Femizid nach über 20 Jahren vorm Landgericht Heute fand der Prozessauftakt zu einem mutmaßlichen Femizid statt / Frau wurde 2003 mit 66 Messerstichen getötet

Im Gebäude des Landgerichts fand heute der Prozessauftakt zu einem mutmaßlichen Femizid statt. (Foto: Isaak Rose)

Heute begann am Landgericht Münster die auf insgesamt sieben Prozesstage angesetzte Verhandlung gegen einen 52-jährigen Mann, dem vorgeworfen wird, im Jahr 2003 eine damals 37-jährige Frau mit 66 Messerstichen getötet zu haben. Verhandelt wird unter anderem wegen Mord.

Der damals 31-Jährige soll die Getötete vor ihrer Arbeitsstelle in Münster an der Windthorststraße abgepasst haben. Laut Vorwurf der Staatsanwaltschaft zwang er sie mit einem Messer, in ihr Auto zu steigen und in ein Naturschutzgebiet bei Burgsteinfurt zu fahren. Neben der Steinfurter Aa soll er sie, nachdem er sie mit 66 Messerstichen tötete, verscharrt haben.

Das mutmaßliche Motiv des Angeklagten soll Rache sein, weil sich die Frau nach ihrer gemeinsamen Beziehung 2002 von ihm trennte. Der Trennungsgrund sei gewesen, dass der Angeklagte die Verstorbene bereits in der Beziehung geschlagen habe.

Femizid statt Beziehungstat

Femizid bezeichnet “die Tötung von weiblichen Personen durch männliche Personen, weil sie weiblich sind”. So zumindest definierte die Soziologin Diana E. H. Russell den Begriff, den sie schon in den 1970er Jahren in den Diskurs einbrachte. Jedenfalls geht es dabei immer um eine Ausprägung von Sexismus, die mit tödlicher Gewalt gegen weiblich gelesene Personen gerichtet ist. In der juristischen Diskussion geht es in Deutschland unter anderem darum, die Mordmerkmale um “geschlechtsspezifische Beweggründe” zu erweitern. Wenngleich, wie in diesem Fall, auch ohne eine Änderung durch den Gesetzgeber bereits vorhandene Mordmerkmale die Tat als “Mord” kategorisieren können.

Ein Schild, das auf den 25. November als “Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen” hinweist, steht direkt vor den Gebäuden des Land- und Amtsgerichts. (Foto: Isaak Rose)

Unabhängig von der juristischen Diskussion ist der Begriff auch eine vehemente Abgrenzung von vereinfachten Darstellungen als “Beziehungstat”. Ein Blick in die kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt von 2021 zeigt, dass bei mehr als 37% der versuchten oder vollendeten Tötungen einer Frau der männliche (Ex-)Partner tatverdächtig war. Bei den Tötungsdelikten an Männern waren nur vier Prozent der Tatverdächtigen weibliche (Ex-)Partnerinnen.

Im konkreten Fall werden die weiteren Verhandlungstage mehr Aufschluss über eine mögliche Motivation des mutmaßlichen Täters aufzeigen. Der Anklageschrift folgend, wäre die Einordnung jedenfalls eindeutig. Die Tötung einer Frau aus Rache, weil sie von ihrer freien Entscheidung Gebrauch macht, sich zu trennen. Das zeigt eindeutig, dass ein möglicher Täter glaubt, patriarchale Besitzansprüche an seine Partnerin zu haben. Wenn der Grund für eine Trennung womöglich Gewalt in der Beziehung selbst, ausgeübt durch den Mann, ist, wird das Bild nur noch deutlicher und erschreckender.

Mehr als 20 Jahre zwischen Tat und Prozess

Im vorliegenden Verfahren ist die lange Zeitspanne zwischen Tat und Prozess durch den flüchtigen Tatverdächtigen bedingt. Seit 2003 fahndeten die Ermittlungsbehörden nach dem Mann und konnten ihn erst 2018 durch einen DNA-Treffer im Abgleich mit den französischen Strafverfolgungsbehörden ausfindig machen. In Frankreich wurde der Angeklagte bereits zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt. Im Oktober diesen Jahres lieferten die französischen Behörden ihn dann nach Deutschland aus, wo er seitdem in Untersuchungshaft sitzt.

Dass Mord nicht verjährt, gilt in Deutschland heute als selbstverständlich. Dem voraus ging eine lange politische Debatte. Um die Verbrechen im Naziregime nicht ungesühnt zu lassen, wurde in der BRD erst 1969 die Verjährung von Völkermord aufgehoben, in der DDR bereits 1964. Seit 1979 verjährt auch der Mord nach § 211 Strafgesetzbuch nicht mehr. Zuvor verjährte Mord nach 20 Jahren.

Stille im Gerichtssaal
Am Morgen kam es zu längeren Schlangen vor dem Eingang des Landgerichts, auch wegen eines hohen öffentlichen Interesses an der Verhandlung. (Foto: Isaak Rose)

Der Angeklagte selbst äußerte sich zu keinem Zeitpunkt. Weder verteidigte er sich, noch bestätigte er überhaupt verpflichtende Angaben zu seiner Person. Die Richterin blieb sachlich und setzte den Prozess vor, nachdem klar war, dass der Angeklagte keine Angaben zu seiner Person machen würde. Für die Öffentlichkeit wirkte es zudem so, dass er nicht mit seiner Anwältin sprach. Als dann Fotos vom leeren Tatort über zwei große Fernseher angezeigt wurden, schaute er nicht hin.

Im Publikum herrschte eine bedrückende Stille, als die Bilder gezeigt wurden. Die Grausamkeit der Tat und die Auslöschung des Lebens ist auch nach zwei Jahrzehnte noch zu spüren.

“87 Femizide in Deutschland im Jahr 2024”

Laut der Seite “femizide_stoppen” auf Instagram gab es allein in diesem Jahr 87 Femizide in Deutschland. Die Seitenbetreiber*innen zählen jeden einzelnen. Sie sammeln zudem Medienberichte und Informationsmaterial und fordern politische Mobilisierung gegen die “höchste Form patriarchaler Gewalt”.

Gegen patriarchale Gewalt wird es in Münster wie jedes Jahr am 25. November um 18 Uhr eine Demonstration zum “Tag gegen Gewalt an Frauen und Queers” in der Stubengasse geben. Ebenso muss im Kontext patriarchaler Gewalt an den 20. November, der Gedenktag “Trans* Day of Remembrance”, erinnert werden. In Münster findet an dem Tag um 16:30 Uhr an den Aasee-Terrassen eine Kundgebung statt.

Die folgenden Verhandlungstage vor Gericht werden ebenfalls öffentlich zugänglich sein. Trotz großem öffentlichen Interesse waren auch zum Verhandlungsbeginn noch Plätze frei. Die folgenden Tage sind als Fortsetzungstermine angesetzt, jeweils ab 9 Uhr: 03.12, 09.12, 10.12, 17.12, 20.12, 08.01.

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