Johan Beukelsz: Täufer, Wüstling, König Wer war Jan van Leyden?

König von Münster – Jan van Leyden, Marmormedaillon (Künstler Conrat Meit, Worms) um 1535 (Foto: Josef Scheller)
König von Münster – Jan van Leyden, Marmormedaillon (Künstler Conrat Meit, Worms) um 1535 (Foto: Josef Scheller)

Vor 500 Jahren wurde in der Schweiz mit dem Chiliasmus der Keim dessen gelegt, was in Münster zum „Neuen Jerusalem“, dem Reich der Täufer werden sollte. In seinem Beitrag schildert unser Gastautor Josef Scheller den Aufstieg und Fall von Jan van Leyden aus der Sicht des selbsternannten Königs von Münster, der heute vor 515 Jahren geboren wurde.

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Johan Beukelsz ist mein Name, alias Jan van Leyden. Ich lade Sie ein, mich auf meinem turbulenten Lebensweg am Beginn der abenteuerlich Neuen Zeit zu begleiten. Um 1525, also vor 500 Jahren, entwickelte sich in der Schweiz die täuferische Lehre des Chiliasmus, die Erwartung eines tausendjährigen Friedensreiches. Diese Lehre brachte Melchior Hoffmann nach Ostfriesland. Sie verbreitete sich bis in unsere Provinz Südholland. In Eurem katholischen Münster war zu dieser Zeit durch den eifrigen Prediger Bernard Rothmann die erste lutherische Gemeinde in St. Mauritz entstanden. Schon bald danach wurde an allen münsterischen Kirchen protestantisch gepredigt. Bischof Franz von Waldeck ermahnte zwar die lutherischen Prediger, dabei blieb es aber auch.

Rothmann ließ sich von Hofmanns radikalerer Lehre überzeugen, wandte sich dem melchioritischen Täufertum zu und wurde mein Glaubensbruder. Konnten wir Täufer allein wegen der Ablehnung der Kindstaufe, der Heiligenverehrung und der Verheißung eines Tausendjährigen Reiches in Münster Schauplatz der Täuferbewegung werden? Ich glaube, nein. Die Nähe zu den Niederlanden sowie unsere Sprachverwandtschaft waren Faktum. Aber mindestens ebenso “hilfreich” war die Unheil ahnende Auflehnung Eurer Ratsherren und Kaufleute gegen die Klöster und euren Bischof Franz. Der belegte Münster mit unverschämt hohen Steuern. Die Klöster hingegen mussten für Ihre Geschäftstätigkeiten keine Steuern abliefern. Für Eure zum Gegenschlag bereiten Ratsherren traf ich zum passenden Zeitpunkt in Münster ein. Das Stadtratsmitglied Bernd Knipperdolling und ich wurden schnell enge Freunde. Wir erkannten beide unsere Vorteile. Bernd arbeitete erfolgreich an der Ratsmehrheit für uns Täufer und ich griff mit meiner Täufer-Religion den Katholizismus an.

Ich, Jan van Leyden

Doch nun zu mir. Johan Beukelsz, gesprochen: Bökels (Beukelszoon – Bokelson). Mein Rufname ist Jan, geboren wurde ich am 02. Februar 1509 in Soevenhoven bei Leyden. Mein Vater, Beukel Gerritsz, war Unterschultheiß in  Soevenhoven. Meine Mutter, Alijt Jansdr (Alijdgen) wurde um 1490 auf Hölkers Kotten oder Hof Zeleke in Darup, Amt Horstmar, geboren. Gestorben ist sie etwa 1521 bei einem Besuch in ihrer Heimat im Münsterland. Von Geburt an war sie Leibeigene und Dienstmagd des Grundherrn von Schedelich. Etwa 1504 ist sie heimlich nach Leyden ausgerissen und war Dienstmagd meines Vaters, Beukel Gerritsz. Nach vier Jahren außerehelichen Verkehrs wurde sie 1508 von ihm geschwängert und gebar mich als Bastard (uneheliches Kind) an Lichtmess 1509. Mein Vater heiratete sie um 1511, nachdem seine Ehefrau gestorben war und er meine  Mutter Alijt aus der Leibeigenschaft freigekauft hatte. Ich wuchs zweisprachig mit meinen Geschwistern, dem taubstummen Johan und Annetgen auf.

Jan van Leyden. Ausschnitt aus der Kreuzigungsgruppe am Dom (Foto: Josef Scheller)
Jan van Leyden. Ausschnitt aus der Kreuzigungsgruppe am Dom (Foto: Josef Scheller)

Schreiben und Lesen brachte ich mir selbst bei. Einige Zeit Schulbesuch folgten. Vom Vater befohlen, musste ich die Ausbildung zum Schneider machen. Nach der Ausbildung war ich reisender Schneider in Flandern und England. Danach ging ich nach Leyden zurück und heiratete eine Kapitänswitwe. Dem folgend reiste ich als Kaufmann nach Lübeck und Lissabon. Erneut nach Leyden zurückgekehrt, war ich Gastwirt in dem zwielichtigen Lokal „Witte Lely“. Ich bot mich als Meistersänger, Reimdichter und Schauspieler bei Stadtfesten an, genoss das Leben und war Täufer-Prophet. Nach der Ermordung von Jan Matthijsz ernannte ich mich selbst zum König von Münster und heiratete seine Frau, Divara von Haarlem (Dieuwertje Brouwersdr). Sie war meine bildhübsche Lieblingsfrau. Zum Aufbau des Königreichs „Neues Jerusalem“ heiratete ich noch weitere 15 Ehefrauen. Man sagt, meine Charaktereigenschaften seien kreativ, emotional, egozentrisch, durchsetzungsfähig, und despotisch. Meine Stärken: Rhetorisch überzeugend, genussfreudig und lustbetont.

