Der Flurstücke-Sonntag begann gemütlich. Bei Käse und Wein lud der Bundesverband „Theater im Öffentlichen Raum“ zum Austausch ein. Im Café „SpecOps“ standen unter anderem Clair Howells und Uwe Köhler vom Theater Titanick den Gästen Rede und Antwort. Die beiden Kuratoren des Festivals spielten den Ball aber auch zurück und gaben den Kunst- und Kulturinteressierten in kleiner Runde die Gelegenheit, ihre bisherigen Eindrücke zum diesjährigen Event zu schildern.
Neben Schwärmereien von den „poetischen Bildern“ auf dem Aasee gab es auch kritische Töne von einem Teilnehmer, welcher sich bei der Zusammenstellung der Künstler mehr Münsteraner wünsche. „Dass sich Künstler vor Ort vernachlässigt fühlen, höre ich immer wieder und kann das auch ein bisschen nachvollziehen.“ so Köhler. Internationales anzubieten heiße aber auch, über seinen Tellerrand zu gucken, warf Christa Nonhoff, Kulturpolitikerin der Grünen, ein. Dass viele verschiedene Nationen aufeinandertreffen zeige, dass man auch mal auf Sprache verzichten könne. Diese andere Art der Kommunikation – durch Körpersprache – habe eine ganz andere Dynamik, fügte ihre Sitznachbarin hinzu. Wichtig sei Howells vor allem, dass bei öffentlichen Aufführungen mehr Menschen teilnehmen als bei klassischem Theater – und das auch spontan. „Uns ist wichtig, dass sich die Leute nicht eingeschüchtert fühlen.“
Alle packen mit an
Beim Flurstücke Festival ist es seit jeher nicht so, dass man als Zuschauer mit verschränkten Armen auf seinem Platz sitzt und sich irgendwie kulturell berieseln lässt. Beweglich musste man bei den actionreichen Performances dieses besonderen Theater- und Kultur-Festivals schon immer sein. Aber so stark wie in diesem Jahr waren die Besucher wohl noch nie gefordert, sich aktiv zu beteiligen.
So war es auch bei dem Elefantenhaus aus dem alten Zoo Münster, das auf dem Platz der Stubengasse unter dem etwas großspurigen Namen „Monumental Constructions“ mit der Hilfe der Bürger der Stadt wieder errichtet werden sollte – allerdings aus Pappkartons. Der Plan für dieses Bauprojekt des französischen Künstlers Olivier Grossetête ging für Samstag, den Tag der Konstruktion, voll auf.
Wie etliche andere Menschen aller Altersgruppen konnten auch wir uns nicht verschließen, ließen uns Klebeband und Nagel in die Hand drücken und halfen mit, Bauteile zu fixieren und ein letztes Mal das gesamte Bauwerk mit anzuheben, damit eine weitere Schicht von Kartons unten drunter gesetzt werden konnte. Denn das imposante Bauwerk wurde vom Dach bis nach unten gebaut, was nur mit so vielen helfenden Händen möglich war. Das stiftete ein Gemeinschaftsgefühl, und genau darauf war der Künstler fraglos aus. Der zweite Teil dieser Installation lief nicht nach Plan, denn das Bauwerk hatte über Nacht unter dem Regen und einem undichten Hydranten gelitten.
Die für Sonntagnachmittag geplante „Dekonstruktion“ hatten die Elemente erledigt, aber das Platthüpfen und anschließende Entsorgen der Kartons sorgte ein weiteres Mal für eine gemeinschaftsstiftende Arbeit, an der sich auffallend viele Kinder mit Hingabe beteiligten.
Nicht alles war so leicht wie Pappe
Nicht alle Kunstwerke der Flurstücke 2024 haben sich den Betrachtern so leicht erschlossen. So war es für den im Kreativ-Haus präsentierten Film „No More Butter Scenes“ von Silke Schönfeld hilfreich zu wissen, dass der Titel sich auf die berüchtigte „Butterszene“ mit Marlon Brando aus dem Film „Der letzte Tango in Paris“ (1972) bezieht, die von der Schauspielerin Maria Schneider erst 35 Jahre später als sexueller Missbrauch bezeichnet wurde. Es war dann aber spannend zu sehen, wie die Rollen der beiden Schauspieler hin und her wechseln, so dass unklar blieb, wer hier eigentlich gerade wen missbraucht, was vom „wahren Ich“ kommt oder was gespielt ist.
