„Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht“ In der 10. Folge unserer Serie „Herzensangelegenheiten“ treffen wir den 19-jährigen Navid aus Sendenhorst

„Ein entspannter Moment“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Ein entspannter Moment“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

An dieser Stelle treten in der zweiten Staffel unserer Empowerment-Serie monatlich junge Erwachsene auf die Bühne, die mit Mut und Konsequenz Barrieren überwinden und ihre Herzensangelegenheiten verfolgen. Fotografin Ingrid Hagenhenrich hat einen unvergleichlich liebevollen Blick auf die Menschen vor ihrer Kamera. Sie nimmt sich Zeit, jede Persönlichkeit auf eigene Art zu portraitieren. Iris Brandewiede gibt ihren Worten Raum. In der zehnten Folge treffen wir den 19-jährigen Navid aus Sendenhorst. 

*****

Das ist ein entspannter Moment, in dem ich keine Sorgen habe. Hier höre ich gerade der Fotografin Ingrid zu, die mir erzählt, dass ihr Sohn Koch ist. Ich bin selbst fasziniert von dem Beruf Koch und der kulinarischen Welt. Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht. Kochen war immer schon eine Leidenschaft von mir. Als ich darüber nachgedacht habe, was ich werden möchte, habe ich mich gefragt, was ich eigentlich gut kann. Und da war der Beruf Koch naheliegend. Mir hat es seit dem ersten Praktikum Spaß gemacht. Danach war mir klar, dass ich mich damit die nächsten drei Jahre beschäftigen möchte. Ich fand immer faszinierend, dass dieser Beruf grenzenlose Möglichkeiten bietet, etwas Neues zu erschaffen. Eine geniale Kreation, die andere glücklich macht, das macht mich auch glücklich.

Ich möchte soviel wie möglich lernen und herausfinden, was es alles gibt. Mein Traum ist es, wirklich in die Welt der Sterne-Restaurants einzusteigen, dort wo man wirklich gutes Essen bekommt und weiß, was man da kriegt. Gute Qualität der Grundprodukte, dann mit Leidenschaft und Liebe daraus etwas zu kreieren, das ist mein Ziel. Die Kochausbildung ist dafür da, die ganzen Basics, Tricks und Grundlagen kennenzulernen. Man lernt, wie man kreativ sein kann, Geschmäcker zu kombinieren, man darf ausprobieren.

Im Praktikum habe ich meinen Chef so überzeugt, dass er gerne wollte, dass ich bleibe. Bald habe ich meine Zwischenprüfung. Der theoretische Teil ist schon gelaufen. Wir haben das viel geübt, mit meiner Chefin haben wir Prüfungen simuliert. In zwei Wochen kommt der praktischen Teil. Ich habe ein gutes Gefühl.

„Immer auf sich selber Acht geben“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Immer auf sich selber Acht geben“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Mit der Ausbildung verbunden war für mich, von zu Hause wegzuziehen. Mir war wichtig, so selbständig wie möglich zu werden. Ich wollte lernen, auf eigenen Füßen zu stehen und ohne die Eltern klarzukommen. Ich bin jetzt für alles verantwortlich. Es war mehr als gedacht, ohne Hotel Mama. Ich muss meine Termine selber organisieren, auch wenn ich mal krank bin. Ich kann alles selbst entscheiden, muss mit allen Freiheiten umgehen und mich selbst kontrollieren. Gerade jetzt, wenn man so viele neue Leute kennenlernt, ist die Gefahr da, auch mal Quatsch zu machen. Jetzt ist klar, die Konsequenzen muss ich selbst tragen.

Es ist wichtig, wen man in seinen Freundeskreis lässt. Man muss versuchen, Grenzen zu ziehen. Ich habe gelernt: Ich muss nicht jede Scheiße mitmachen. Man muss auch mal nein sagen. Ich habe die Verantwortung für meinen eigenen Körper. Ich will mich nicht abhängig machen – nicht von Substanzen und nicht von den eigenen Freunden.

Es ist nicht cool, seinem Körper bewusst etwas anzutun. Meine Brille trage ich jetzt zum Beispiel immer. Früher war ich ein ziemlicher Sturkopf, mochte meine Brillen nie, habe sie versteckt oder absichtlich zu Hause gelassen, weil ich nicht einsehen konnte, dass es mit Brille viel besser für mich ist. Diese Brille ist das richtige Modell für mich und ein Hilfsmittel, das mir wirklich auch in der Ausbildung hilft. Ich muss einfach sehr viel Feingefühl haben und in jeder Situation sehen, was passiert. Auf dem Brett ist es wichtig, sich nicht in die Finger zu schneiden, auf dem Herd geht es darum, präzise zu arbeiten, sodass man die richtige Konsistenz trifft. Die Brille kann meine Beeinträchtigung nicht komplett ausgleichen, aber sie unterstützt.