Meine Täufer-Weggefährten und unsere Mission in Münster

Bernard Rothmann (Stutenbernd) war in Münster der erste Täufer-Prädikant. Seine Predigten beeindruckten einige Stadträte und auch mich. Wahrscheinlich ist er nach Erstürmung aus der Stadt geflohen.

Jan Matthijs aus Haarlem, Bäcker. Ein lautstarker Koloss und Täufer in Holland. Ab Februar 1534 weilte er als Anführer in Münster und beschwor die Apokalypse zu Ostern, 5. April 1534. Erschlagen wurde er an diesem Ostertag von den feindlichen Landsknechten.

Bernd Knipperdolling stammte aus wohlhabender Tuchhändlerfamilie. Ein einflussreicher Poahlbürger und Ratsmitglied der Stadt. Wichtiger Wegbereiter für die Täuferbewegung. Im neuen Königreich war er Statthalter und Scharfrichter. Mein persönlicher Stellvertreter. Hingerichtet wurde er am 22. Januar 1536 auf dem Prinzipalmarkt in Münster.

Heinrich Krechting. Ein radikal vorbildlicher Verfechter der Täuferbewegung. Mein Sekretär, später Kanzler unseres neuen Königreichs. 1535 geflohen. Er starb 1580 als angesehener Mann in Gödens, Ostfriesland. Seine Grabstätte befindet sich in der St. Jakobus Kirche zu Dykhausen Landkreis Friesland.

Bernard Krechting war Mitglied des Rats. Täuferprädikant. Hingerichtet wurde er am 22. Januar 1536 auf dem Prinzipalmarkt in Münster.

Johan Dusentschur aus Warendorf, Goldschmied, hatte bei einem Aufenthalt in Münster eine Erscheinung. Er sah mich als König des Neuen Jerusalem, salbte mich und überreichte mir das Schwert. Er wurde im August 1535 auf seiner Missionsreise in Soest umgebracht.

Meine Täuferzeit
Historische Darstellung vom Prinzipalmarkt und St. Lamberti. (Quelle: LWL)
Historische Darstellung vom Prinzipalmarkt und St. Lamberti. (Quelle: LWL)

Jan Matthijs aus Haarlem taufte mich und entsandte mich nach Münster. Ich benannte mich nach seinem Tod zum Nachfolger und König des neuen Jerusalem. Mein Leitwort: Gottes Macht ist myn Cracht (Gottes Macht ist meine Stärke). Auf meine Veranlassung hin vertrieben wir alle unbelehrbaren Katholiken und Protestanten aus der Stadt. Den wilde Bildersturm und die Bücherverbrennung führten meine Täufer umgehend aus. Mein Befehl, in Polygamie zu leben, stieß zunächst auf heftiges Widerstreben, fand aber sehr bald heuchlerisch fromm Anklang. Am 25. Juni 1535 wurde ich nach verlorenem Kampf in meinem Versteck am Aegidiitor gefangen genommen und im Gefängnis-Verließ in Dülmen eingekerkert. Erst 26 jährig wurde ich am frühen Morgen des 22. Januar 1536 auf dem Prinzipalmarkt in Münster zu Tode gefoltert. Mit Bernd Knipperdolling und Bernard Krechting wurden unsere zerhackten Leiber aufrecht in Eisenkörbe festgebunden und diese als abschreckende Drohung an der Lambertikirche aufgehängt. Verächtlich und spöttisch verlachte man uns: “Die Wiedertäufer”.

Nachdem wir Täufer besiegt waren, kehrte Bischof Franz fürstlich von der Iburg nach Münster zurück. Er befahl, nun auch alle Täufer-Anhänger in den Gemeinden Coesfeld, Dülmen, Warendorf, Telgte, Liesborn und an weiteren Standorten zwingend zum katholischen Bekenntnis zurückzuführen oder bei Verweigerung gnadenlos zu handeln. Für mich bleibt unbeantwortet: Galt seine rigorose Neuausrichtung der Fürsorge um die katholische Lehre, oder ging es ihm eher um seine Person und Status? Hypothetisch frage ich mich, trug ich, Jan van Leyden, letztendlich sogar zur Erneuerung und  zum Fortbestand des Katholizismus im Münsterland bei?

Die Körbe an St. Lamberti, hier wurden die Leichen von Bernd Krechting, Bernd Knipperdolling und Jan van Leiden ausgestellt. (Foto: Bührke)
Die Körbe an St. Lamberti, hier wurden die Leichen von Bernd Krechting, Bernd Knipperdolling und Jan van Leiden ausgestellt. (Foto: Bührke)

 

 

Ein Gastbeitrag von Josef Scheller

Ein Kommentar

  1. Herr Scheller schafft es, die Geschichte von Jan van Leyden und der Täuferbewegung lebendig und eindrucksvoll zu erzählen. Besonders faszinierend ist die Art und Weise, wie die historischen Ereignisse aus der Perspektive von Jan van Leyden selbst schildert. Die Mischung aus historischen Fakten und persönlicher Erzählweise lässt einen tief in die Geschehnisse eintauchen und macht die komplexen Zusammenhänge greifbar.

    Ich bin von der Präzision der Darstellung und der rhetorischen Stärke beeindruckt. Es ist selten, dass ein Artikel so detailliert und zugleich packend geschrieben ist. Der Schreibstil ist überzeugend und fesselnd, und man merkt, dass Herr Scheller sich tief mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

    Ich würde definitiv gerne mehr von Herrn Scheller lesen. Es ist klar, dass er ein ausgezeichnetes Verständnis für Geschichte und die Fähigkeit hat, diese auf eine eindrucksvolle Weise zu präsentieren. Ich freue mich schon auf zukünftige Beiträge!

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