An diesem Wochenende werden wir Münsteraner Teil eines Kunstwerks – und merken es womöglich überhaupt nicht. Wenn begleitet von vier Tänzern ein verspiegelter Bauwagen durch die Fußgängerzone ruckelt, stehen die eigentlichen Zuschauer darin, hinter dem Spiegelglas. Und alle Passanten rundherum sind die Darsteller. Das ist jedenfalls die Idee hinter „Birdwatching 4×4“, einer Tanzperformance des Belgiers Benjamin Vandewalle. Damit haben wir auch schon viele wesentliche Bestandteile beisammen, wie sie typisch sind für das internationale Festival „Flurstücke 015“, das am Donnerstag eröffnet wurde. Bis Sonnntag Abend wird mitten in der Stadt eine ganze Menge verstörender und irritierender Kunst geboten, das Kunstfestival bietet nämlich Theater, Tanz, Installationen und Performance – meistens ist es eine Mischung von diesen Zutaten.
Das Ergebnis atmet mitunter den Geist von Fluxus und Happenings der 1960er Jahre. So hab ich es jedenfalls empfunden, als am Donnerstag Nachmittag die „Compagnie Cacahuète“ ein totes Schwein durch die Stadt geführt und ihm Läden und Sehenswürdigkeiten gezeigt hat. In diesem „Rundgang mit Schwein“ („Le Tour de Cochon“) steckte doch ein bisschen von der Joseph Beuys-Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“. Provoziert hat die französische Gruppe damit aber weniger die sie begleitenden Kunstbetrachter oder die so überfallenen Ladenbesitzer, sondern vor allem die vegetarisch orientierte Netzgemeinde, wie es in den Kommentaren zu einem zeitgleich veröffentlichten Bild der Performance auf unserer Facebook-Seite zu lesen ist.
Teil einer ironischen Performance wurde unversehens auch Oberbürgermeister Markus Lewe, der eigentlich nur die Eröffnungsworte sprechen wollte. Die Künstler hatten ihn überredet, das von dem winzigen Balkon seines Büros aus zu tun. Vom Rathausinnenhof aus betrachtet, sah es ein wenig nach Karnevalsproklamation im Puppentheaterformat aus. Vor allem als er von Claire Howells („Theater Titanick“) Schutzbrille und Ohrschützer verpasst bekam, damit er sich nicht an der harmlosen Konfettikanone verletzt, die sie ihm dann in die Hand drückte. Mit einem Goldflitter-Regen gab er dann den Startschuss für eine Party, zu der Viktor Marek, DJ aus dem Golden Pudel Club (Hamburg), zusammen mit Ashraf Sharif Khan an der Sitar aufspielten.
Einen fulminanten Abschluss lieferte das „Theater Titanick“ mit seiner Hochofensinfonie am Aasee. Zum 25-jährigen Jubiläum kehrte man dort hin, wo damals alles startete. Uwe Köhler, Regisseur und künstlerischer Leiter des Theaters, dankte der Stadt als Geburtshelfer der ersten Stunde. „Titanick ist für Münster ein großes Geschenk“, erklärte Bernadette Spinnen von Münster Marketing, „und auch Zukunft werden wir uns die Förderung von Theater im öffentlichen Raum auf die Fahnen schreiben“.
Der Donnerstag war aber nur der Auftakt, es folgt bis Sonntag noch ein bunter Reigen von zauberhaften Veranstaltungen, und fast alle ohne Eintrittsgeld. Hier ein paar Tipps:
- „Transports Exceptionnels“ – ein Ballett von Mensch mit Bagger, das die französische Gruppe „Beau Geste“ auf der Stubengasse am Freitag und Samstag jeweils um 15:00 und 18:00 Uhr darbietet
- „Figures Libres“ – eine multimediale Straßenparade mit der französischen Compagnie „KompleXKapharnaüM“ am Freitag, Start 22:30 Uhr in der Stubengasse
- „Hochofensinfonie“ – ein Spektakel mit dem Theater Titanick am Samstag, ab 21:30 Uhr an den Aaseekugeln
- „As The World tipped“ – Hochseiltänze zum Thema Klimakatastrophe an einer großen Wand, mit der Gruppe „Wired Aerial Theatre“ aus Liverpool, am Samstag ab 22:45 Uhr auf dem Schlossplatz
- „Underground III – Work in Progress“ mit Tänzern des „Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“ in einem Parkhaus(!), am Sonnntag 22:00 Uhr (Achtung: kostenlose Karten gibt es ausschließlich am Sonntag, ab 11 Uhr, im Festivalzentrum in der Stadthausgalerie, nur eine Karte je Person!)
Weitere Informationen zum Festival gibt es unter www.flurstuecke.com, viele Bilder des Tages seht ihr in unseren Fotostrecken.
Mit einer provokanten Aktion eröffnete gestern die Gruppe "Compagnie Cacahuète" das Kunst-Festival "Flurstücke 015": sie kutschierten ein totes Schwein in einer Schubkarre durch die Stadt. Sie versuchten, damit in Läden, Busse und sogar die Lambertikirche hineinzukommen. Sie tauften es im Lambertibrunnen. Und am Ende wurde das Ferkel bei der Eröffnungsparty im Rathausinnenhof zerteilt und auf den Grill gelegt und an die Gäste verteilt. Unser Fotograf Thomas Hölscher hat ein Foto dieser "Tour de Cochon" bereits gestern auf unserer Facebook-Seite veröffentlicht - und damit prompt für heftige Diskussionen über diese "Schweinerei" gesorgt. Für Aufregung hat diese Performance nicht wie erwartet bei den Ladenbesitzern, Busfahrern und Kirchenleuten gesorgt, sondern vielmehr bei der Netzgemeinde. Deshalb fragen wir nun: Wie weit darf Kunst in euren Augen gehen? Gebt uns eure Kommentare hier oder bei Facebook.
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