Ich treffe Jürgen Flenker im Café Garbo an der Warendorfer Straße. Das Café ist dem Cinema mit seinem Programmkino angeschlossen und ein gemütlicher Rückzugsort. Durch die großen Fenster können wir die Radfahrer beobachten, aber an diesem trüben Sonntag sind es nicht allzu viele. Eigentlich ist das Café Garbo am Wochenende immer gut gefüllt, aber wir sind nicht allzu spät und konnten noch einen Tisch ergattern. Ich bestelle einen Milchkaffee, weil der hier in der Jumbotasse kommt, Jürgen einen Cappuccino.
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Du kommst gerade aus dem Kino, richtig?
Das stimmt. Was gibt es Schöneres, als einen Film, den man angeschaut hat, bei Kaffee oder Bier noch einmal rundzuquatschen? Ich gehe gerne in die Sonntagsmatinee, danach ist eigentlich immer noch ein schwarzer Tee oder Cappuccino angesagt. Abends trinke ich sonst auch gerne einmal ein leckeres Pils.
Jürgen, wann hast Du eigentlich angefangen, Gedichte zu schreiben?
Ernsthaft erst während meines Germanistikstudiums, als ich anfing, mich intensiv mit Lyrik zu beschäftigen. Erste Gehversuche gab aber schon früher – aber das waren eher Songtexte, an denen ich mich in Verehrung von Liedermachern oder Rockpoeten versuchte. Künstler wie Franz-Josef Degenhardt und Hannes Wader, aber vor allem auch Bob Dylan und Leonhard Cohen haben mir damals eine Tür geöffnet.
Welche Bedeutung hat Poesie für Dich heute? Sie wird ja oft totgesagt …
Poesie ist heute, das kann ich ganz ohne Pathos sagen, ein Teil meines Lebens. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht – sei es lesend oder schreibend – mit Lyrik beschäftige. Ich wünschte, mehr Menschen würden das tun. Du hast natürlich Recht, in der allgemeinen Wahrnehmung gelten Gedichte, zumal moderne, als schwierig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich jedoch lohnt, sich diesen Schwierigkeiten zu stellen. Wer will denn immer nur leichte Kost? Ein Gedicht kann, da bin ich mir sicher, den Tag retten.
Wie das?
Manchmal ist es nur ein gelungenes Bild oder ein treffendes Wort, das mir beim Lesen eines Gedichtes ins Auge fällt. Da denke ich dann oft, das hätte ich gerne selbst geschrieben. Ich glaube, ein gutes Gedicht kann unsere Seh- und Denkgewohnheiten ändern oder doch zumindest in Frage stellen. Es ist eine Möglichkeit, sich der Wirklichkeit auf eine neue, jedenfalls nicht alltägliche Weise zu nähern. Diese Erfahrung finde ich spannend, und sie kann einen im besten Fall sogar glücklich machen.
Was inspiriert Dich dazu, Lyrik zu schreiben?
Eigentlich gibt es da kaum Grenzen. Da ich sehr viel Lyrik lese, liegt schon mal hier, also im Lesen selbst, eine wichtige Inspirationsquelle. Aber auch Filme, Zeitungsartikel, Gespräche können Schreibimpulse geben. Manchmal reicht dafür schon ein einziges Wort aus. Überhaupt bin ich eher ein Wortspieler, also jemand, der sich von der Sprache selbst inspirieren lässt und weniger ein Bildermensch.
Jüngst hast Du mit Deinem Gedicht „Phrasenwälder (ein heimweg)“ den Landschreiber-Wettbewerb des Münsteraner Sprachwissenschaftlers Klaus Siewert in der Kategorie „Lyrik“ gewonnen. Welche Bedeutung hat der Preis für Dich?
Der Preis ist natürlich eine schöne Anerkennung für mein lyrisches Schreiben allgemein, auch wenn er in diesem Fall nur einem Text gilt. Außerdem tragen solche Wettbewerbe dazu bei, etwas Öffentlichkeit für das Schattenwesen Lyrik zu herzustellen.
Hast Du Klaus Siewert auch mal persönlich getroffen?
Nein, bisher noch nicht. Gelegenheit dazu sich aber spätestens im April ergeben. Der Preis ist nämlich mit einem einwöchigen Schreibaufenthalt in Neuharlingersiel an der Nordsee verbunden. Dort werden sich die Preisträger treffen, und in diesem Rahmen wird auch eine öffentliche Lesung mit Preisverleihung stattfinden.
Du bist im Münsterland aufgewachsen und lebst heute in Münster. Hat der Ort, die Gegend, in der Du lebst, einen Einfluss auf Dein Schreiben?
