„Hiob“: Start in die neue WBT-Saison geglückt Mit „Hiob“ feierte das Wolfgang Borchert Theater am Wochenende seine erste Premiere in der neuen Spielzeit

Familie ohne Mutter, dargestellt von Alessandro Scheuerer, Florian Bender, Rosana Cleve und Jürgen Lorenzen. (Foto: Klaus Lefebvre)

Mit „Hiob“ feierte das Wolfgang Borchert Theater (WBT) am Wochenende seine erste Premiere in der neuen Spielzeit – der letzten des langjährigen Intendanten Meinhard Zanger. Inszeniert hat seine designierte Nachfolgerin Tanja Weidner diese Bearbeitung des Romans von Joseph Roth. Unser Rezensent meint: „Damit ist ein Start in die neue Saison geglückt, deren Motto „Macht.Chaos“ elegant von Stück und Ensemble aufgegriffen wird.“

*****

„Der Schmerz wird ihn weise machen, die Hässlichkeit gütig, die Bitternis mild und die Krankheit stark“. Jede Mutter freut sich wohl, wenn der Rabbi diese – wenn auch ferne – optimistische Aussicht prophezeit, die sich auf das Nesthäkchen bezieht, das nicht sprechen lernt. Leider geben weder die Umstände noch der Familienpatriarch sich selbst die Zeit, um diese Kindesentwicklung abzuwarten. Im Laufe von Joseph Roths Romanklassiker aus dem Jahre 1930 bricht die familiäre, berufliche, religiöse und persönliche Existenz des armen aber frommen Melameds Mendel Singer, eines jüdischen Religionslehrers, zeitweise vollständig auseinander. Auch die Flucht aus Galizien, dem heutigen Grenzgebiet von Ukraine und Russland, nach Amerika scheint weder ihn noch die restliche Familie zu retten.

Stoisch, allein und isoliert – aber vertrauend auf Gott: Jürgen Lorenzen als jüdischer Religionslehrer Mendel Singer. (Foto: Klaus Lefebvre)

Obwohl die Vorlage als Märchen, Familienbeschreibung, biblische Analogie und jüdischer (Geschichts-)Roman interpretiert werden kann, adaptiert Regisseurin Tanja Weidner den Stoff zusätzlich und insbesondere auch noch als Flüchtlingserzählung. Sie beschreibt, wie sehr diese an der Existenz nagt. Inszeniert als Erzähltheater greift sie gekonnt aus der über 20 Jahre umspannenden erzählten Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis nach dem Ersten Weltkrieg die entscheidenden Stellen aus dem Roman auf, so dass man der Handlung gut folgen kann. Das Bühnenbild ist einfach, aber akzentuiert gehalten. Einzelne Passagen des Romans werden als „Stillbild“ im Hintergrund gezeigt, so dass die damit verbundenen Emotionen von den Zuschauern wahrgenommen werden. Ein Klezmerspieler verortet die Handlung des ersten Teils angemessen und kündigt so schon vom kleinen Happy End.

Das „Bürokratenballett“. (Foto: Edina Hojas)

Die Regisseurin schlägt eine Brücke zum heutigen Osteuropakonflikt, indem Flüchtlinge parallel zu dem jeweiligen Stand der Ereignisse auf der Bühne per Videobotschaft vom Kriegsausbruch, der Flucht, dem Ankommen und der Integration in Deutschland untertitelt in ihrer Muttersprache berichten. Besonders eindrucksvoll ist die Passage, in der sie von dem konkreten Beginn ihrer Flucht berichten. Die vor der Pause zum Bühnenbild aufgestellten, übermannshohen und schmalen Baumstämme erwecken den Eindruck, als säßen die Interviewten im Gefängnis. Das „Bürokratenballett“ davor, mit dem die Hauptfiguren vor und nach dieser Unterbrechung verunsichert werden, rahmt die Situation. Der aktuelle Bezug bietet sich insofern an, als der Konflikt im selben Gebiet wie die Geschichte spielt. Leider stört diese Idee ansonsten unnötig den Fluss der Geschichte. Die Parallelen sollten allen auch so bewusst sein.

Integration mit Problemen. Während Frau und Sohn den „American Way of Life“ schon durch ihre Kleidung leben, hält Mendel Singer an seiner Kleidung aus dem Schtetl fest. (Foto: Klaus Lefebvre)

Das Ensemble ist sehr spielfreudig, und es macht einfach Spaß zuzusehen, wie alle miteinander harmonieren. Der kindliche Menuchim wird von einer Stockpuppe verkörpert. Diese Figur aus Stoff, Pappmache und zwei Gasanzündern im Mund wird abwechselnd von den anderen Schauspielern mit lebensnaher Lebendigkeit geführt. Besonders in einem Schlüsselmoment der Geschichte mit Mendel Singer, gespielt von Jürgen Lorenzen, vergisst man fast, dass es sich lediglich um eine Puppe handelt. Lorenzen bedient die ganze Palette der Darstellungen: Zunächst als zurückgezogener, frömmelnder Thoralehrer, der seine Rolle als Familienpatriarch unzureichend ausfüllt. Gegen Ende implodiert sein Gefühlsleben und er breitet seinen ganzen Schmerz, seinen Zorn und seine zumindest vorübergehende Abkehr von Gott auf der Bühne aus. Leider fehlen ein paar Nuancen, die die Entwicklung der Figur beschreiben, die wie das biblische Pendant zahlreiche Schicksalsschläge einstecken muss.

Rosana Cleve besticht durch ihre Lust, eine Frau darzustellen, die mit den Konventionen ihrer Familie bricht und sich nicht zuletzt auch sexuell auslebt. Stark ist Ivana Langmajer, die extensiv ihre Zähigkeit, ihr Durchhaltevermögen darstellt, obwohl sie erfolglos versucht, die Familie zusammenzuhalten. Im Exil zeigt sie ihre Anpassungsfähigkeit. Bedauerlicherweisen verlangt die Inszenierung von ihr, dass sie ihre Todesszene im Erzählstil vorträgt. Zwar wird auch hier, wie häufig im Stück, die Phantasie der Zuschauer gefordert. Es wäre aber eindrucksvoller gewesen, diese dramatische Stelle wäre szenisch umgesetzt worden. In der Romanvorlage stirbt sie nicht allein und sie stimmt abschließend einen finsteren Klagegesang an.

An anderen Stellen ist die Inszenierung nicht zu puristisch. So spielt Cleve in ihrem letzten Auftritt als Mirjam mit vollem Körpereinsatz. Die anderen Darsteller wechseln sehr häufig zwischen mehreren Figuren, die sie verkörpern, geben jeder einzelnen eine individuelle Note und treiben den Verlauf der Geschichte maßgeblich voran.

Am Ende hält sich die Inszenierung an das überraschende Happy End der Vorlage und kürzt diese Passage glücklicherweise ab. Standing Ovations gab es zusätzlich zum Schlussapplaus. Das Publikum folgte konzentriert, obwohl tropische Temperaturen herrschten.

Die nächsten Aufführungen von "Hiob" finden am 13., 14. und 15. Oktober statt, weitere Termine folgen. Mehr Infos und den Weg zu den Online-Tickets findet ihr über die Homepage www.wolfgang-borchert-theater.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert