Seit einigen Tagen ist die geplante Radverkehrsbrücke „Flyover“ am Aegidiitor großes Gesprächsthema – vor allem innerhalb der Lokalpolitik und der Verwaltung, aber auch in den unterschiedlichen Medien der Stadt. Hat die Stadtverwaltung wirklich einen ersten Entwurf zurückgehalten und sogar die Nutzungszahlen zurechtgebogen, damit der Rat dem Vorschlag zustimmt? Geht es hier wirklich um die Radfahrer in Münster oder nur um ein Prestigeprojekt auf Kosten der Steuerzahler?
Wir erbaten Antworten und mussten darauf länger warten als gewohnt. Und dann bekamen wir auch noch Material zugespielt, das offenbar nicht für die Öffentlichkeit geplant war – aber was sagt das alles aus? Ausgelöst wurde die ganze Diskussion durch eine Machbarkeitsstudie, die die Stadtverwaltung bei einem Planungsbüro in Auftrag gegeben hatte. In einer offiziellen Pressemeldung der Stadt vom Montag war von „Variantenprüfung mit eindeutigem Ergebnis“ die Rede. Dieses Ergebnis der Studie, hier von April 2021, ist die Empfehlung eines Trassenverlaufs von der Promenade über die Weseler Straße hinweg auf die Bismarckallee.
An die Öffentlichkeit gelangte aber auch ein erster Entwurf aus November 2020, in dem von der Umsetzung des Projektes abgeraten wurde. Die vermeintlich zwei unterschiedlichen Ergebnisse der gleichen Studie aus demselben Planungsbüro, über die in einigen Lokalmedien als widersprüchlich berichtet wurden, hatten für deutliche Verwirrung gesorgt – und zu Unmut innerhalb der Lokalpolitik. Gefordert wurde, dass die Verwaltung den Ratspolitikern die Version aus dem Herbst überlässt. Stadtbaurat Denstorff hatte das abgelehnt. Sylvia Rietenberg, Sprecherin der Grünen Ratsfraktion, sprach daraufhin von einem „Vertrauensverhältnis zur Verwaltung, das auf eine harte Probe gestellt“ werde.
Grund für die Absage Denstorffs sei gewesen, dass der Entwurf von den Autoren nicht autorisiert war, wie Stadtsprecher Thomas Reisener auf Anfrage erklärte. Daher habe sich die Stadtverwaltung zunächst nicht befugt gesehen, diesen Entwurf weiterzuverbreiten. „Gleichwohl haben wir den Mitgliedern des Rates unmittelbar nach diesen Vorwürfen die Einsichtnahme in unseren Räumlichkeiten angeboten. Inzwischen hat uns das Planungsbüro auch die Zustellung des Erstentwurfes an die Lokalpolitik erlaubt. Die Zustellung ist auf den Weg gebracht.“
Keine unterschiedlichen Versionen, sondern Zwischenstände
Das städtische Presseamt betonte, dass es genau eine Machbarkeitsstudie gebe, die die Stadt Münster im Oktober 2020 beauftragt hat. Das Planungsbüro StadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG mit Sitz in Hilden habe dann „im Rahmen der Recherchen Zwischenstände an die Stadtverwaltung berichtet, in die sukzessive immer weitere Daten und Erkenntnisse eingeflossen sind, die sich wiederum auf die jeweilige Bewertung ausgewirkt haben.“ Von diesen Zwischenständen hatte es mindestens fünf gegeben, die sich im Verlauf der Studie verändert hatten. In einem Schreiben des Planungsbüros an das Amt für Mobilität und Tiefbau, das unserer Redaktion vorliegt, heißt es dazu: „Die (…) ersten Einschätzungen wurden inzwischen in vielen Punkten aktualisiert und korrigiert, da wesentliche Erkenntnisse zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorlagen oder sich entgegen unserer ersten Einschätzung geändert haben.“
In dem ersten Entwurf für den Flyover vom November 2020, der uns zugespielt wurde, fällt vor allem die viel schlechtere Bewertung der aktuell von der Verwaltung bevorzugten „Variante B“ auf. Der Fahrkomfort („Rampen & Orientierung“) und die Entlastung der Weseler Straße sei nur mittelmäßig, die wesentlichen Anforderungen „Bedienung der Hauptlastrichtungen“ und „Entschärfung Konfliktpunkt Aegidiistraße“ würden nicht erfüllt, das erwartbare Nutzen-Kosten-Verhältnis demnach schlecht: bei zwei Bewertungskriterien stand die Ampel auf gelb, bei drei sogar auf rot. In dem nun von der Verwaltung für die Abstimmung im Stadtrat vorgestellten Entwurf sehen diese Ampelfarben plötzlich ganz anders aus: viermal grün, nur zweimal gelb – die Auswirkungen auf den Baumbestand wurden als zusätzliches Kriterium aufgenommen, und hier ist der favorisierte Entwurf tatsächlich besser als alle anderen in der bisherigen Planung, die geradezu verheerende Kahlschläge zur Folge gehabt hätten. Aber auch für diese Variante müssten ein paar Bäume weichen, nur eben viel weniger. Der wahrscheinlich wichtigste Unterschied: aus dem ursprünglich als schlecht bewerteten Nutzen-Kosten-Verhältnis ist nun wie aus Zauberhand ein gutes geworden.
Mehr Radfahrende durch Veloroute
Der Grund für die unterschiedliche Bewertung wird auch genannt. Denn im ersten Vorentwurf waren nur die tatsächlich im Jahr 2019 gezählten Nutzungen durch Radfahrende herangezogen worden, aber noch keine Prognosen für die zukünftige Entwicklung enthalten. Dies sei aber besonders für die Velorouten relevant, da diese nun mal das Ziel haben, „dass mehr Menschen das Fahrrad für Ihre alltäglichen Wege nutzen und dass mehr Fahrradverkehre auf dieser sicheren, schnellen und komfortablen Strecke gebündelt werden“. Weil an der Bismarckallee die Veloroute 5 in Richtung Senden entlang führen soll, ist gerade hier eine große Steigerung zu erwarten, bei den anderen Wegeführungen an dem Knotenpunkt Aegidiitor eher nicht.
Für Maximilian Brinkmann-Brand, dem verkehrspolitischen Sprecher der Ratsgruppe Die PARTEI/ÖDP, löst der Flyover die Probleme des Verkehrsknotens nur zu einem kleineren Anteil, wenn überhaupt. Und es stellt sich die Frage, ob nicht erst eine konkrete Netzplanung vorgenommen werden sollte, bevor mit einem solchen Großbauwerk neue Pfadabhängigkeiten geschaffen werden. Auch die Ratspartei Volt setzt auf eine Entwicklung eines ganzheitlichen Konzeptes und konkrete, darauf abgestimmte Maßnahmen. „Wir befinden uns am Beginn einer Verkehrswende“, betont Martin Grewer, verkehrspolitischer Sprecher von Volt Münster. „Eine mutige Neugestaltung der Verkehrsräume am Aegidiitor muss hier ein deutliches Zeichen des Umbruchs sein. Das Konzept der Verwaltung bleibt weit hinter solchen Ansprüchen zurück. Eine klare Bevorzugung des Umweltverbunds aus Fahrrad, ÖPNV und Fußverkehr wird hier durch das zehn Millionen Euro teure Projekt nicht erreicht. Die Erhöhung der Aufenthaltsqualität und der Fußverkehr werden gänzlich außer Acht gelassen.“ Der Flyover wirke wie ein Teil eines Konzeptes, das aus Ermangelung an Zeit nicht zu Ende geschrieben wurde.
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