Musikalischer Schatz der Vergangenheit Filmstart: „Im Schatten der Träume“ im Schlosstheater / Interview mit Götz Alsmann

Götz Alsmann im Interview mit ALLES MÜNSTER. (Foto: Thomas Hölscher)
Götz Alsmann im Interview mit ALLES MÜNSTER. (Foto: Thomas Hölscher)

Am Sonntag zog es trotz Sonnenschein so einige Münsteraner und Münsteranerinnen in den dunklen Kinosaal des Schlosstheaters. Grund dafür war die Premiere des Dokumentarfilms „Im Schatten der Träume“, der sich den musikalischen Werken von Komponist Michael Jary und Texter Bruno Balz widmet (wir berichteten).   

Für die Premiere war nicht nur Regisseur Martin Witz aus der Schweiz angereist, sondern auch Götz Alsmann, der dem Film seinen ungeheuren musikalischen Wissensschatz beisteuerte. Nach der Aufführung sprach ALLES MÜNSTER mit dem Musiker mit dem – wie er selbst sagt – „ewig gestrigen Geschmack“.

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Der Regisseur, Martin Witz, sagte eben, dass er sofort im ersten Gespräch wusste, dass Sie „sein Mann“ sind für diesen Film. Beruhte das auf Gegenseitigkeit?

Absolut, ja. Ich fand das toll. Vor allem Michael Jary ist 2006 kurzzeitig mal wieder in aller Munde gewesen, aber an Bruno Balz ist die Geschichtsschreibung so ein bisschen vorbeigegangen. Das ist das alte Texter-Problem. Die Texter, die fast alle vom Theater oder vom Kabarett kamen, sehr textaffin waren und alle davon träumten, vielleicht als Romanciers in die Literaturgeschichte einzugehen – das war natürlich eine ganz andere Hausnummer als die Schlager-Texter späterer Generationen.

Ein Mann wie Jary, der ewig bei Schönberg hospitiert und später parallel zu seiner ganzen Arbeit eines der führenden deutschen Jazzorchester geleitet hat, der brauchte natürlich niemanden, der Mühe hat, irgendwie einen Vierzeiler zusammenzukleistern, sondern schon jemanden, dem die Slogans nur so aus der Feder perlen. Wenn Jary einen interessanten melodischen Einfall hatte, sagte Bruno immer: ‚Ich geh mal um die Häuser‘. Dann hat er einen Spaziergang gemacht, kam nach einer Stunde wieder und hatte den Text. Das war eben toll.

Das fand ich an der Idee von Martin so gut, hier dem Texter mindestens genauso einen Kranz zu binden wie dem Komponisten. Zumal Balz ja auch noch mit vielen anderen gearbeitet hat. Also die frühen Sachen von Zarah Leander, wie „Nur nicht aus Liebe weinen“ und so, die hat Lothar Brühne komponiert und dann später „Die Stunden der Vergangenheit“. Das hat Heino Gaze geschrieben, der dann später Drafi Deutscher entdeckt hat. Das sind diese Traditionen im deutschen Schlager, die bis weit in die 60er Jahre nahezu ungebrochen weitergingen, bis dann einfach eine Generation von Schlagermachern kam. Und die wollten sehr gerne die deutschen Rolling Stones werden. Als das nicht funktionierte, haben sie dann mit dem, was ihnen zur Verfügung stand, Schlager gemacht. Das war halt etwas gänzlich anderes.

Ich will das gar nicht bewerten. Aber ist doch klar: Wenn meine musikalische Ausbildung darin besteht, die ersten zwei Stones-LP’s nachzuspielen, dann mache ich eine andere Musik, als wenn ich mich mit Gershwin beschäftigt habe.

Regisseur Martin Witz (li.) und Musiker Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)
Regisseur Martin Witz (li.) und Musiker Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)

Haben Sie zu der Musik von Zarah Leander einen besonderen persönlichen Bezug?

Ja, na klar. Also zu dem Gesang der ganzen Damen und Herren der Zeit. Ich habe mich dem angenähert. Ich bin ja so alt wie Martin. Wir nähern uns der Siebzig und zu unserer Zeit, als wir als Kinder in den 60ern Fernsehen geschaut haben, wurden ja all diese Filme regelmäßig gezeigt. Und mir fiel als Junge auf, dass die Männer einfach so elegant waren. Auf die Frauen habe ich mich ja erst später konzentriert. Das hat mir einfach wahnsinnig gut gefallen. Den Wert der Lieder habe ich eigentlich später erst als Teenager durch meine Wendung zur Jazzmusik erkannt.