Beeindruckende Körperbeherrschung
Im Geomuseum bestaunte das Publikum mucksmäuschenstill die Show „Screws“ von Alexander Vantournhout. Man hörte das Quietschen der Schuhsohlen auf dem Kopfsteinpflaster, während miteinander verschlungene Körper die Regeln der Physik austricksten. Spannend an dieser Performance war auch der doch eher außergewöhnliche Umstand, dass die Schauplätze gewechselt wurden. Und so pilgerte das Publikum zunächst ins LWL Museum für Kunst und Kultur und dann auf den Aegidiimarkt, wo einer der Artisten leichtfüßig und ballettartig über den Asphalt tänzelte – während er eine Bowlingkugel schwang.
Für die Aufführung „Nomadics“ von Voetvolk / Lisbeth Gruwez & Maarten Van Cauwenberghe musste man sich zur Westfälischen Schule für Musik begeben. Und der Weg lohnte sich zweifelsfrei! Mitten im Grünen stand die Bühne, auf der sich junge Tänzer und Tänzerinnen zu elektronischen Klängen wogen. Die weichen, langsamen Bewegungen schienen Jung und Alt zu hypnotisieren. Kaum merklich, aber konstant beschleunigte sich die Musik und die sportlichen Körper taten es ihr gleich.
Der Radius der Gestik erweiterte sich, bis sie schließlich in energiegeladenem Zucken ihren Höhepunkt erreichte. Die Performance hatte etwas Animalisches. Zeitweise erinnerten die Artisten an verletzte – aber wunderschöne – Tiere, als sie im Kollektiv über den Boden krabbeln und sich mit den Oberkörpern weit über den Bühnenrand räkeln. Als das Stück mit sanfter musikalischer Untermalung ein friedliches und beruhigendes Ende fand, erntete das Ensemble Standing Ovations.
Zufriedene Gesichter
Vier Tage Flurstücke, vollgepackt mit den unterschiedlichsten Darbietungen, ging am gestrigen Sonntag zu Ende. Fritz Schmücker von Münster Marketing resümiert: „Ich bin super zufrieden und freue mich absolut für Theater Titanick, die Filmwerkstatt Münster, die Kunsthalle und das Theater im Pumpenhaus. Ich finde, die haben ein tolles Programm zusammengestellt und vom Wetter gesegnet – sieht man mal von dem Sonntag so ein bisschen ab – ist das ja auch wunderbar über die Bühne gegangen.
Ich finde, dass das gerade in Münster auf ein so dankbares Publikum stößt, das sich so begeistern lässt und tatsächlich ja auch zu den großen Geschichten geht, die ja so eher spektakulärer sind, aber auch zu den kleineren Geschichten. Also diese kleinen Touren, die es gab, waren ja auch wirklich gut besucht. Es ist die Mischung, so glaube ich, die es macht. Die Mischung aus dieser poetischen Seite, vielfältig, auch mal laut, explosiv, politisch, wieder leise Töne. All das, verbunden mit den Orten, macht diese besondere Mischung der Flurstücke aus. Die Besonderheit bleibt ja auch durch diesen Rhythmus: In vier Jahren können wir das hoffentlich wieder erleben und da können wir uns wieder drauf freuen.“
Auch der Kurator der Flurstücke, Uwe Köhler, findet nur positive Worte: „Die Reaktionen vom Publikum, der Presse, von Kollegen, den 120 Künstlern, die sich sehr gut aufgenommen fühlten, von der Reaktion zu diesen 52 Veranstaltungen, die wir in vier Tagen gemacht haben, die alle zufrieden waren und sich richtig wohlgefühlt haben hier in der Stadt, mit einem Publikum, das so offen war und alles aufgenommen und aufgesogen hat – das haben wir selten so erlebt.“
Das ganze Interview mit Uwe Köhler lest ihr hier.
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