kam die erlösende Mail von Maila Seiferheld, die meine zweite Gutachterin sein würde. Maila Seiferheld ist nicht nur die Inhaberin einer neuen Stelle für die Erforschung von westfälischen Regiolekten bei der Kommission für Mundart- und Namensforschung des LWL, also eine Mitarbeiterin von Herrn Denkler, sondern sie promoviert auch bei Prof. Dr. Spiekermann über … die Masematte!!!!! Bäm! Treffer! Der Kreis schließt sich! Sektkorkenknallerei an der Wolbecker Straße. Maila Seiferheld besuchte mich am Freitagnachmittag der besagten Woche meines selbstauferlegten Ultimatums in meinem Atelier und wir hatten viele, viele Themen und damit ein interessantes Gespräch über die Masematte und all die spannenden Dinge drumherum, was von meiner Seite aus bis in die Nacht hätte dauern dürfen.
Maila schrieb das zweite Gutachten im Namen der Kommission für Mundart- und Namensforschung des LWL, innerhalb von einer Woche!
Es war ein grandioses Gefühl! Jetzt hatte ich, die altbackene Feministin, die in den Achtzigern noch lila Latzhosen getragen hat, zwei junge aufstrebende Wissenschaftlerinnen als Gutachterinnen für die alte, verpönte und vermeintliche Männersprache Masematte gefunden.
Das Korrekturlesen meiner Texte für die Bewerbung erschien mir dann, wenn auch anstrengend und unendlich ermüdend, als ein Kinderspiel. Und als ich am 27.11. in meinem Atelier an der Wolbecker Straße saß und mit zwei läppischen Klicks mutterseelenallein meine beiden Mails an das Ministerium für Kultur und Wissenschaft schickte, kam mir das alles sehr unwirklich vor. Fakt: Ich hatte es aber tatsächlich geschafft, die Bewerbung, Masematte als immaterielles Kulturerbe auf den Weg zu bringen. Ömmes! Eigentlich wollte ich das am 5.12. mit allen Beteiligten im Torhaus des Stadtheimatbundes feiern, aber Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nun werde ich am kommenden Mittwoch dem OB Lewe den Antrag symbolisch im Papierform überreichen. Ist ja auch so eine Art Ausrufezeichen hinter dieser Mammutaktion. Das Fest holen wir im Frühjahr nach. Versprochen.
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