Zarah Leander finde ich als Persönlichkeit sehr faszinierend. Auch die Tatsache, dass sie 1943 sehen musste, dass sie wegkam aus Deutschland. Es gab ja sogar Gerüchte, dass sie eine Spionin war. Leider haben wir uns um ein paar Jahre verpasst im Showgeschäft. Mit Bibi Johns bin ich sehr eng befreundet. Eine Freundin der Familie. Darüber, dass Bibi Jones in dem Film mitgemacht hat, waren wir natürlich froh. Das ist ja die letzte noch lebende Künstlerin, die mit Balz und Jary zusammengearbeitet hat. Und das Lied „Zwei Herzen im Mai“ – absoluter Burner. Das ist ein Ohrwurm, der einem nicht mehr aus dem Kopf geht.

Zu Beginn des Films sagen Sie, dass sich beim Hören der Titel schon so eine Welt auftut. Glauben Sie, dass die heutige Musik das auch vermag? Oder muss das Musik aus einer geschichtlich sehr markanten Epoche sein, damit sowas passiert?

Wie markant eine Epoche ist, weiß man ja meistens erst zehn Jahre später. Ich glaube, dass diese teilweise sehr dramatischen, wenn nicht sogar melodramatischen Titel – nicht die Texte, sondern die Titel – auch einem damaligen Zeitgeschmack entsprangen. Es waren mehr Titel, wie sie auch ein Groschenroman haben könnte. Ich meine das jetzt gar nicht abwertend, aber so ein Kolportageroman hat eben auch oft einen sehr salbungsvollen, mit Schmackes behafteten Titel. Und so waren diese Lieder auch.

Es gibt zum Beispiel aus den 80ern „1000 mal berührt“, das hätte ohne Weiteres auch so ein Balz-Titel sein können. Wenn Sie wollen, können Sie auch „Atemlos durch die Nacht“ da einreihen, oder „17 Jahr‘, blondes Haar“. Aber im großen und ganzen Sinne ist die Schlager-Titelzeile noch eher anonymer. Die transportiert eigentlich gar nichts mehr. Nach meiner Meinung transportiert die ganze Musik oft gar nichts mehr. Aber das ist meine private Meinung. Die Meinung eines Mannes mit einem ewig gestrigen Geschmack.

Der Mann mit dem "ewig gestrigen Geschmack": Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)
Der Mann mit dem „ewig gestrigen Geschmack“: Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)

Heutzutage, wenn ein Lied in einer Runde bei einer Plattenfirma vorgestellt wird, muss sofort irgendwas da sein, was zündet. In den 80er Jahren hatten die Pop-Hits eine dreiminütige Einleitung. Nehmen wir mal so etwas wie „Billie Jean“ von Michael Jackson. Das dauert gefühlt Stunden, bis er anfängt zu singen. Damit hätte man heute überhaupt keine Chance mehr, überhaupt jemanden von einer Plattenfirma richtig aufmerksam zu machen. Da muss es sofort losgehen. Und so war das damals ein bisschen, was die Titelzeile anbetrifft. Da wurde im Grunde schon so eine Rezeptionsgebrauchsanweisung im Titel mitgeliefert. Ich glaube, über diese Schiene läuft heute gar nichts mehr. Das höre ich auch überhaupt nicht und kann darüber nicht urteilen. Das wäre so, als würde ein Blinder über Farben diskutieren, wenn ich über zeitgenössische Musik sprechen würde.

Rainer Rother sagt im Film, er teilt die musikalische Unterhaltung in zwei Kategorien: Entweder sie ist schal, oder sie schafft es, 15, 20 oder 50 Jahre weiter zu existieren.

Genial formuliert von ihm.

Glauben Sie, es gibt jetzt aktuell noch Stücke, die es schaffen, 50 Jahre zu überdauern?

Für mich endet die Musikgeschichte am 31. Dezember 1966. Ich höre keinerlei zeitgenössische Musik.

Aber per Zufall werden Sie damit ja ab und zu mal konfrontiert.

Als ich noch die Sendung „Zimmer frei“ gemacht habe und wir einen Star eingeladen hatten, der was singen wollte, musste ich mich damit auseinandersetzen. Aber ansonsten höre ich überhaupt keinerlei Popmusik im Radio oder sowas.

Der Dokumentarfilm "Im Schatten der Träume". (Foto: Salzgeber / Martin Witz / Peter Volkart)
Der Dokumentarfilm „Im Schatten der Träume“. (Foto: Salzgeber / Martin Witz / Peter Volkart)

In Bezug auf Michael Jary und Bruno Walz haben Sie gesagt, dass der Faktor Freundschaft so wichtig ist, auch für eine produktive Zusammenarbeit. Haben Sie solche Verbindungen auch erlebt beziehungsweise haben diese noch?

