Mischung aus Geschmack und Befindlichkeit Jupiter Jones veröffentlichen neues Album „Die Sonne ist ein Zwergstern“

Jupiter-Jones-Frontmann Nicholas Müller im Interview. (Foto: Michael Wietholt)
Jupiter-Jones-Frontmann Nicholas Müller im Interview. (Foto: Michael Wietholt)

Pünktlich zum Erscheinen des Comeback-Albums „Die Sonne ist ein Zwergstern“ hat sich Jupiter-Jones-Frontmann und Bestsellerautor Nicholas Müller ein wenig Zeit für ein ausführliches Gespräch über vergangene Zeiten, neue Musik und Pläne für die Zukunft genommen. Es geht um Musik, Möbelhauseröffnungen, Neuanfänge und die wichtigen Dinge im Leben.

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Mitten in einer Pandemie eine Band neu- bzw. wiederzugründen ist sicherlich ein etwas gewagter Schritt, zumal die Entwicklungen im Live-Business damals wie heute nur schwierig einzuschätzen sind. Was hat euch bewogen, trotz aller Widrigkeiten nochmal einen Anlauf als Jupiter Jones zu wagen?

Du hast vollkommen recht, das war gewagt. Dazu muss ich aber sagen, dass wir schon 2019 beschlossen haben, dass es weitergehen soll. Und dann hatten wir ganz hehre Pläne für 2020 [lacht]. Wir haben um Ostern 2019 herum zusammengesessen, bei unserem Gitarristen Sascha am Tisch gesessen und uns ausgesprochen. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon seit fünf Jahren quasi nicht mehr in Kontakt, haben dann erstmal die letzten fünf Jahre Revue passieren lassen und dann irgendwie überlegt, dass es doch mal an der Zeit wäre, das wieder aufleben zu lassen. Dann hatten wir Anfang 2020 fantastische Pläne für den Herbst 2022, nämlich: Wir kommen zurück, wir schreiben wieder Songs – das zumindest haben wir auch gemacht – und dann spielen wir zum ersten Mal live auf dem Reeperbahn-Festival – das war schon gebucht und alles, so ein richtiges Knaller-Comeback – und dann kam der März 2020. Und den Teil der Geschichte kennen wir – glaube ich – alle. Es kam Corona und die Pläne waren alle über‘n Haufen.

Anfang 2021 oder Ende 2020, als dann klar wurde, dass das nicht nur ein neuer Schnupfen ist, haben wir dann trotzdem beschlossen, dass wir da rausgehen und den Menschen sagen, dass es uns wieder gibt, die neuen Songs präsentieren und so weiter. Es waren Jahre der fragwürdigen Entscheidungen, muss ich sagen: Wir haben dann nämlich beschlossen, dass wir auf dem Hausboot von Oli Schulz und Fynn Kliemann spielen [lacht]. Konnte da ja auch noch keiner ahnen, dass Fynn dann irgendwann zur Persona non grata wird. Alles in allem war es also ordentlich rumpelig, aber wir haben das gemacht, weil wir erstens mal das dringende Bedürfnis hatten – ne, wir können ja auch nichts anderes, das ist auch noch so‘n Punkt: Es war irgendwie völlig klar, dass wir beide für immer Musik machen werden – wir haben aber auch gemerkt, dass die Geschichte, wie wir sie irgendwann 2002 mal angefangen haben, überhaupt noch nicht zu Ende erzählt war. Das war so viel Fremdbestimmtes, so viel Unwegsames, was uns da von unserem Weg abgebracht hat, dass wir das unbedingt noch einmal versuchen wollten, weil wir auch echt gereift sind in der Zeit. Wir haben beide viel erlebt, sind beide Papa geworden in der Zeit, hatten beide unsere Hochs und Tiefs, unsere Schicksalsschläge, und alles in allem hat in der Summe total Sinn gemacht. Und deshalb gibt es uns jetzt wieder.