„Ich will die Welt bereisen und mich kulinarisch weiterbilden“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
„Ich will die Welt bereisen und mich kulinarisch weiterbilden“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Aufgrund meiner Augenkrankheit kann ich keinen Führerschein machen, dabei hatte ich das fest eingeplant. Die Nachricht hat mich total zurückgeworfen, verzweifelt und wütend gemacht. Dann wurde mir klar, ich muss weiterhin versuchen, das Beste aus meiner Situation zu machen. Im Vergleich zu vielen anderen kann mich glücklich schätzen, dass ich so viel machen kann. Dafür bin ich total dankbar. Ich betrachte mich nicht als behindert, der Begriff ist nicht immer so freundlich, weil er auch diskriminierend und als Beleidigung verwendet wird. Trotzdem benutze ich den Begriff auch manchmal selbst mit schwarzem Humor unter Freunden. Ich kann mich über meine Beeinträchtigung ganz gut selber lustig machen, zum Beispiel wenn ich in einer Alltagssituation etwas nicht sehe, das offensichtlich genau vor mir liegt. Ich habe in meinem Leben eine mentale Stärke aufgebaut. Auch wenn ich schlechte Zeiten erlebe, mache ich weiter und verfolge meine Ziele. Wenn mir Steine in den Weg gelegt werden, mache ich weiter.

Das ist eine Message, die viele andere gebrauchen könnten: Dass man einfach nicht aufgeben sollte. Es kommen immer bessere Zeiten.

Mir kommt tatsächlich zu Gute, dass in der Gastronomie zur Zeit immer Leute gesucht werden. Früher wären vielleicht strengere Kriterien an meine Sehfähigkeit angelegt worden. Ich habe meine Chefs überzeugt, mich auch mit der Beeinträchtigung zu beschäftigen.

Pashmak ist das persische Wort für Zuckerwatte“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)
Pashmak ist das persische Wort für Zuckerwatte“. (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Diese Katze ist meine kleine beste Freundin. Sie ist als Haustier Teil meiner Familie und sie ist mir sehr ans Herz gewachsen. Jeder findet sie toll. Sie heißt Pashmak, das ist das persische Wort für Zuckerwatte. Im Iran sieht Zuckerwatte genauso aus wie ihr Fell.

Ich weiß nicht genau, wie Pashmak hergestellt wird – aber es kann ja kein Hexenwerk sein. Wenn ich mein eigenes Restaurant eröffne, gibt es als Nachtisch selbstgemachtes Pashmak.

Ab Januar starte ich für ein halbes Jahr ein Langzeitpraktikum im Sankt Josefs Krankenhaus in Sendenhorst. Das ist eine Großküche, da lernt man alles von der Pike auf. Das sind wichtige Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt als Koch, die auf das Berufsleben vorbereiten. Danach kann man verschiedene Länder bereisen und vieles sehen. Ich möchte die Welt bereisen und mich in anderen Ländern kulinarisch weiterbilden. Irgendwann möchte ich die Mittel haben, mich mit dem, was ich kann, selbstständig zu machen.

Das liegt noch ein Weilchen in der Zukunft, aber wenn ihr mir auf Instagram folgt, werdet ihr die ersten sein, die mein Restaurant zu sehen bekommen!

Alle Teile dieser Reihe gibt es hier: https://www.allesmuenster.de/tag/Herzensangelegenheiten

Navid auf Instagram: @_navidirani_

Weiterführende Infos von Incluencer:innen und Aktivist:innen
„Die Neue Norm“: Podcast zu aktuellen Inklusionsthemen: https://dieneuenorm.de/podcast
Raul Krauthausen (https://raul.de/): DER AKTIVIST für Barrierefreiheit und Wertschätzung von Diversität

Zu den Autorinnen:

Instagram-Account von @ingridhagenhenrich
Instagram Account von @irisbrandewie.de 
Homepage von Ingrid Hagenhenrich: https://ingrid-hagenhenrich.com/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

https://www.google.com/recaptcha/api.js?onload=wpcaptcha_captcha&render=6LdHdWAcAAAAADh_ATp4HnsZJOYF3MrEhqaKs1ki&ver=1.23