Ja, mit meiner Band. Mein Bassist ist gestorben, wir haben über 40 Jahre zusammen gespielt. Unser Schlagzeuger ist vor fünf Jahren nach 28 Jahren in den Ruhestand gegangen. Eine lange Zusammenarbeit hat natürlich einen freundschaftlichen Duktus.

Sie müssen sich überlegen: Ein fest zusammenarbeitendes Ensemble mit einem einigermaßen vollgepackten Kalender, wie viel Zeit Sie da miteinander verbringen! Sie verbringen ja nicht nur die Zeit auf der Bühne miteinander, sie sitzen im selben Bus und so weiter. Wenn man sich da nicht leiden kann, ist es nicht schön. Und glauben Sie, dass das dann auch in der Qualität der Musik durchscheint, dass man sich wirklich gut versteht oder Spannungen bestehen! Ich denke, was aus schlechter Stimmung von der Bühne kommt, ist keine gute Unterhaltung. Das Publikum fühlt das. Es ist eine Kameraderie unter Musikern. Sie merken, wenn die Kameraderie unter den Musikern auf der Bühne funktioniert, das zieht das Publikum immer in seinen Bann.

Aber ganz ehrlich, ein bisschen Input von draußen ist immer gut. Es ist nicht gut, nur unter der Käseglocke zu arbeiten. Man braucht jemanden, dem man so vertraut, dass er auch mal sagt: Das ist Käse, was Du Dir da ausgedacht hast! Wenn ich zum Beispiel ein Arrangement in meiner Band vorstelle, und wir proben das zum zweiten oder dritten Mal und jemand fühlt sich damit irgendwie unwohl, dann nehme ich das sehr ernst. Dann ziehe ich die Noten ein und sage: Wir sehen uns in einer Woche wieder. Ich finde, es ist schon gut, wenn einer vorgibt, wo es lang gehen soll. Aber kein Bergführer ohne die unterstützenden Haken-Einschlager auf der Eiger Nordwand.

Eine Ikone der Musikgeschichte: Zarah Leander. (Foto: Salzgeber / Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung)

Im Film wird auch über das Lied „Davon geht die Welt nicht unter“ gesprochen. Sie bezeichnen die Inszenierung als „klare Durchhalte-Nummer gegen die Nazis“. Musik hat unheimlich viel Kraft, unheimlich viel Wirkung auf die Menschen. Wir haben politisch gesehen gerade auch nicht unbedingt einfache Zeiten. Würden Sie sagen, dass Sie selber Musik auch für sich benutzen, um den Optimismus zu wahren, um Ihre Resilienz vielleicht auch zu stärken gegen das, was so auf uns zukommt?

Ja, unbedingt. Musik, die Künste, Musikliteratur, Filme, zweifellos. Nun ist ja auch die Möglichkeit, Musik zu konsumieren, eine neuzeitliche. Überlegen Sie sich mal, Sie wohnen in Telgte im 19. Jahrhundert. Wie viel Musik hören Sie da im Laufe Ihres Lebens? Vielleicht einen Leierkasten, eine Blaskapelle oder ein Kirchenlied. Mehr Musik hören Sie dann im ganzen Leben nicht. Das heißt, es ist still, es ist ruhig, vielleicht singt die Mutter in der Küche ein bisschen, aber mehr Musik gibt es nicht. Goethe hat in Weimar gesessen und hat quasi keine Musik gehört. Der hat sich die Beethoven-Stücke am Klavier vorspielen lassen. Die hat er nie vom Orchester gehört, dann aber sehr böse Kommentare dazu geschrieben. Immerhin. Und jetzt plötzlich im 20. Jahrhundert gibt es dieses Phänomen, dass Musik überall hinkommt. Ein kulturelles Erlebnis.

Würden Sie sich, was die Musik betrifft, in eine andere Zeit wünschen? In welcher Zeit hätten Sie gerne gelebt, um die Musik so zu erleben, wie sie damals war?

Ich glaube, für das, was ich jetzt mache, oder für die Musik, die ich mache, wären frühere Zeitalter wahrscheinlich offener gewesen. Andererseits hätte ich mich dann einer ungeheuren Konkurrenz ausgesetzt. Ich bedauere eigentlich weniger die Zeit als solche, sondern dass sich die Spielregeln des Musikgeschäfts so sehr verändert haben.

