Um die Frage zu beantworten, was ihn in seiner Arbeit als Polizeiseelsorger nachhaltig geprägt hat, muss Dr. Michael Arnemann, Leiter der Polizeiseelsorge im Bistum Münster, nicht lange überlegen: „Im Jahr 2000 hat ein psychisch verwirrter Mann drei Polizisten erschossen.“
Nach diesen Taten kam besonders bei angehenden Polizeibeamten die Frage auf, ob das denn der richtige Beruf sei, erinnert sich der Polizist. „Zu der Zeit habe ich viel zu dem Thema gearbeitet, was der Beruf des Polizisten mit sich bringt, eben mitunter auch ein hohes Maß an Gefahr. Es ist kein Beruf wie jeder andere“, erzählt der 51-Jährige, der seit mittlerweile 20 Jahren in der Polizeiseelsorge arbeitet.
Als Polizeidekan ist Arnemann nur noch selten in die direkte Begleitung von Polizisten im Einsatz eingebunden. „Meine Haupttätigkeit liegt in der Lehre der Berufsethik“, erklärt Arnemann, der sein Büro in Hiltrup an der Deutschen Hochschule der Polizei hat. Ethik als systematisches Lehrfach spiele in verschiedenen Modulen des Masterstudiums sowie in der Polizistenausbildung an den Fachhochschulen eine Rolle. Sie beschäftige sich mit unterschiedlichen Fragestellungen. „Da geht es zum einen darum, wem der öffentliche Raum gehört. Sind alle Menschen in der Gesellschaft gleich? Und wie bewegen sich Polizeibeamte in unterschiedlichen Milieus, die zum Beispiel durch Kriminalität oder Obdachlosigkeit gekennzeichnet sind“, erläutert der Experte und fährt fort: „Weitere Themen sind Gewalt und der Umgang mit ihr. Dabei wird sowohl der Aspekt der Ausübung von Gewalt durch Polizisten als auch die Reaktionen auf Gewalt gegen die Beamten behandelt.“
Ein Aspekt der Ethiklehre sei auch die Frage, wie Polizeibeamte in Extremsituationen reagieren. „Da geht es unter anderem um den Gebrauch der Schusswaffe“, sagt Arnemann. Viel Platz nehme in Bezug auf Ethik der Umgang mit Trauer und Tod ein. Der Polizeidekan nennt Beispiele: „Da geht es um den Umgang mit der Situation, wenn ein Beamter eine Leiche auffindet aber auch darum, wie Sterbende an Unfall- oder Tatorten begleitet werden.“
Das Themenfeld der Ethik wird, laut Arnemann, vor allem im Rahmen von Fortbildungen sehr gut angenommen. „Dort besteht die Möglichkeit, das eigene Handeln zu reflektieren“, sagt er. In der Polizeiausbildung, so seine Einschätzung, fehle nicht selten noch die Praxiserfahrung im Beruf um beurteilen zu können, wie wichtig die Fragestellungen der Ethik einmal werden können.„Insgesamt genießt die Polizeiseelsorge in den Einsatzbehörden einen sehr hohen Stellenwert“, betont der Polizeidekan des Bistums Münster. „Wir als Kirchenleute werden als unabhängige Dritte gesehen. Unser Blickwinkel ist sehr gefragt, unsere Arbeit wird akzeptiert und geschätzt.“
Polizeiseelsorge funktioniere auf unterschiedliche Arten. „Zum einen werden Kollegen in akuten Situationen alarmiert und sind dann direkt vor Ort. Zum anderen werden sie in der Nachbetrachtung schwieriger Einsatzlagen hinzugerufen, um gemeinsam mit den Polizeibeamten zu reflektieren und Situationen aufzuarbeiten.“ Auch bei den psychosozialen Unterstützungsteams des Landes NRW seien Polizeiseelsorger mit eingebunden. „Diese Teams werden bei speziellen Einsatzlagen alarmiert und sind sozusagen für die Erstversorgung der Beamten zuständig. Die dauerhaften Begleitung, sofern notwendig oder erwünscht, übernehmen dann zum Beispiel auch Polizeiseelsorger.“ Außerdem sind die zehn Polizeiseelsorger des Bistums Münster im Rahmen dezentraler Fortbildungen zur Berufsethik tätig und sie begleiten Seminare zu aktuellen berufsethischen Themen.
„Als Polizeiseelsorger muss man bereit sein, das klassische katholische Milieu zu verlassen“, macht Arnemann klar. Man müsse bereit sein, sich in einem ganz anderen Tätigkeitsfeld der Pastoral aufzustellen, Feldkompetenz zu erwerben außerhalb des katholischen Milieus. „Außerdem sollte man ein gewisses Maß an ethischem Wissen mitbringen und auch Interesse haben, beratend tätig zu sein.“ Auf die Frage, ob Polizeiseelsorger denn das sprichwörtliche „dicke Fell“ besitzen müssten, antwortet der Polizeidekan lachend: „Selbstverständlich muss man sich erstmal das Vertrauen der Kollegen erarbeiten. Das ist nicht immer einfach. Wenn man es aber einmal hat, dann kann man das dicke Fell auch ganz schnell wieder ablegen.“
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