Als Münsters Regierungspräsident Andreas Bothe 1990 mit seinem Vater nach Dresden reiste, um den damaligen technischen Direktor der Semperoper zu besuchen, zeigte dieser während des Gesprächs zur Wohnzimmerdecke, wo beim Kronleuchter die Abhörmikrofone der Staatssicherheit (Stasi) zu sehen waren. Geschichten wie diese prägen bei vielen Menschen das Bild der DDR. Eine aktuelle Ausstellung in den Räumen der Bezirksregierung zeigt an ausgewählten Exponaten, wie tief der lange Arm der Stasi tatsächlich in das Leben der Menschen eingegriffen hat.
Exemplarisch griff Bothe während der Ausstellungseröffnung die Geschichte von Silke Glaser heraus, die in einer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Sie schrieb ihre Erlebnisse heimlich auf Toilettenpapier, bis man ihr den Kugelschreiber wegnahm. Ihre Aufzeichnungen sind Teil der Ausstellung. „In der DDR wurden die Menschenrechte mit Füßen getreten, oder mit Stiefeln“, wie Bothe eindringlich feststellt.
Während eines hochrangig besetzten Podiumsgesprächs, an dem die kommissarische Abteilungsleiterin für Vermittlung und Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv, Daniela Münkel, die SED-Opferbeauftragte im Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke und der Zeitzeuge Alexander Richter-Karinger teilnahmen, wurde die Arbeit der Stasi beleuchtet. Zupke betonte, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eine gesamtdeutsche Aufgabe sei, schließlich hätten viele Inhaftierte auch für Produkte westdeutscher Firmen Zwangsarbeit geleistet. Auch Zupke hat Erfahrungen mit der Stasi gemacht, während einer Demo gegen den DDR-Wahlbetrug wurde sie von Agenten der Staatssicherheit zusammengeschlagen. „Die Stasi war ein Instrument des Machterhalts der SED“, wie sie erläutert.
Das Verbrechen: Beatmusik zu hören
Besonders eindrücklich waren die Berichte von Alexander Richter-Karinger, dessen „Verbrechen“ unter anderem darin bestand, als junger Mensch Beatmusik gehört zu haben. Richter-Karinger verfasste ein gesellschaftskritisches Buch, das er Seite für Seite per Post an seine Freundin im Westen schickte. Die Stasi fing die Briefe ab, öffnete sie, fotografierte die Seiten und klebte den Brief wieder zu. Das Manuskript brachte ihm sechs Jahre Haft in einem Gefängnis in Brandenburg ein, mit Folgen. „Sehr helles Licht halte ich nicht aus, Dunkelheit auch nicht. Enge Räume halte ich nicht aus, Fahrstuhlfahren geht darum nicht“, berichtet Richter-Karinger den gebannt zuhörenden Besucherinnen und Besuchern der Ausstellungseröffnung.
Dass die Ausstellung einen starken aktuellen Bezug hat, machte Daniela Münkel deutlich: „Gerade in Zeiten, in denen die Freiheit gefährdet ist, ist die Erinnerung an die DDR wichtig. Wer heute in Deutschland sagt, dass dies eine Diktatur sei, in der man nichts mehr sagen dürfe, hätte das mal in der DDR machen sollen. Das hätte er vermutlich nicht oft gesagt!“ Zahllose zerrissene Unterlagen warten aktuell noch in 15.000 Säcken darauf, wieder zusammengesetzt zu werden. Die Täter heute noch zu bestrafen, sei allerdings kaum noch möglich, wie Münkel erläutert, bis auf Mord sind die Vergehen verjährt. Was allerdings geschehen müsse, ist, die Opfer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Jeder zweite von ihnen lebe heute an der Armutsgrenze.
Einig sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiumsgesprächs, das von dem Journalisten Philipp Böckmann moderiert wurde, dass jeder, der sich nach der DDR zurücksehnt oder sich das Erstarken antidemokratischer Parteien erhofft, diese Ausstellung ansehen sollte.
Die Ausstellung „Alles wissen wollen“ ist bis zum 13. Dezember in der Bürgerhalle der Bezirksregierung Münster am Domplatz 1-3 zu sehen. Sie ist montags bis donnerstags von 7.30 bis 16.00 Uhr und freitags von 7.30 bis 14.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Infos über die Wanderausstellung "Alles Wissen Wollen. Die Stasi und ihre Dokumente" könnt ihr unter www.bundesarchiv.de finden.
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