Jupiter Jones live bei einem Konzert im Gleis 22 in Münster. (Archivbild: Sonja Rohe)
Jupiter Jones live bei einem Konzert im Gleis 22 in Münster. (Archivbild: Sonja Rohe)

Deshalb auch die Entscheidung, unter dem altem Namen weiterzumachen und nicht als neues Projekt?

Genau, das wäre sonst auch Quatsch gewesen. Wir haben ja irgendwie nur zwei Abfahrten gehabt: Das eine war Vollgas, lass uns machen und Jupiter Jones sein – egal, wer da mitmacht, weil wir beiden sowieso immer die Songs geschrieben haben. Die andere war eine Zukunft bei Möbelhauseröffnungen, wo wir dann hinfahren und Modern-Talking-mäßig dreimal hintereinander „Still“ spielen in verschiedenen Versionen und dann wieder nach Hause fahren.

Und wir wollten einfach wieder eine Band sein, die Band war eine Kopfgeburt von Sascha und mir, wir haben 2002 zusammen besoffen auf einer Gartenbank gesessen und haben gesagt: „Ey, wir müssen unbedingt eine Band sein!“ Und an dem Gedanken hat sich tatsächlich in den 20 Jahren nichts geändert. Und deshalb: Jupiter Jones.

Die Arbeitsweise war vermutlich dank zeitweiser Coronabeschränkungen und räumlicher Distanz auch nicht einfach. Wie seid ihr vorgegangen, um trotzdem stimmige Songs zu erarbeiten und das Ganze dann auch noch aufzunehmen?

So ein bisschen hat das schon daran erinnert, wie wir das auch bei den letzten beiden Platten gemacht haben. Zu dem Zeitpunkt hat Sascha schon in Hamburg gewohnt und ich überall so ein bisschen. Seit 13 Jahren bin ich jetzt in Münster. Das heißt, wir haben uns viele Ideen per E-Mail hin und her gespielt und haben das Internet zu unseren Gunsten genutzt. Tatsächlich hätten wir aber gerne viel, viel mehr Zeit zusammen verbracht. Gerade die ersten paar Monate. Ich weiß noch, dass ich auf halblegalen Wegen dann Schnelltests besorgt habe, als die noch 250 Euro für 20 Stück gekostet haben, damit wir uns auch mit unseren Freund*innen zusammen treffen konnten, mit denen wir zusammen Musik machen, also mit unserer Band quasi. Der größte Teil ist aber tatsächlich zwischen Sascha und mir entstanden. Unser Keyboarder Alex war auch noch oft im Studio, das ist auch der einzige in dieser Konstellation, der wirklich musiktheoretisches Fachwissen hat.

Während Sascha und ich so ein bisschen nach „Trial and Error“-Prinzip arbeiten, ist Alex dann derjenige, der da sitzt und nach vier missglückten Versuchen sagt: „Also, was ich gelernt habe, ist Folgendes: Wir könnten das mal so und so versuchen…“. Am Ende war es aber viel virtuelles Gedöns und am Ende, wann immer wir konnten, ein Zusammentreffen in Hamburg im Studio – und dann war es schon fast klassisches Songwriting. Sascha die Musik, ich den Text, dann gucken, ob das übereinander passt, wenn‘s passt: aufnehmen. Das hat aber den Produktionsprozess total beeinflusst. Wir haben die Platte wirklich über die letzten zweieinhalb Jahre aufgenommen. Das war schon krass. Normalerweise schreibst du eine Platte fertig, gehst dann vier Wochen ins Studio und ab Woche drei wirst du nervös, dass die Zeit nicht mehr reicht. Wir haben dieses Mal aber wirklich ganz, ganz viel Zeit gehabt um alles fertig zu machen. Ist auch nicht immer gut, weil man dann oft zu viel wieder infrage stellt, aber es hat geklappt.

