FLURSTÜCKE: Programm, das berührt Viertägiges Kulturfestival im öffentlichen Raum eröffnet

Die atemberaubende Akrobatikshow der Gruppe "Motionhouse" im Rathausinnenhof. (Foto: Christian Menz)
Die atemberaubende Akrobatikshow der Gruppe „Motionhouse“ im Rathausinnenhof. (Foto: Christian Menz)

Der kulturelle Appetit wurde bereits am Mittwochabend angeregt, als das Theater Titanick und bodytalk seine imposante Vorpremiere mit „Kipppunkt“ feierte. Am Abend wurde das diesjährige Flurstücke-Festival dann offiziell eröffnet und füllte die sonnendurchflutete Innenstadt mit Tanz, Musik und Akrobatik.

Am selben Schauplatz, wo die riesige Eisbergkulisse thront, versammeln sich am Donnerstagnachmittag neben neugierigen Passanten auch eine Gruppe Männer in orangefarbenen Hemden. Bestückt mit Tuba, Trommel und Trompete – und einem Rhythmus, von dem sich nach wenigen Minuten kaum ein Fuß oder Gesäß freisprechen kann. Dabei reicht das musikalische Repertoire der französischen Straßenparade „Le Snob Fanfare“ von Latin über Klassik hin zu Rock. Doch nicht nur die Musik der Compagnie ist mitreißend, sondern auch die Musikanten! Schüchternheit oder Alter zählen nicht als Ausrede – und so findet sich jeder, der in greifbarer Nähe stand, plötzlich tänzelnd inmitten der Parade.

Die Straßenparade "Le Snob Fanfare" verzauberte die Stubengasse zur Tanzfläche. (Foto: Christian Menz)
Die Straßenparade „Le Snob Fanfare“ verzauberte die Stubengasse zur Tanzfläche. (Foto: Christian Menz)

Wie der Rattenfänger von Hameln locken die Musikanten die Menschenmasse durch die Innenstadt und schließlich in den Rathausinnenhof. Direkt unter dem Balkon des Oberbürgermeisters setzt die Band voller Elan zu einer Zugabe an, welche dann aber nach drei Takten ein jähes Ende findet. Die „Stopp“-Handzeichen des sich über die Balkonbrüstung beugenden Stadtoberhaupts sorgen nicht nur für Stille, sondern auch für einen wohl eher ungeplanten Lacher angesichts der Situationskomik.

Vom 27. bis zum 30. Juni wird es an 15 Spielorten im gesamten Stadtgebiet über 50 verschiedene Auftritte geben. Das übergreifende Motto lautet „Berührung“, zu dem Oberbürgermeister Markus Lewe in seiner Eröffnungsrede die passenden Worte fand: „Bei den FLURSTÜCKEN werden alle Sinne berührt und vielleicht sehnen wir uns gerade in der heutigen Zeit danach, eine andere Welt zu erleben als die, die wir momentan in den Medien sehen.“

Mit ihm auf dem Balkon stehen unter anderem die Kuratoren des FLURSTÜCKE-Festivals, Claire Howells und Uwe Köhler vom Theater Titanick. „Lasst euch verführen von dem, was auf der Straße und den Plätzen passiert“, appelliert Howells an das Publikum: „Ihr werdet verstehen, warum zum Beispiel in der Stubengasse ein Eisberg steht und dort in ein paar Tagen das alte Elefantenhaus vom Zoo aus 1500 Kartons nachgebaut wird oder wie ein Auto über den Aasee fährt.“ Was erwartet uns? „Es wird laut und leise, es wird groß und klein, es wird poetisch und wild.“

Und mit „WILD“ geht es auch gleich weiter, denn so heißt das neue Zirkusprogramm der Gruppe „Motionhouse“. Bei ihrer Manege handelt es sich um einen Wald aus Pfählen, der im Rathausinnenhof gen Himmel ragt. Lewe habe von seinem Büro aus schon „kneistern“ können, was sich dem Publikum nun auch offenbart: Scheinbar mühelos erklimmen sechs athletische Akrobaten und Akrobatinnen die meterhohen Stäbe und machen diese kletternd, springend oder tanzend zu ihrer Spielwiese. Faszinierend ist bei all der Körperbeherrschung auch der gelungene Spagat zwischen Spannung und Entschleunigung.

Für die Performance „Born to protest“ von Joseph Toonga zieht es das FLURSTÜCKE-Publikum zum Aegidiimarkt. Mit weißem Klebeband wird ein großes Quadrat als Bühne gekennzeichnet und Zuschauer um die Einhaltung dieser Grenze gebeten. Der Grund erschließt sich bereits wenige Sekunden nach Eintreffen des fünfköpfigen weiblichen Tanz-Ensembles. Mit einer körperlich und emotional kraftvollen Choreographie stellt die „Company Just Us Dance Theatre“ das Thema „Rassismus“ dar.

"Born to protest" von Joseph Toonga ist eine kraftvolle Tanzperformance. (Foto: Christian Menz)
„Born to protest“ von Joseph Toonga ist eine kraftvolle Tanzperformance. (Foto: Christian Menz)

Mit energischen Tanzschritten, bedrohlichen Gebärden und herzzerreißenden „Look at me! I’m right here!“-Schreien sorgt dieser Auftritt erst einmal dafür, dass man sich schlecht fühlt. Eben so, wie es all den Menschen mit schwarzer Haut geht, die sich täglich mit Vorurteilen und Ungerechtigkeit konfrontiert sehen. Man spürt die Wut. Und auch eine überwältigende Stärke. Es geht hier nicht zuletzt auch um Empowerment und Zusammenhalt. Untermauert werden die exzessiven Bewegungen von Hip Hop-Beats, die mit dem eigenen immer schneller werdenden Herzschlag verschmelzen. Diese Performance berührt – und davon gibt es in den nächsten drei Tagen der FLURSTÜCKE hoffentlich noch mehr.

Einen Blick in das Programm könnt ihr hier werfen.

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