„Früher haben bei uns in jedem Jahr drei bis fünf Schwalbenpärchen genistet. Im letzten Jahr war es gerade mal ein einsames Pärchen und das sah nicht sonderlich gut genährt aus“, berichtete der Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums, Dr. Heinrich Bottermann. Solche Beispiele sind es, die den zum Teil dramatischen Rückgang an Fluginsekten in Deutschland auch für den Laien greifbar machen.
Bottermann, der stellvertretend für die erkrankte NRW-Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking an einer Tagung im münsterschen Institut für Landschaftsökologie teilnahm, räumte zwar eine Mitschuld der Landwirtschaft ein, erklärte aber auch, dass die Landwirte selber ein starkes Interesse an der Artenvielfalt unter den Insekten hätten: „Ohne die Nützlinge unter den Insekten steigt die Notwendigkeit, andere Schutzmaßnahmen in der Landwirtschaft auszuweiten“. Weniger Insekten bedeutet also einen verstärkten Einsatz von Insektiziden, ein Teufelskreis.
Anlass für die Tagung waren die Ergebnisse des Entomologischen Vereins Krefeld, der über einen Zeitraum von 27 Jahren mit wissenschaftlicher Akribie die Insekten in zahlreichen Naturschutzgebieten untersucht hat. Das Ergebnis ist dramatisch, stellenweise ging deren Zahl um bis zu 75 Prozent zurück. Gingen den Forschern 1995 im Schnitt noch 1,6 Kilogramm Insekten in die Falle, sind es heute gerade mal 300 Gramm, wenn sie Glück haben. Der Schwund geht quer durch alle Arten, waren früher eher die seltenen Spezialisten betroffen, sinkt heute auch bei den weit verbreiteten Fluginsekten die Zahl dramatisch.
Als Folge ging auch die Zahl der Vogelbrutpaare zurück, die Insekten an ihren Nachwuchs verfüttern, innerhalb von zwölf Jahren um bis zu 15 Prozent. „Das Thema Insekten ist ja nicht immer positiv besetzt, da sind ja nicht nur Lieblinge dabei“, sagt der Direktor des Instituts für Landschafsökologie, Prof. Dr. Tillmann Buttschardt. Aber wenn als Folge des Insektenrückgangs die Bestäubung der Pflanzen ausbleibt oder zahlreiche Tierarten nicht mehr ausreichend Nahrung haben, so wie Bottermanns Schwalben, können die Folgen verheerend sein. Die Wissenschaftler sprechen im Zusammenhang mit dem Ausbleiben des Vogelnachwuchses bereits vom „Stummen Frühling“.
Organisiert wurde die Tagung vom Naturschutzbund (NABU) NRW, dessen Vorsitzender Josef Tumbrinck die Veranstaltung moderierte. „Das Thema ist von enormer Bedeutung. Die Tagung war mit 250 Teilnehmern ausgebucht und wir mussten dutzenden Interessierten absagen“, freut sich der Diplom-Geograf über den Erfolg der Veranstaltung. Diese war mit Vertretern aus der ökologischen Wissenschaft und Forschung aber auch aus der chemischen Industrie und der Landwirtschaft hochrangig und beeindruckend interdisziplinär besetzt.
Am Ende der Tagung steht die Ausarbeitung des „Münsteraner Appells“ zum Insektenschutz und Erhaltung der Biodiversität, der bereits als Entwurf vorliegt. In diesem wird unter anderem gefordert, dass auf EU-Ebene ein Naturschutzfond in Höhe von 15 Milliarden Euro eingerichtet werden soll. Landwirte, die naturnahe, unbearbeitete Bereiche einrichten, sollen unterstützt werden. Pestizide sollen in der Nähe von Gewässern oder ökologisch bedeutsamen Lebensräumen wie Hecken oder Blühstreifen vollkommen verboten werden, der Einsatz insektentötender Mittel deutlich zurückgefahren und der ökologische Landbau im Gegenzug gefördert werden.
Wie Tumbrinck erläutert, wisse man erschreckend wenig über viele Insektenarten und deren jeweilige Rolle im ökologischen Gesamtsystem. Hier müsse dringend die unabhängige Forschung intensiviert werden. Um zu überprüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen überhaupt wirksam sind, müssen strukturierte Überwachungsprogramme eingeführt und langfristig finanziert werden.
Der öffentliche und private Raum kann ein wichtiger Lebensraum für Insekten darstellen. Im Gartenbereich soll ebenso wie auf öffentlichen Grünflächen der Einsatz von Pestiziden verboten werden. Letzten Endes kann jeder Bürger mit einem Garten selber dafür sorgen, dass sich die Insekten bei ihm wohlfühlen. Wenn statt des kurzgeschorenen Rasens eine blühende Wiese Nahrung bietet oder der Vorgarten nicht zur Steinwüste umgewandelt wird.
Selbst wenn die im „Münsteraner Appell“ genannten Maßnahmen umgesetzt werden sollten, ist die Rückkehr der Insekten nicht garantiert. „Wenn die Landschaft leer ist dann bleibt sie auch leer, das zeigen Untersuchungen aus den Niederlanden“, berichtet Prof. Dr. Christoph Scherber vom Institut für Landschaftsökologie. Umso wichtiger sei es nach Meinung des Wissenschaftlers, die bestehenden Naturschutzgebiete, die er als „Juwelen des Naturschutzes“ bezeichnet, penibel zu pflegen und zu schützen, damit von hier aus eine Wiederbesiedlung durch die Insekten erfolgen kann. Für die Insekten, und damit auch für uns, ist es fünf vor Zwölf.
Ab Ende Februar soll auf der Webseite des NABU NRW eine Videozusammenfassung der Tagung zu sehen sein.
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