Die zweite Hälfte von Jupiter Jones: Gitarrist Sascha Eigner. (Archivbild: Sonja Rohe)
Die zweite Hälfte von Jupiter Jones: Gitarrist Sascha Eigner. (Archivbild: Sonja Rohe)

Seit eurer Wiedervereinigung seid ihr nur noch zu zweit, Sascha an der Gitarre und du an Gesang und Gitarre. Habt ihr euch auch im Studio zu zweit durchgeschlagen oder habt ihr euch Verstärkung an den anderen Instrumenten geholt?

Ja, beim Songwriting zu zweit bzw. zu dritt. Aber wenn es dann um die ganzen Arrangements ging, haben wir uns schon auf die ganzen Freundinnen und Freunde verlassen, die wir so in der Band haben. Spätestens am Schlagzeug sind wir sowieso maßlos überfordert, das ist ja doch ein ganz anderes Gewerk. Ich kann dir bestenfalls gerne eine Dreiviertelstunde lang einen Standardrhythmus durchtrommeln, aber der ist in den seltensten Fällen songdienlich.

Wird es auf Dauer wieder eine feste Besetzung geben oder eher wechselnde Live-Begleiter?

Sowohl als auch. Wir haben eine Stammbesetzung, davon gibt es auch Fotos und alles. Es ist nicht so, dass wir ständig wechselndes Personal hätten – und wir sehen das auch gar nicht als Personal. Das sind alles Leute, die wir von Hand ausgesucht haben und bei denen wir uns sicher waren, dass das gut zusammen klappt. Die spielen aber natürlich auch alle in 3, 4, 5 Bands, dann haben die zwischendurch auch alle Projekte und werden gebucht. Das ist ein großer Segen und das sollen die auch so machen, aber deswegen gibt es hier und da mal leichte Besetzungswechsel. Wir werden zum Beispiel im Januar zwei Shows mit der Schlagzeugerin aus der anderen Band unserer Bassistin spielen. Es ist also nicht so, dass wir bei eBay Kleinanzeigen nach einer Schlagzeugerin gesucht haben, sondern es ist alles intern sehr gut geregelt.

Man hilft sich also unter Freunden?

Genau so ist es!

Ist Jupiter Jones für euch beide wieder „Full Time Business“ oder habt ihr euch inzwischen weitere Standbeine zugelegt?

Auch hier: sowohl als auch. Es ist eigentlich ein Full-Time-Business. Was aber auch in großen und weiten Teilen daran liegt, dass wir beschlossen haben, unser eigenes Label zu sein. Wir sind irgendwann davon abgekehrt, nach Labels zu suchen, und haben uns gesagt: Das kriegen wir auch selber hin, wir haben immerhin 20 Jahre Erfahrung. Also: Prima. Machen wir. Unser eigenes Label „Matildas und Titus‘“ gab‘s auch immer, aber wenn du eine Platte auf Major-Niveau veröffentlichen willst, guckst du da noch ganz anders drauf, auch auf Charts und so Dinge, weil die aus irgendeinem Grund immer noch wichtig sind. Du möchtest alles so professionell wie möglich lösen. Dann ist aber natürlich die Besetzung, in der wir unterwegs sind, nämlich Sascha, unser Gitarrist, unser Manager Böde – auch hier aus Münster! – und ich, also zu dritt, schon ein bisschen wenig. Dementsprechend wurde aus einem Full-Time-Job quasi ein Double-Full-Time-Job. Der Tag könnte ruhig 48 Stunden haben, dann würden wir auch alle ausreichend Schlaf bekommen. Auf der anderen Seite ist aber auch schön und gut so wie es ist, so selbstbestimmt zu sein und alle Details bis hin zur Farbe des Vinyls und den Extras in der Deluxe-Box selbst bestimmen zu können. Das ist dann auch viel mehr Fan-orientiert und man produziert keinen Mist, den nachher keiner haben will.

Bei dir privat hat sich in den letzten Jahren eine Menge getan. Du erwähntest bereits, du bist zum Beispiel Vater geworden. Seit deinem krankheitsbedingten Ausstieg bei Jupiter Jones 2014 hast du dich um deine Gesundheit gekümmert, einen Bestseller geschrieben, in dem du deine Angststörung thematisierst und dich gemeinsam mit Tobias Schmitz als „von Brücken“ wieder auf die Bühne gewagt. Wie hat diese Phase deinen Umgang mit Musik und deren Stellenwert für dich beeinflusst?

