Das Publikum im Schloßtheater bejubelte die Schauspieler Eugene Boateng und Prince Kuhlmann, nachdem es den Film „Borga“ gesehen hatte, mit dem das Filmfestival Münster 2021 am Samstag offiziell eröffnet wurde. Noch bis zum nächsten Wochenende werden dort Filme gezeigt und bewertet, bis zur Preisverleihung am 25. September.
Gewohnt charmant moderierte Gian-Philip Andreas den Abend im Schloßtheater. Dabei begrüßte er nicht nur die Jury-Mitglieder der insgesamt drei Wettbewerbe, die fast alle anwesend waren, sondern stellte auch die für so ein Festival wichtigen Kooperationspartner und Förderer vor. Dass nicht wie ursprünglich geplant ein Vertreter vom NRW-Kulturministerium zur Begrüßung anwesend war, wollte er aber nicht verstanden wissen als „Papa bezahlt die Party, aber wir sind froh, dass Papa sich nicht selbst dazu eingeladen hat“. Diese Vorlage griff Oberbürgermeister Markus Lewe natürlich sofort auf: „Ich bin aber nicht der Papa der Stadt Münster“. Für Lewe war dies der erste Kinobesuch seit dem ersten Lockdown, er fühlte sich daher noch „wie auf einem Raumschiff“.
Auf das Hygienekonzept gingen natürlich auch Risna Olthuis und Carsten Happe ein, die das Filmfestival Münster wie schon in den Vorjahren leiten. Immerhin hatten sie auch schon 2020 mit den „Litfilms“ ausprobieren können, wie ein Festival unter Corona-Bedingungen stattfinden kann. Mit 3G haben sich nun für sie annehmbare Bedingungen ergeben, wie auch für den ganz normalen Kinobetrieb. Vor allem freuten sie sich über die viel längere Festivaldauer als bisher üblich, die den Ablauf deutlich entzerren würde. Es findet nun nicht mehr alles geballt an einem längeren Wochenende statt, sondern über 10 Tage verteilt und überwiegend abends. Gian-Philip Andreas warb daher für den Besuch des letzten Abends am kommenden Sonntag, an dem der Gewinnerfilm des Europäischen Spielfilmwettbewerbs noch einmal gezeigt wird. Das wäre doch was für alle, die dann keine Lust mehr auf die Elefantenrunde nach der Bundestagswahl hätten. Und für alle, die Angst vor dem haben, was politisch noch kommt, empfahl er der Film „Fahrstuhl des Grauens“. Dieser Film des Niederländers Dick Maas aus dem Jahr 1983 wird am Freitag (24. September) ab 22:30 Uhr in der Reihe „Focus NL“ gezeigt.
Gute Chancen, den Europäischen Spielfilmwettbewerb zu gewinnen, hat tatsächlich der bei der Eröffnung am Samstag gezeigte Film „Borga“, das Spielfilmdebüt von York-Fabian Raabe. Der deutsche Regisseur, der bisher nur Kurzfilme und Dokumentationen gedreht hat, konnte leider nicht selbst anwesend sein. Dafür stellte sich aber der Hauptdarsteller Eugene Boateng vor, der auch an der Produktion beteiligt war, und beantwortete nach der Aufführung zusammen mit Schauspieler Prince Kuhlmann Fragen aus dem Publikum. Beide sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, haben aber ghanaische Wurzeln, derer sie sich beim Drehen auch immer stärker bewusst geworden sind. So werden im Film viele Dialoge in Twi gesprochen, einer der vielen Sprachen des Landes.
Als Eugene Boateng zu den Vorbereitungen der Dreharbeiten stieß, stand das Skript schon, war aber noch komplett auf Deutsch. Durch seinen Einfluss ermöglichte er Regisseur Raabe, den Film konsequent aus ghanaischer, schwarzer Perspektive zu erzählen. In Accra drehten sie daher auch fast ausschließlich mit einem einheimischen Team und Schauspielern. Ihm war es wichtig, „wie wir Ghana nach außen transportieren“.
Die Geschichte: Kojo (als Erwachsener gespielt von Eugene Boateng) wächst mit seinem Bruder auf einer Elektroschrott-Müllhalde in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie mit dem Sammeln von Metallen, die sie aus westlichen Elektrogeräten gewinnen. Eines Tages hat Kojo eine Begegnung mit einem Borga, die ihn nachhaltig beeindruckt. Zehn Jahre später lässt er seine Familie in Ghana zurück, um in Deutschland seinerseits ein Borga zu werden. Dort angekommen, wird ihm schnell klar, dass er einem Mythos nachgejagt ist. Doch eine Rückkehr kommt nicht in Frage, und als er sich in Lina (Christiane Paul) verliebt, scheinen sich die Dinge zum Positiven zu wenden. Das schnelle Geld aber fordert von Kojo Entscheidungen, die nicht immer die richtigen sind.
Mit „Borga“ werden in Ghana die Männer bezeichnet, die nach ihrer Migration in Europa reich geworden sind, zum Beispiel in Hamburg. Denn von „Hamborg“ ist das Wort „Borga“ abgleitet, wie das Publikum am Samstag im Schloßtheater erfuhr. Als typischer Borga tritt Kojo bei seinen ersten Besuchen in der Heimat ziemlich großkotzig auf, obwohl er sich das Geld dafür erst noch verdienen muss. Er will seine Familie unterstützen, wie es vermeintlich von ihm erwartet wird, aber die muss einen hohen Preis dafür bezahlen.
Seitdem „Borga“ beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2021 im Januar gleich vier Preise abgeräumt hat, unter anderem für den besten Spielfilm, bekam auch Eugene Boateng immer mehr Aufmerksamkeit. Die Zeit bezeichnete ihn schließlich in der letzten Woche als „gefragtesten Schauspieler Deutschlands“, was ihm echte Begeisterungsstürme entlockte, als Moderator Gian-Philip Andreas das erwähnte („Heiß! Ich kippe regelmäßig um und frage mich, ob es real ist“). Noch viel wichtiger sei ihm aber, dass der Film dazu beiträgt, „die Türen zu öffnen, um neue Geschichten zu erzählen“. Ab dem 28. Oktober läuft der Film im regulären Kino-Programm. „Schaut ihn und nehmt die Message mit“, war daher der gemeinsame Appell von Eugene Boateng und Prince Kuhlmann. Letzterer wies abschließend noch darauf hin, „Borga ist kein Flüchtlingsfilm, es ist ein Familienfilm“.
Das Programm und weitere Infos zum Filmfestival Münster 2021 findet ihr unter filmfestival-muenster.de
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