An diesem Wochenende hat der zurzeit international gefragteste deutsche Maler und Bildhauer Gerhard Richter der Stadt Münster sein neues Kunstwerk „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ übergeben. Dazu sprachen am Sonntag der Künstler und Oberbürgermeister Markus Lewe, sowie NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh von der Harvard-Universität vor der Dominikanerkirche zum interessierten Publikum. Das stand anschließend Schlange, um das Kunstwerk zu betrachten. Zukünftig ist die Kirche dafür dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet, heute ausnahmsweise auch mal am Montag.
Die Realisierung eines Foucaultschen Pendels war ein langjähriges Anliegen von Gerhard Richter, seine Suche nach einem geeigneten Ort blieb aber lange erfolglos. Auch der ehemalige Gasometer am Rande von Münsters Innenstadt schied wieder aus. Eine weitere Option war die Dominikanerkirche. Das nach Entwürfen von Lambert Friedrich Corfey im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts errichtete Gebäude befindet sich im Eigentum der Stadt. Gerhard Richter fand in der Kirche spontan nicht nur seinen idealen Ort für ein Pendel, sie inspirierte ihn für ein neues, dauerhaft installiertes Kunstwerk. Nach einstimmiger Zustimmung im Stadtrat wurde die Kirche im November 2017 profaniert und präsentiert sich den Besuchern nun als offener Kunstraum.
„Als ich dieses sehr schöne Bauwerk sah, war ich sofort begeistert und überzeugt, dass das der richtige Ort für das Pendel ist“, so der Künstler. Er bot seine Arbeit der Stadt Münster als Geschenk an. „Dass das jetzt wie geplant gelungen ist, ist ein Geschenk auch für mich,“ sagte Gerhard Richter. Der Aufwand für die Herstellung und Installation des Kunstwerks und parallel erforderliche Renovierungsarbeiten am Gebäude belief sich auf rund 650.000 Euro. Der städtische Haushalt wird damit aber kaum belastet, meldet das Presseamt. Denn insgesamt 600.000 Euro übernehmen Förderer: das Land Nordrhein-Westfalen, die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost, der Verein der Kaufmannschaft zu Münster sowie der Freundeskreis der Kunsthalle Münster e.V.
Die Arbeit von Gerhard Richter befindet sich im Zentrum des Gebäudes unter der Vierungskuppel. Sie besteht aus drei Teilen: dem Pendel, der Schwingungsebene und den zwei grauen Doppelspiegeln. Sie bilden mit dem Raum eine Einheit. Bei dem Foucaultschen Pendel handelt es sich um eine 48 Kilogramm schwere, nichtmagnetische Metallkugel mit 22 Zentimeter Durchmesser, die in der Vierungskuppel an einem 28,75 Meter langen und 3 Millimeter starken Edelstahlseil befestigt ist. Sie schwingt über einer kreisrunden, äquivalent zur Bewegung des Pendels gewölbten Platte aus Grauwacke, einem 380 Millionen Jahre alten Sedimentgestein. Diese Schwingungsebene umgibt ein Kranz mit 360 Grad Winkelmaß-Skalierung, in Zwölferschritten eingeteilt. Die Bodenplatte mit Schwingungsebene und Kranz hat einen Durchmesser von 5,6 Meter. Ein Magnetfeldantrieb im Zentrum der Bodenplatte sorgt für die ununterbrochen gleichmäßige Bewegung des Pendels. Im Verlauf einer Stunde dreht sich die Ebene unter dem Pendel um 12 Grad nach Osten – entsprechend dem „Sterntag“, an dem sich die Erde einmal um die eigene Achse dreht und der in Münster etwa 30 Stunden zählt. Damit wird die erstmals im Jahr 1851 von dem französischen Physiker Léon Foucault in einem Pendelversuch nachgewiesene Erdrotation sichtbar.
Vor den zwei Wandflächen der Vierung befinden sich paarweise gruppiert jeweils zwei hochrechteckige Glasbahnen mit den Maßen 6 mal 1,34 Meter. Die Vorderseiten sind mit einer Verspiegelung bedampft, die Rückseiten sind grau emailliert – zwei Bahnen in einem identischen Dunkelgrau, die anderen in zwei unterschiedlichen hellen Grautönen. In den Glasbahnen spiegeln sich der Innenraum der Kirche und die Glasbahnen vor der gegenüberliegenden Wandseite, die Bewegung des Pendels und die Besucher. Und hiermit zeigt sich die eigene Handschrift des Künstlers Gerhard Richter. Ganz in seinem Sinne soll der neue Kunstort nicht musealisiert werden, sondern auch künftig als Ort für künstlerische und kulturelle Veranstaltungen offen stehen und insbesondere auch experimentellen Formaten einen Raum geben. Denkbar sind etwa musikalische, literarische oder performative Darbietungen sowie experimentelle Filmkunst und Vorträge. Auch für Hearings, kleinere Tagungen oder Empfänge soll die Kirche genutzt werden – als Forum für Münsters Stadtgesellschaft, in dem wissenschaftliche wie gesellschaftliche Diskurse möglich sind. Um diese Nutzung zu ermöglichen und für ohnehin anstehende Arbeiten zur Erhaltung des Baudenkmals soll das Gebäude voraussichtlich 2019/2020 saniert, renoviert und mit der erforderlichen Infrastruktur wie Heizung, barrierefreiem Zugang, Funktionsräumen und Beleuchtung versehen werden.
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