Bestseller Sachbuch! Das muss man dazu sagen. Also ich habe nicht gegen Dan Brown angestunken, sondern im schlimmsten Fall gegen Attila Hildmann. Aber tatsächlich hat sich am Stellenwert für Musik nie irgendetwas bei mir geändert. Das klingt jetzt nach einer total romantisierten Antwort, von wegen: Ich wusste von Anfang an, dass das mein Job sein soll… – Ne, wusste ich eben nicht. Ich habe zwei Ausbildungen angefangen und abgebrochen, ich habe mein Abi abgebrochen, weil ich mir dachte: Egal, was es zu studieren gibt, das ist alles nichts für mich. Nach all den Jahren und nach all der Zeit ist das Einzige, was ich weiß, dass – egal was ich mache – es irgendwie was mit Musik zu tun haben muss. Auf der einen Seite ist das Pragmatismus, weil ich sonst auch echt nichts kann. Also alles, was mit Musik zu tun hat: ok, cool! Alles. was darüber hinaus geht: Nehmt mir bitte die Säge, den Hammer, sonst irgendwas ab, es wird nicht funktionieren! Wobei ich zuhause schon die ein oder andere Sache installiert habe, das muss man auch dazu sagen, ganz so lebensfremd bin ich auch nicht.

Ne, es hat mich zwischendrin maßlos frustriert, ich habe zwischendrin das ganze System infrage gestellt, um dann irgendwann festzustellen, dass ja niemand gesagt hat, dass ich Teil dieses Systems sein muss. Ich muss nicht morgens wach werden und Angstschweiß auf der Stirn haben, weil jetzt der Streaming-Markt dominiert und wir eigentlich keine Streaming-Band sind. Es ist ok. Solange ich meine Miete bezahlen kann, solange ich irgendwie in der Lage bin, mein Kind zu ernähren, mich selbst zu ernähren und in einer Wohnung zu wohnen, die nicht wie ein japanisches Waben-Hotel aussieht, bin ich glücklich und zufrieden. Ich habe es aufgegeben, irgendwann reich zu werden – also wenn jemand kommt und mich reich macht: Bitte, lass kommen! – aber nicht um den Preis meiner geistigen Gesundheit. Es gibt keine Emotion in meinem Leben, die sich nicht durch Musik ausdrücken ließe, und das sagt mir eigentlich alles. Wenn das nicht so wäre, würde ich mir Gedanken machen. Aber es ist einfach so: ob es Wut ist, ob es Liebe ist, ob es Freude ist, ob es Trauer ist – es gibt für jede Situation, für jede Emotion einen Song. Und das sagt mir, dass das wahrscheinlich der Weg ist, den ich nehmen sollte.

Mittlerweile – und da bin ich sehr dankbar – darf ich Dozent sein an verschiedenen Stellen, ich arbeite in Mannheim an der Pop-Akademie, ich arbeite für den Deutschen Musikrat beim Pop-Camp, ich arbeite für die Hochschule Hamburg beim Pop-Kurs. Das sind noch so ein paar Standbeine, damit finanzierst du weder die Miete noch deinen Lebensunterhalt in irgendeiner Form, aber es ist schön, das zu haben. Aber auch all das ist Musik, egal was ich mache, irgendwie läuft es immer auf Musik raus. Selbst wenn ich ein Buch schreibe, was ich mir auch für die Zukunft vorstellen könnte, ist das gespickt mit Pop-Zitaten, mit Song-Zitaten, mit Text-Schnipseln. Menschen, die mich kennen, merken glaube ich, dass sich das liest, wie ein Songtext. Und deswegen: Es ist gut, wie es ist. Wenn es das in einer Festanstellung gäbe, so mit Sozialleistungen, das wäre fantastisch!

