An dieser Stelle treten in einer zweiten Staffel unserer Empowerment-Serie monatlich junge Erwachsene auf die Bühne. Sie verfolgen ihre Herzensangelegenheiten, überwinden Barrieren mit Mut und Konsequenz. Fotografin Ingrid Hagenhenrich hat einen unvergleichlich liebevollen Blick auf die Menschen vor ihrer Kamera. Sie nimmt sich Zeit, jede Persönlichkeit auf eigene Art zu portraitieren. Iris Brandewiede gibt ihren Worten Raum. In der fünften Folge treffen wir den 26-jährigen Bastian aus Steinfurt-Borghorst.
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Ich bin ich ein sehr offener Mensch – früher war das nicht ganz so. Ich bin jemand, der mittlerweile gut im Leben angekommen ist, der gewisse Ziele schon erreicht hat und noch einiges im Leben vorhat. Ein paar Orte dieser Welt würde ich sehr gerne bereisen und andere Kulturen kennenlernen. Indien fände ich zum Beispiel sehr interessant.
Dieses Portrait ist ein schönes Gesamtbild mit dem Café im Hintergrund, leicht verschwommen, und der Mensch ist im Vordergrund. Wir sind hier im Café 1648. Das ist auch vom Konzept her ganz cool: Hier können Menschen mit Handicap, Behinderung – oder wie man es nennen möchte – arbeiten. Das finde ich gut. Deshalb bin ich sehr gerne hier vor Ort.
Für mich persönlich ist das Wort „Behinderung“ einfach nur die Bezeichnung meiner alltäglichen Einschränkung, die ich nun mal habe. Wenn man das Wort als Beleidigung verwendet, wird es natürlich schwierig. Aber im Prinzip finde ich das Wort „behindert“ in Ordnung und nicht schlimm.
Die Szene, den Blick über Münsters Dächer, finde ich atemberaubend. Ich habe mich in diesen Blick verliebt. Zur Fotografie bin ich durch meinen Basketballtrainer gekommen. Er hat bei Spieltagen oft Fotos von uns gemacht. Er macht auch Naturfotografie, das hat mich interessiert. Ich bin auch gern in der Natur, habe einen besonderen Blick und sehe manchmal Details, die andere so nicht wahrnehmen. Diese jetzt endlich mit einer vernünftigen Kamera festhalten zu können, ist einfach schön. Ich habe eine Olympus- Kamera und mehrere Objektive. Damit kann ich zum Beispiel Makro-Aufnahmen machen oder weit entfernte Objekte wie den Mond in Szene setzen. Dazu habe ich keinen Kurs besucht, für mich ist das ein Schritt-für-Schritt-Lernen. Sicher werde ich noch lange brauchen, um so gut zu fotografieren, wie andere das können, aber der Anfang ist gemacht und es macht mir total viel Spaß. Bislang habe ich vorwiegend Naturfotografie gemacht. Noch habe ich keine Personen vor die Linse bekommen – aber was nicht ist, kann ja noch werden!
Mich hat Rollibasketball schon immer fasziniert. Es heißt immer Inklusion, Inklusion, Inklusion… Hier kann wirklich jeder mitmachen, egal ob Mensch mit oder ohne Behinderung – das mag ich einfach. 2011 kam ich in die Regenbogenschule und konnte dort in einer AG einige Jahre lang aktiv spielen. Nach meiner Ausbildung habe ich den Sport 2021 wieder für mich entdeckt. Wie Bahos spiele ich bei den UBC Rollis Basketball im Ligabetrieb.
Auch die nicht behinderten Teammitglieder spielen natürlich im Sportrolli – gleiches Recht für alle, und alle sind auf einer Augenhöhe. Wenn du genau hinschaust, siehst du am Fahrstil, ob diese Person den ganzen Tag im Rollstuhl sitzt oder nicht. Das macht den Sport für alle anspruchsvoll. Basketball ist ein Mannschaftssport. Jeder und jede ist bei uns willkommen. Wir können Nachwuchs gut gebrauchen! Nehmt also gerne Kontakt zu den UBC Rollis auf und probiert es aus!
Hier sieht man eine typische Spielsituation mit 5×5 Spielern. Meine Mannschaft hat mich so gut freigefahren, dass ich direkt zum Korbwurf ansetzen konnte. Vor dem Spiel treffen wir im Kreis zusammen und stimmen uns gemeinsam ein. Unser Schlachtruf ist „TEAM-WORK“ – das trifft es auch, denn es ist immer eine Teamleistung wenn man ein Spiel gewinnt. Und auch wenn man ein Spiel verliert und es gemeinsam nicht so nahe an sich ranlässt, um zuversichtlich an die nächsten Spiele ranzugehen.
So offen wie jetzt war ich nicht immer. In der weiterführenden Schule habe ich Mobbing erlebt– das war ein schlimmes Erlebnis. Aufgrund meiner Behinderung hatte ich immer einen Sonderstatus. Der hat dazu beigetragen, dass ich eine Außenseiterrolle eingenommen habe: Alle Kinder gehen in die Pause und Bastian geht, weil es zeitlich nicht anders passt, mit dem Pflegedienst zur Toilette. In Gruppenarbeiten haben alle sich längst zusammengefunden, und der letzte, der immer noch eine Gruppe sucht, bin ich.
Auch im Sport habe ich Extraaufgaben bekommen und außerhalb der Gruppe gearbeitet, zum Beispiel am Rand auf der Matte Hantelübungen gemacht oder solche Sachen. Die Lehrer hatten einfach nicht auf dem Zettel, dass ich ein ganz normaler Schüler bin. Mein Klassenlehrer und meine Eltern haben mich beim Wechsel auf die Förderschule unterstützt, da war ich dreizehn. Dieser Wechsel hat viel mit mir gemacht: In der Förderschule ist meine Persönlichkeitsentwicklung steil nach oben gegangen.
Jetzt stehe ich am Anfang meiner Karriere. Nach der Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement habe ich Fachabitur gemacht. Jetzt bin ich Verwaltungsfachangestellter bei der Bezirksregierung Münster. Beruflich kann es gerne weiter voran gehen. Ich sehe mich nicht dauerhaft am selben Ort. Ich könnte mir gut vorstellen, noch an andere Orte zu gehen. Vielleicht bieten sich in ein paar Jahren neue Aufgabengebiete mit mehr Verantwortung an. Ich freue mich auf die Herausforderungen, die das Leben noch für mich bereithält!
Alle Teile dieser Reihe gibt es hier: https://www.allesmuenster.de/tag/Herzensangelegenheiten
Bastian bei Instagram: @bastian_vg UBC Rollis: https://www.ubc-rollis.de/ Inkluencer Raul Krauthausen (https://raul.de/): DER AKTIVIST für Barrierefreiheit und Wertschätzung von Diversität „Die Neue Norm“ (https://dieneuenorm.de/podcast/): ein Trio kluger Köpfe reflektiert aktuelles Gelingen und Scheitern von Inklusion Homepage von Ingrid Hagenhenrich: https://ingrid-hagenhenrich.com/ Instagram Account von @irisbrandewie.de: https://www.instagram.com/irisbrandewie.de/
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