Antifa im Kino Filmkritik: "Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte"

"Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte" läuft in Münster im Cinema. (Foto: Screenshot / Leftvision)
„Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ läuft in Münster im Cinema. (Foto: Screenshot / Leftvision)

Der Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ zeigt einen seltenen Einblick in die Antifa-Szene der 90er und 2000er. Nachdem der Saal bei der Erstaufführung vollständig ausgebucht war, entschied sich das Cinema für tägliche Vorführungen seit Donnerstagsabend.

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Zwischen Mythos und politischer Praxis

“Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte” fängt Mythos und politische Praxis mit der Linse ein. Dazu befragt das Filmkollektiv “leftvision” fünf Antifaschist*innen, die jahrelang als organisierte Antifas aktiv waren und die Baseballschlägerjahre, also einen der Höhepunkte rechter Gewalt, miterlebten. Die Aktivist*innen berichten dabei von ihrer Recherche, Motivation und Bereitschaft zum militanten Selbstschutz.

Ungewöhnlich offen berichten Antifas von ihren Erfahrungen in der Szene, ihren Utopien und Befürchtungen. Untermalt werden die Berichte von Archivmaterial, das linke Proteste, Neonaziaufmärsche und Pogrome zeigen. Trotz Dokumentationsformat gelingt den Filmemacher*innen eine kämpferische Ästhetik, die die Zuschauer*innen in ihren Bann zu ziehen weiß.

Von notwendiger Militanz

Für Diskussionen sorgt vor allem die schonungslose Beschreibung von militanten Aktionen. Dazu berichten einige der Aktivist*innen, wie sie in Straßenkämpfen mit Neonazis verwickelt waren. Die Praxis folgte als Reaktion auf Pogrome wie in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, bei denen die Polizei rassistische Ausschreitungen zuließ und der Titelzusatz “wo der Staat versagte” anknüpft. Deutlich wird auch, dass “Nie wieder” für die Organisierten mehr als eine politische Floskel sein soll und konkretes Handeln bedürfe.

Selbstkritik und Ausblick auf die Zukunft

Die Antifas, die zu Wort kommen, berichten vor allem aus der Perspektive ihrer Jugend. Während der erste Teil des Films linke Selbstkritik kaum behandelt und der Eindruck entsteht, den Mythos Antifa weiter zementieren zu wollen, dreht sich das Bild im Fazit.

30 Jahre sind vergangen, die extreme Rechte ist auf dem Vormarsch und einer der Interviewten fragt sich, inwieweit ihre Arbeit das womöglich nur verlangsamt, nicht verhindert hat. Nun stehen faschistische Kräfte doch wieder kurz davor, die Macht zu ergreifen und Neonazis werden alltäglicher, wie zuletzt bei den Versuchen, Christopher-Street-Days anzugreifen oder wie der Neonaziaufmarsch in Solingen. Und dass der Film im Kontext des erwartbar gewesenen Ausgangs der Wahlen in Thüringen und Sachsen erscheint, wird kein Zufall sein.

Kinosaal ausgebucht und neue Vorführungen im Cinema

Schon an der Abendkasse gab es keine Tickets mehr, sodass sich das Cinema entgegen des vorläufigen Plans dazu entschied, dem Film mehr Spielzeiten einzuräumen: “Wir freuen uns über die große Nachfrage am Dokumentarfilm ‘Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagt’ und hoffen, dass er viele Besucher*innen erreicht und inspiriert, sich für eine radikale Vielfalt zu engagieren”, kommentiert das Cinema auf Nachfrage den Erfolg. Und ergänzt unmissverständlich mit deutlichen Worten, “Angesichts der gegenwärtigen Bedrohung von Rechts, ist es höchste Zeit, dass wir uns als Gesellschaft mit steigendem anti-muslimischen und anti-arabischen Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit und anderen Diskriminierungsformen auseinandersetzen. Als Kulturinstitutionen tragen wir die Verantwortung, politische und gesellschaftliche Diskurse voranzutreiben und damit Räume für Begegnung und Austausch zu schaffen.”

Das Kino an der Warendorfer Straße trägt damit die untrennbare Verzahnung von Kultur und Politik nach außen. Ein Besuch im Cineplex und einer im Cinema sind am Ende des Tages dann doch zwei gänzlich unterschiedliche Erfahrungen.

Fazit

Ein Film, der niemanden kalt lässt und sowohl empören, verunsichern als auch motivieren und mobilisieren kann. Im Abspann, in dem auf historische antifaschistische Aktionen verwiesen wird, fügt sich die Darstellung in der Dokumentation wie ein Puzzleteil in den internationalen Kampf gegen den Faschismus ein. Das Kollektiv “leftvision”, was sich schon für die Filme “Hamburger Gitter” (2018) und “Rise up” (2022) verantwortlich zeichnet, schafft mit seinem neuen Werk eine Nahaufnahme der Antifaarbeit, die bis dato zu wenig gesehen blieb und dokumentiert ein Zeitgeschehen, was zum Nachdenken anregt. Ob organisierte Antifas oder Interessierte, die dem Rechtsruck zwar entgegenstehen wollen, mit dem “schwarzen Block” aber hadern: Hinschauen und Zuhören lohnt sich.

Der Film trägt einen wichtigen Teil zur Debatte um den antifaschistischen Kampf bei und ermöglicht auch denen, die die Baseballschlägerjahre nicht mitbekommen haben, eine Lehre aus der Arbeit der damals Aktiven zu ziehen – ganz besonders jetzt, in einer Zeit, in der händeringend nach Lösungen für den Rechtsruck gesucht wird und werden muss.

Spielzeiten: 06.09., 18:00 Uhr, 07.09., 17:10 Uhr, 08.09., 18:30 Uhr, 09.09., 18:00 Uhr, 10.09., 21:00 Uhr | Cinema (Warendorfer Straße 47)

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