Nicholas Müller (re.) und Sascha Eigner sind Jupiter Jones. (Foto: Promo / ass concerts)
Nicholas Müller (re.) und Sascha Eigner sind Jupiter Jones. (Foto: Promo / ass concerts)

Das neue Jupiter-Jones-Album „Die Sonne ist ein Zwergstern“ klingt immer noch typisch nach Jupiter Jones, wirkt aber insgesamt etwas gereifter und gelassener, ich nenne es mal „gut abgehangener Indie-Poprock“. Habt ihr musikalisch vorher einen festen Kurs festgelegt oder einfach erstmal die Ideen auf euch zukommen lassen?

Oh, das finde ich gut, da kann ich sehr gut mit leben. Ne, auch das ist keine Mär und keine romantisierte Version unserer Wahrheit, der Punkt ist ja: Wir sind beide völlige Honks, wenn es darum geht, musiktheoretisch zu werden. Und deswegen ist es für uns auch wahnsinnig schwierig, einen Kurs oder eine Route festzulegen, weil wir gar nicht wissen, wie man den navigiert. Die ganze Platte ist eine Mischung aus Geschmack und Befindlichkeit. Befindlichkeit in dem Fall im besten Wortsinn, wir haben also gelernt, uns auf das zu fokussieren, was am Ende, auch wenn alles irgendwie die Wupper runtergeht, wichtig ist. Und das hatten wir eine Zeitlang während Corona, wir haben uns das ganze Geschehen angeschaut und gedacht: Weiß der Geier, ob das überhaupt nochmal jemals ein Beruf wird. Und dann ist es die Gesundheit, das eigene Tempo, die Familie, mit sich selbst in Frieden und zufrieden sein. Und auf der anderen Seite haben wir beide natürlich auch über die Jahre unsere Geschmäcker verändert. Einen Großteil der Bands – auch wenn ich es mir wünschen würde, weil ich so gerne so oldschool bin – die wir vor zwanzig Jahren gehört haben, die höre ich zum Beispiel nicht mehr.

Ich habe da immer noch nostalgische Momente, ganz viele von denen habe ich mir trotzdem bewahrt und behalten, aber vieles hat auch nicht mehr den Stellenwert wie früher. Dafür gibt es neue Musik und neue Künstler*innen, die wir toll finden. Am Ende ist es dann eine Schnittmenge aus Saschas und meinem Geschmack. Sascha ist sehr viel in diesem Eighties-Ding unterwegs – ich will nicht „gefangen“ sagen, aber die ganze Ästhetik ist schon seins und ich bin immer weiter von diesem Zugänglichen zu eher verschrobenem Kram gewandert, und ich glaube, ein bisschen hört man beides. Auf der einen Seite ist es super catchy, auf der anderen Seite ist es aber auch so ein bisschen eine Verweigerungshaltung. Ich glaube, die Schnittmenge macht‘s am Ende.

Für alle, die erstmal auf Wikipedia nachschauen mussten, ob die Sonne wirklich ein Zwergstern ist (ist sie!): Wie seid ihr auf den Albumtitel gekommen?

Über Wikipedia! [Lacht] Ne, Quatsch, also – kein Quatsch. Tatsächlich schreibe ich manchmal Artikel, nachdem ich die „Random article“-Funktion bei Wikipedia bemüht habe. „Oh, Philia!“ ist zum Beispiel so entstanden. Ich hab da drauf gedrückt, und dann kam ein Artikel über Philia, die Liebe unter den Menschen, und dann habe ich das als Thema genommen. Das ist die gleiche wirre Art und Weise, wie jeder meiner Texte entsteht. Es ist immer irgendein Impuls, irgendein Einfluss aus dem Alltag, und in dem Fall war es ein Video von Neil deGrasse Tyson – der Popkünstler unter den Astrophysikern – der in irgendeinem Beitrag auf Instagram gesagt hat: Naja, die Sonne ist halt ein Zwergstern. Und dann ging es halt um die ganzen Gasriesen, die verschiedenen Formen von Planeten und Himmelskörpern, und dann habe ich mir das angehört und gedacht: Ok, die Sonne ist ein Zwergstern. Aber wir sitzen ja auf dem noch viel kleineren Planeten und verlassen uns darauf, dass die uns am Leben hält. Wenn die irgendwann explodiert, sind wir echt alle sofort über‘n Jordan! Da gibt‘s keine Frage, kein Vertun – wenn die Sonne weg ist, sind wir auch weg.

