Das war schon eine Überraschung, als am Morgen des 20. Dezember vergangenen Jahres auf einmal drei statt zwei Faultiere auf das Team des Allwetterzoo Münster warteten. Ein Jahr ist Pauli nun alt. „Und fast ein Jahr hat er auch gebraucht, um sich von Mama Fiona abzunabeln“, sagt Kristina Theobald, Tierpflegerin im Allwetterzoo Münster.
Aber der Reihe nach. Vor der Geburt des Kleinen Fellknäuls hatte es das Team zwar vermutet, dass da Nachwuchs auf dem Weg ist, „aber aufgrund des noch recht jungen Alters von Fiona, war niemand wirklich davon ausgegangen, dass sich tatsächlich Nachwuchs ankündigen würde.“ Und so kam es dann auch, dass nach der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 2020, Fiona ihren ersten Nachwuchs mit sich herumtrug.
Warum das Team im Vorfeld nur Vermutungen anstellen konnte? Das Fortpflanzungsverhalten der Faultiere ist nur wenig erforscht. Weibchen erreichen nach drei bis vier Jahren die Geschlechtsreife, Männchen etwas später. Von den Zweifinger-Faultieren, wie denen im Allwetterzoo, wird angenommen, dass sich Weibchen das ganze Jahr fortpflanzen können. Nach einer Trächtigkeit von bis zu 11,5 Monaten wird ein einzelnes, bis 450 g schweres Jungtier geboren. Die Geburt erfolgt ebenfalls in hängender Haltung, anschließend klammert sich das Jungtier auf der Bauchseite des Muttertiers fest, bis es selbstständig ist.
Der Nachwuchs von Zweifingerfaultieren kommt voll entwickelt zur Welt. Er hat bereits ein vollständiges Gebiss und wird schon nach ein bis zwei Monaten entwöhnt. Die kleinen werden aber erst mit neun bis zwölf Monaten selbstständig. Die Bindung zur Mutter besteht dabei deutlich länger. Von ersten kleinen Erkundungstouren mal abgesehen, „reitet“ der Nachwuchs so lange auch noch auf dem Bauch der Mutter. „Normalerweise gehen Faultiere mit vier bis sechs Monaten von ihrer Mama runter. Pauli hat ein bisschen länger gebraucht, er ist halt ein extrem faules Faultier. Aber das war Fiona auch laut den Kollegen aus Halle, scheint also in den Genen zu liegen“, so Kristina.
Ein Jahr mit Pauli, das prägt – insbesondere das Team der Bereichsleiterin Klimacampus. „Die ersten sieben Monate war das Aquarium ja, bedingt durch den zweiten Lockdown und die späteren Coronamaßnahmen, noch geschlossen. Wir hatten die Tiere also ganz für uns. Dadurch hat sich auch schon eine besondere Bindung zu dem Kleinen aufgebaut“, spricht die Bereichsleiterin nicht nur für sich, sondern für das gesamte Team. „Für uns war es wunderbar, sein erstes Jahr mitzuerleben. Für uns ist es ja auch der erste Faultiernachwuchs gewesen. Und dadurch, dass Fiona sehr menschenbezogen ist und Futter aus der Hand nimmt, konnten wir seine Entwicklung immer hautnah mitbekommen. Auch Pauli ist dadurch sehr zutraulich geworden, was uns natürlich sehr freut.“
Pauli ist aber nicht nur aufgrund seiner Geschichte und seines Aussehens etwas Besonderes, Pauli wird den Allwetterzoo Münster auch erstmal nicht verlassen. Denn er ist einer der vielen neuen Bewohner, die in 2022 in die neue Meranti-Halle einziehen werden. „Das macht das Abschiednehmen dann irgendwann natürlich sehr viel leichter. Wir müssen dann zwar ins Nachbargebäude, aber das bekommen wir wohl hin“, freut sich Kristina, dass sie auch zukünftig Pauli besuchen kann.
Bis zum Umzug dauert es aber noch ein wenig. Und bis dahin lebt Pauli mit seinen Eltern und zwei Löwenkopfäffchen im Aquarium des Klimacampus. „Momentan wirkt er noch etwas verloren, wenn er in den Ästen hängt. Er probiert mal den einen, und dann wieder den anderen Schlafplatz aus – Faultiere entwickeln nämlich Lieblingsschlafplätze. Aber er kommt gut klar und versteht sich weiterhin mit Fiona und Herrn Marquardt“, beschreibt die Zootierpflegerin das aktuelle Zusammenleben. „Wir hoffen, dass das bis zu seinem Auszug weiterhin so gut funktioniert. Und wer weiß, vielleicht ist ja auch bald schon ein weiteres Geschwisterchen unterwegs…“
Im Allwetterzoo Münster leben Zwei-Finger-Faultiere. Die Faultiere bilden eine Unterordnung der zahnarmen Säugetiere und sind mit Ameisenbären und Gürteltieren verwandt. Es gibt sechs aktuell bestehende Arten, die sich auf die beiden Gattungen der Zweifinger-Faultiere und der Dreifinger-Faultiere verteilen. Die Lebenserwartung der Faultiere in der freien Wildbahn ist übrigens unbekannt. In Haltung werden Faultiere aber teilweise über 30 Jahre alt. Ein Zweifinger-Faultier im Zoo von Halle, dem Geburtsort von Fiona, erreichte mit rund 50 Jahren das bisher höchste dokumentierte Alter. Pauli und seine Eltern werden also noch lange im Allwetterzoo Münster zu erleben sein.
Transparenzhinweis: In unserer Medienpartnerschaft mit dem Allwetterzoo Münster ermöglichen wir vertiefende Einblicke in die Arbeit und den Alltag des Zoos am Aasee. Die Reihe bietet Blicke hinter die Kulissen und Berichte über die Menschen, die sich jeden Tag um das Wohl der Tiere bemühen.
- Drei Küken für den Artenschutz Zuchterfolg im Allwetterzoo für den vom Aussterben bedrohten Weißschulteribis - 21. April 2024
- Einblicke in ein prekäres Bestiarium Rentnerteiche für Blutegel und schratige Waldrappen: Interview zur Lesung mit dem Kabarettisten, Bestsellerautor und Artenschützer Heiko Werning im Allwetterzoo - 14. April 2024
- Vermeintliches Heilmittel „Ejiao“ 55 afrikanische Staaten schützen Esel vor Massenschlachtungen - 24. März 2024