Ich kann ja jetzt wohl nicht sagen, dass die Zeit zwischen 1933 und 1945 meine Traumzeit gewesen wäre. Die Wirtschaftswunderjahre, die 50er-Jahre – das sah alles ganz toll aus, war aber in weiten Teilen natürlich von Armut geprägt. Ich habe als Kind noch auf Trümmergrundstücken gespielt. Für mich war es eine wunderbare Zeit. Ich hatte ein liebevolles Elternhaus und immer genug zu essen. Das Radio lief von morgens bis abends, das war fantastisch.

Meine Kunst wäre wahrscheinlich in den 40er- und 50er-Jahren am besten vermittelbar gewesen. Aber es wäre dann eben damals aktuelle Musik gewesen und deswegen nicht weiter aufgefallen. Da habe ich jetzt eher ein Alleinstellungsmerkmal.

Bibi Johns ist die einzige noch lebende Musikerin, die mit Jary und Balz gearbeitet hat. (Foto: Salzgeber / Till Vielrose)
Bibi Johns ist die einzige noch lebende Musikerin, die mit Jary und Balz gearbeitet hat. (Foto: Salzgeber / Till Vielrose)

Im Film wird gesagt, dass Balz die Kunst beherrschte, in seinen Songs von Dingen zu erzählen, ohne sie klar zu benennen. Wie ist das bei Ihnen, wenn Sie Songs schreiben? Kommt das alles frei raus oder packen Sie manche Gedanken in Watte?

Ich schreibe ja nicht mehr so viele Songs, sondern singe fast nur noch andere Nummern. Aber ich habe mir sehr viele Lieder übertragen, italienische und amerikanische zu Broadway-Nummern und sowas. Und bestimmte Dinge sagt man nicht mehr so. Bestimmte Dinge rufen eine Diskussion hervor, wie es vor zehn Jahren noch nicht gewesen wäre.

Ich wundere mich – das war jetzt schon die zweite Vorführung, wo ich „Indianer-Kanu“ gesagt habe und nicht gesteinigt wurde. Und ich werde es auch weiterhin sagen. Ich komme ja aus einer Generation, die sich gerade das zugute gehalten hat – alles frei heraus zu plärren. Meine Generation schaut voller Empörung auf die Selbstzensur, die heute überall stattfindet. Der große Kampf um die Freiheit, die Auflockerung der Gesellschaft, den haben wir ja noch partiell mitgekämpft. Und die, die zehn Jahre älter sind als wir.

Jetzt ducken sich wieder alle und sagen: Das kann man nicht, das darf man nicht, das soll man nicht. Das macht mir eigentlich Sorgen. Dass eben auch Leute, die ein Buch schreiben, Gedicht schreiben, einen Film machen, ein Lied schreiben, dass die eigentlich mittlerweile fast mit einer Schere im Kopf herumlaufen. Natürlich darf man alles sagen, aber das hat Konsequenzen. Deshalb wäre es für einen leicht kabarettisierenden Schlagersänger in den 50ern leichter gewesen. Da war ein Lied versauter als das nächste.

Der Musiker und Musikwissenschaftler Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)
Der Musiker und Musikwissenschaftler Götz Alsmann. (Foto: Thomas Hölscher)

„Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ ist ja eines der wichtigsten Lieder in dem Film. Welches Wunder würden Sie sich persönlich wünschen?

Jenseits von Weltfrieden und Prosperität für alle würde ich mich freuen, wenn man einfach wieder ein bisschen auf die hiesigen musikalischen Unterhaltungstraditionen guckt. Das würde mich beruflich sehr freuen. Ich habe das Gefühl, da gerät gerade wahnsinnig viel in Vergessenheit. Dank diesem Film von Martin Witz wird da ein bisschen gegengesteuert. Wir sehen bei Arte in den Mediatheken sehr viele tolle und eindrucksvolle Porträts über Coco Chanel oder über Cole Porter. Ich finde eben, es ist Zeit, dass wir auch Theo Mackeben oder anderen großen Komponisten oder Kabarettisten wie beispielsweise Peter Igelhoff – das waren keine Eintagsfliegen, sondern alles große Meister ihrer Kunst – mal ein bisschen Aufmerksamkeit schenken sollten. Das wäre schon schön. Und dieser Film könnte ein fantastischer Startschuss sein.

Veranstaltungshinweis:

 Die Nacht, in der alle Katzen grau sind und niemand gern allein bleibt, steht im Mittelpunkt des neuen Programms von Götz Alsmann. Der Sänger und Pianist präsentiert am 24.05.25 in der Halle Münsterland sein aktuelles Bühnenwerk „Bei Nacht“. Es gibt noch Tickets!

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