Ich denke schon. Man wird ja, bewusst oder unbewusst, von der Region, in der man lebt und aufgewachsen ist, geprägt. Man sagt uns Westfalen ja eine gewisse Bodenhaftung nach. Das ist bei mir wohl auch so. Bodenhaftung heißt für mich aber nicht, an der Scholle zu kleben, sondern sich mit seiner Region und mit ihren Menschen auch kritisch auseinanderzusetzen.
Warum lebst Du gerne hier?
Münster trägt ja, neben etlichen anderen Titeln, auch den Beinamen „größte Kleinstadt Deutschlands“. Hier hat man die Vorzüge einer Großstadt, aber zugleich eine gewisse Überschaubarkeit. Außerdem gibt es viel Grün in der Stadt und drum herum.
Auch zwei Romane hast Du bereits veröffentlicht. „Das Rattenorakel“ erschien im letzten Herbst und ist Dein zweiter Lokalkrimi. Warum hast Du Dich nach einem münsterländischen Bauernhof für die Stadt Münster als Ort der Handlung entschieden?
Hier lebe ich seit über dreißig Jahren, hier kenne ich mich aus. Die Schauplätze meines Romans konnte ich mit dem Fahrrad abfahren. Das fand ich reizvoll. Außerdem hat es mir auch die eine oder andere Recherche erspart.
Worum geht es in dem Buch?
Es geht um das Verschwinden mehrerer Kinder aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. An den Tatorten findet man jeweils eine Stoffratte, darin eingenäht kleine Glasröllchen mit Sätzen aus der Rattenfängerlegende. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Sind die Kinder entführt oder sogar ermordet worden? Im Laufe der Ermittlungen zieht es den leitenden Hauptkommissar Rigo Wende unvermittelt an die Orte seiner Kindheit und Jugend zurück …
Deine Hauptfigur ist ein Kommissar. Musstest Du viel zur Polizeiarbeit recherchieren, um „Das Rattenorakel“ zu schreiben?
Ich glaube nicht, dass es die erste Aufgabe eines Krimiautors ist, die reale Polizeiarbeit zu dokumentieren. Er schreibt ja einen Roman und keinen dokumentarischen oder journalistischen Text. Ganz ohne Recherche ging es beim „Rattenorakel“ natürlich auch nicht. Viel wichtiger war mir aber, eine gute und spannende Geschichte zu erzählen.
Recherchierst Du mitunter auch für Deine Lyrik?
Aber sicher. Bei Lyrik ist es aber in der Regel eine andere Art von Recherche. Hier geht es eher darum Wörter und Begriffe semantisch, das heißt in Bezug auf ihre Bedeutungsvielfalt oder Wortgeschichte, zu überprüfen.
Was schreibst Du lieber – Lyrik oder Prosa? Oder schlagen zwei Herzen in Deiner Brust?
Da gibt es eigentlich kein Lieblingskind, zumal ich auch Texte schreibe, die zwischen den Genres liegen, wie zum Beispiel Aphorismen oder lyrische Kurzprosa. Insofern kann ich das manchmal gar nicht voneinander trennen.
Du schreibst nicht hauptberuflich, sondern arbeitest auch noch in einem Brotberuf. Neben dem Arbeiten und Deiner Familie stehen also auch noch Schreiben, die Einsendungen für Wettbewerbe, Lesungen, Interviews und der Austausch mit anderen Autoren auf Deiner Tagesordnung. Wie bringst Du das alles unter einen Hut?
Die Frage stelle ich mir selbst auch oft … Die Tatsache, dass ich nicht vom Schreiben leben muss, verschafft mir aber auch die Möglichkeit, nur solche Projekte zu verfolgen, die ich auch verfolgen will. Es gibt auch Phasen, in denen ich kaum oder nicht sehr intensiv schreibe. Bei größeren Projekten, wie zum Beispiel einem Roman, sind natürlich regelmäßige Schreibzeiten unverzichtbar. Da braucht man dann schon eine Portion Selbstdisziplin. Aber diese Phasen wechseln sich ab. Insofern bin ich eher der Typ „Quartalalsliterat“.
Welche konkreten Ziele hast Du für Deine schriftstellerische Zukunft?
Pläne für einen weiteren Roman gibt es zwar, aber die lagern noch in meinem Kopf. Sehr gerne würde ich zunächst einen weiteren Lyrikband herausgeben. Textmaterial dafür ist reichlich vorhanden, aber einen Verlag dafür zu finden, ist nicht ganz einfach. Ich bin da gerade auf der Suche.
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Das vorstehende Interview mit Jürgen Flenker gefällt mir sehr, weil es unaufdringlich zur Lyrik führt.
Dafür danke ich nicht nur dem Interviewten sondern auch der Redakteurin Katja Angenent.