Aber die ist in diesem ganzen Gespinst von Universum trotzdem ein Zwergstern und zählt zu den kleinen Apparillos. Was sagt denn das eigentlich über uns aus? Sollten wir uns nicht alle kurz einmal berappeln und das als Trost sehen? Wenn die Sonne ein Zwergstern ist, dann sind unsere Probleme auf keinen Fall groß genug, um uns so dolle damit umzutreiben. Und auf der anderen Seiten können wir uns auch selber einmal das große Maul verbieten, denn im Universum sind wir ein Furz im Wind. Es ist gleichzeitig beängstigend und schön, denn was willst du noch großartig erledigen, wenn du im Gefüge des Universums ein derart kleines Partikelchen bist?

Nicholas Müller über vergangene Zeiten, neue Musik und Pläne für die Zukunft. (Foto: Michael Wietholt)
Nicholas Müller über vergangene Zeiten, neue Musik und Pläne für die Zukunft. (Foto: Michael Wietholt)

Musik entsteht ja bekanntlich nicht im luftleeren Raum. Gibt es Künstler oder Bands, die euch beim Songwriting für die neue Platte besonders inspiriert oder beeinflusst haben?

Ich kann ja nur für Sascha sprechen und ich hoffe, ich mache nichts falsch, aber er ist ein großer Fan von The 1975 und solchen Geschichten. Bei mir ist es schon seit Jahren nahtlos von Peter Gabriel zu Bon Iver übergegangen, und bei Bon Iver sehe ich mehr Nachhaltigkeit, weil Peter Gabriel mir auf den Keks geht mit seinem „Ich bringe jetzt 17 Jahre lang kein Album raus, bringe dann aber nächstes Jahr ein Album raus und verrat‘s keinem“ und so. Bei mir ist es also eine Mischung aus Bon Iver – die ganze Band ist für mich ein Inbegriff von Perfektion, aber Perfektion auf die richtigste Art und Weise. Die machen‘s halt, die sind perfekt, ohne perfekt sein zu wollen, und das ist toll – und dann aktuell und seit Jahren wieder viel End-Neunziger und Anfang-Zweitausender Emo und alles, was danach kam. Also Sachen wie Pop Unknown und The Jazz June, Bands, die wahrscheinlich Dreiviertel der Leser*innen nicht mehr kennen, weil es damals schon sehr spartig war. Viel verschwurbelte Musik also, die sicherlich auch, wenn sich ein Psychotherapeut da dran setzt, eine Diagnose hervorbringt [lacht].

Die Albumproduktion ist durch Crowdfunding finanziert worden. Wie hat es sich angefühlt, einen deutlich selbstbestimmteren Weg zu gehen und eine Finanzierung durch die Fans und nicht durch eine Plattenfirma zu wählen? Gab es auch Zweifel am Konzept?

Die ganze Idee ist ja aus einem Zweifel entstanden. Nämlich aus dem Zweifel an der Industrie und an Verträgen. Und ich denke, es ist auch ganz ok, an dieser Industrie zu zweifeln. Es käme fast einer Hybris gleich, hätten wir gedacht: Das klappt auf jeden Fall. Uns ist schon der Arsch auf Grundeis gegangen, weil uns auch klar war, dass all das, was wir vorhaben, die Deluxe-Box und so – ich muss da keine Werbung mehr für machen, die ist halt schon verkauft, die steckt schon voll mit hochwertigem Kram – wenn wir das so machen wollen, wir auch eine gewisse Zahl an Kohle und auch an Supportern brauchen. Wir hatten dann das große Glück, dass es über das Ziel hinausgeschossen ist, was wahnsinnig toll war und eine Bestätigung – aber sicher waren und sind wir uns zu keinem Zeitpunkt. Aber ich glaube, dass wenn du dir gerade in solchen Zeiten, gerade in diesem Business, dir deiner Sache zu sicher wirst, dann hast du nur zwei Optionen. Entweder, du bist echt ein Arsch oder du kannst jederzeit so schlimm auf die Schnauze fallen – ich weiß nicht, ob du das so reinschreiben kannst, ersetze das gerne durch andere Kraftausdrücke – dass du dir alleine deswegen schon Sorgen machen solltest. Wir sollten uns alle nicht sicher sein, das ist schon ok so.

