Es gibt einen kleinen Ort im Nirgendwo, den ich regelmäßig aufsuche, um kreativ zu sein. Der Körper arbeitet, der Geist ruht, die Inspiration ist herzlich eingeladen. Der Erholungswert liegt jenseits der Messbarkeit.
Die Ställe sind ausgemistet, Esel und Ponys grasen zufrieden, die Katzenschar ist gefüttert und gekrault. Die Juniorchefs machen ihre Einkaufsrunde. Im Garten wende ich mich meinem Krimi zu. In der Stadt bimmelt allein der Paketbote dreimal täglich, um Sendungen für Nachbarn zu deponieren, deren Namen ich noch nie gehört habe. Hier orten wir die Nachbarn an Hand entfernten Dieselknatterns. Sonst ist Ruhe.
Huch, was knattert da in nächster Nähe? Ein Opel biegt in die Einfahrt ein. Der Fahrer winkt. Ich winke zurück. Der Mann steigt grüßend aus, ich erhebe mich vom Liegestuhl. Leuchtend blaue Augen und ein unverwechselbar gerolltes R geben eine Chiffre an mein Langzeitgedächtnis durch. Prompt erscheint ein Trecker mit übervollem Heu-Anhänger auf meiner inneren Projektionsfläche. Im nächsten Bild tollen Kinder mit gelblichen Halmen im Haar. Ganz klar: Das ist Peter, der Heubauer.
Verlässliche Heulieferanten sind hier in der Gegend ungefähr das, was gute Handwerker in der lebenswertesten Stadt sind. Ihnen ist jederzeit ein warmer Empfang zu bereiten, ihnen gebührt vollste Kooperation. Souverän übernehme ich das – vertretungshalber. Peter plaudert über die Seniorchefs, die er seit dreißig Jahren beliefert. Ich informiere ihn über deren aktuelle Reise und füge meine Erinnerung an glückliche Kinder auf seinem Heu-Anhänger an, der Nostalgie wegen. Peter fixiert mich, als wolle er in meinem aktuellen Gesicht die junge Mutti von damals wiederfinden. Bedauernd schüttelt er den Kopf – er könne sich nicht an alle Gäste erinnern, die hier mal beim Abladen geholfen hätten. Leicht enttäuscht, dass mein Sonderstatus sich offenbar noch nicht im kompletten Landkreis herum gesprochen hat, beteuere ich beim Abschied, die Hofbewohner flugs über die Aussicht auf Heulieferung ins Bild zu setzen.
Zwei Stunden später nähert sich ein entferntes Tuckern. Die Hofbewohner waren wie elektrisiert von meiner Mitteilung und haben umgehend Fakten geschaffen. Die rollen nun an. Peter schwenkt mit seinem alten Trecker in die Einfahrt ein. Die hölzerne Ladefläche quillt über und über von großen Heuballen, die in sieben Schichten auf der Achse schwanken. Peter sieht unter seiner Schiebermütze hoch konzentriert und gleichzeitig sehr lässig aus. Er manövriert die Fracht umsichtig im Millimeterabstand durch die Enge der Hofeinfahrt.
An der Längsseite des Hofes duckt sich das niedrige alte Stallgebäude. Die Heuballen überragen den Dachfirst locker um drei Lagen. Peter, eine scharfzackige Heugabel in der Hand, erklimmt mit schlackernden Gummistiefeln die schwindelnde Höhe. Da oben stapft er durch goldgelbe Ballen wie ein emsländer Poseidon in einem Meer aus Heu.
Die Juniorchefin ist zur Stelle – das Ritual des Abladens beginnt. Peter greift die Heuballen mit seinem Vierzack und wirft sie im eleganten Schwung ab. Die Ballen fallen. Drei Sekunden später stehen wir im Schweiß. Nach einhundertzwei Ballen befindet Peter sich nur noch auf mittlerer Höhe und der Schober ist mit mehreren ordentlichen Schichten Heu gefüllt. Jan muss immer höher hinaus. Meine Körpergröße reicht beim besten Hieven nicht mehr an ihn ran. Peter, der mich um mindestens zwanzig Zentimeter überragt, löst mich ab. Damit bin ich zur Abwerferin befördert! Wie eine Wattwanderin im Dauerlauf eiere ich von Ballen zu Ballen und versuche, eine ähnliche Souveränität wie Peter auszustrahlen. Meine Bemühungen drosseln das Arbeitstempo, was bei der Hitze gar nicht schlecht für den Kreislauf ist. Bei Ballen Nummer dreihundertdreiundfünfzig ist der Heuschober voll mit duftendem Dämmstoff. Wir stoßen mit großen Mengen an Mineralwasser an. Würden wir es uns über den Kopf gießen, es riefe keinen Unterschied im Erscheinungsbild hervor.
Ich kann meinen Blick nicht vom Trecker lassen. Nie habe ich romantische Gefühle für Personenkraftfahrzeuge gehegt. Bei dem Anblick aber werde ich schwach.
Huch, meine drei Mitstreiter schauen mich fragend an. Habe ich jetzt laut gedacht? Peter grinst mich an, setzt mir seine Mütze auf den Kopf und winkt mich zum Trecker. Ich flitze um die Kühlerhaube, erklimme das Cockpit und lasse mich auf den federnden Sitz fallen. Das Lenkrad fühlt sich so glatt an wie ein Handy-Display.
Paula macht ein Handyfoto. Mit Peters Mütze auf dem Trecker sehe ich aus wie mit drei Jahren auf dem Feuerwehrauto des Kinderkarussells. Nur ein bisschen glücklicher.
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