Wenn du nur einen einzigen Song hättest, um jemandem vom Album zu überzeugen: Welchen würdest du auflegen?

Boah, das ist eine richtig miese Frage, da muss ich erstmal überlegen, welchen hat Sascha geschrieben, welchen ich [lacht]. Nein, ich glaube, gerade jetzt haben wir das Video zu „Bleibt zusammen“ rausgebracht, daran ist eigentlich alles unpopulär. Das Video haben wir so guerillamäßig gedreht mit Freunden von uns, die gerade Zeit und Bock hatten, im kleinen Bühnenboden hier in Münster, die uns das kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Alles wirklich so ein bisschen „Nacht und Nebel“. Das hat so gut geklappt, dass mir dieser Song noch viel, viel doller auf den Schirm gekommen ist. Auch das Thema, es geht darum, dass Menschen sich trennen sollten, wenn es an der Zeit ist. Wir leben auf einer Welt mit acht Milliarden Menschen und der wirre Gedanke, dass du nie wieder jemanden findest, ist halt einfach genau das: ein wirklich ein wirrer Gedanke. Ist aber trotzdem kein Thema, das gerne angesprochen wird. Das plus die Musik macht, dass ich diesen Song jetzt in kürzester Zeit so lieb gewonnen habe. Ob der jetzt wirklich repräsentativ für die Band und die Platte ist, das weiß der liebe Gott, aber ich würde den wahrscheinlich wählen.

Als ersten Vorboten des Albums gab es im letzten Jahr ein sehr sehenswertes Video zu „Der wichtigste Finger einer Faust“. Das Schultheaterbühnensetting erschließt sich ja schon aus dem Inhalt – wie seid ihr ausgerechnet auf Atze Schröder als Darsteller gekommen?

Wir haben einen gemeinsamen Freund, nämlich Leon Windscheid, der hat einen Podcast mit Atze zusammen. Wann immer es bei Leon um das Thema Angst ging (Nicholas hat ein Buch über Angststörungen geschrieben, den oben erwähnten Bestseller, Anm. d. Red.) war ich offensichtlich ein gern gesehener Gast. Er macht ja diese ganzen Psychologie-Geschichten. Und irgendwann hatte ich dann die große Ehre, der erste Gast im „Betreuten Fühlen“ zu sein, dem gemeinsamen Podcast von Atze und Leon. Daher hatte ich Atzes Nummer, das war vielleicht sein Verhängnis. Irgendwann hatte ich ihm dann eine Sprachnachricht geschickt und gesagt: „Ey, Diggi, Folgendes: Wir würden hier gern ein Musikvideo drehen. Du wärst Chevy Chase in dem Ding, ich weiß nicht, ob du das gut oder schlecht findest. Es geht quasi um einen Nachdreh von „You can call me Al“ von Paul Simon. Guck‘s dir mal an, sag mir, ob du Bock hast.“ Drei Minuten später hatte ich eine Antwort: „Ja, mach ich.“

Das war geil und das Schönste an dieser ganzen Aktion war, dass er ein unfassbar netter Mensch ist, ich mag ihn sehr gerne. Er ist dann in dieser alten Gesamtschule in Hamburg aufgetaucht, wo wir gedreht haben, und kommt dahin als Atze Schröder, hat aber weder Brille noch Perücke dabei. Er muss also einmal quer durch Hamburg gurken, um sowohl seine Brille als auch seine Perücke abzuholen und hat das völlig ohne zu murren gemacht und wollte noch nicht mal Gage, sondern hat uns gebeten, dass wir das irgendwann einem guten Zweck zukommen lassen. Besser hätte so ein Videodreh nicht laufen können.

Nicht nur im Internet, auch live soll es wieder rund gehen: Zum neuen Album wird es auch eine Tour geben, die ganz bewusst vor allem in kleinen Clubs stattfindet (13.5. in Münster). Dient das allein der besseren Kalkulierbarkeit in schwierigen Zeiten oder ist es eher der Wunsch, wieder „wie früher“ in kleinen Läden mit schweißtropfender Decke alles zu geben?

Alles, was wir bisher live gespielt haben – da waren viele Festivals dabei, was uns sehr geholfen hat – lief ja am Ende darauf hinaus, dass die ganzen Clubshows so super-spezielle Sachen waren. Wir spielen unser Comeback-Konzert zwei Jahre zu spät in der Live Music Hall in Köln, oder wir spielen auf dem 10-Jährigen von Hi! Spencer aus Osnabrück und so. Das waren bisher so unsere Clubshows. Deswegen war es schon ein Wunsch, das Herauskommen der neuen Platte mit so einer richtig muckeligen, verschwitzten Tour zu spielen. Das Einzige, was wir anders machen als früher, ist, dass tatsächlich unser Equipment ziemlich sicher funktioniert und wir danach im Hotel schlafen und nicht auf der Bühne selber. Aber davon abgesehen ist eigentlich alles wie früher. Darüber hinaus spielen wir aber auch im Mai eine Tour, unter anderem am 13.5. auch hier in Münster, und gehen dann schon auf so eine richtig echte, aber auch Club-Tour.

Abgesehen davon können wir es uns auch gar nicht leisten, uns in der Halle Münsterland einzumieten, das wäre totaler Quatsch, und auf der anderen Seite fühlt sich das auch gut an. Das allererste Mal, als wir wieder gespielt haben, standen wir draußen bei frierender Kälte vor solchen Parzellen, die durch Bauzäune abgetrennt waren – wegen Corona – wo Menschen dann, sobald die aufgestanden sind und sich von ihrem Sitz weg bewegt haben, von den Securitys zurückgetadelt wurden. Es wird echt Zeit, sich noch mal eine hundsnormale Erklältung in einem viel zu doll besetzten Club einzufangen. Das wird schön.

Wie sehen eure Pläne für die Zeit nach der Tour aus? Direkt auf der Bühne bleiben und den Festivalsommer mitnehmen oder eher wieder an neuem Material arbeiten? Jupiter Jones

Sowohl als auch. Also ja, natürlich einen Festival-Sommer spielen, das ist ja ungefähr so, als würdest du einen Bäcker fragen, ob der morgen Bock hat, Brötchen zu backen. Also ja, wenn das klappen würde, das wäre schon toll. Aber Pläne darüber hinaus: Noch keine echten. Wir sind ja dieses Jahr 20 geworden, 2002 war Bandgründung im Oktober, und wir konnten das noch nicht so richtig feiern, weil jetzt gerade unsere Platte rauskommt. Man kann das natürlich als Geburtstagsgeschenk an uns sehen, aber wir hätten schon noch gerne ein Geschenk an alle anderen. Es gilt also noch, diesen Zwanzigsten zu zelebrieren, da gibt es auch Pläne. Und der Rest ist ehrlich gesagt Daily Business: Shows spielen, Festivals spielen, Lieder schreiben, Platten rausbringen. Ich sehe mich jetzt nicht bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ oder so, Gott behüte! Wahrscheinlich nach drei Tagen tot. Alles, was wir ab hier machen, ist total normaler Band-Kram.

Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit dem Release und der Tour!

Sehr gerne, nichts lieber als das!

Jupiter Jones: Die Sonne ist ein Zwergstern | Album und Tickets zur Tour: https://jupiterjones-shop.de/

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