Der Münsteraner Ableger der Klimaprotest-Gruppe “Letzte Generation” überraschte die Besucher*innen der Arkaden am Mittwochabend mit einem unangemeldeten Protest unter dem Motto “Besinnlich in die Katastrophe – Klimaschutz = Nächstenliebe”.
Noch während die Aktivist*innen ihre orangene Westen anzogen und ein großes Banner mit dem Slogan der Versammlung herauskramten, schritt das Sicherheitspersonal ein und entriss ihnen ihr Material. Noch mit dem Stoffbanner in der Hand, griff ein Mitarbeiter einen jungen Aktivisten am Kragen und schleifte ihn einige Meter durch das Obergeschoss des Gebäudes.
Erst durch das Eingreifen einer unbeteiligten Besucherin des Einkaufszentrums ließ der Mitarbeiter schließlich von ihm ab. “Ich möchte nicht, dass Sie gewalttätig werden. Sie haben ihn am Kragen gepackt”, entgegnete sie dem Mann, der noch immer das Banner der Gruppe hielt. Eine immer größere Menschentraube hatte sich mittlerweile um die Gruppe gebildet. Viele davon mit ihrer Smartphone-Kamera auf dem Geschehen. Unter dem hohen Druck durch die vielen Augen entspannte sich die Situation etwas und die Rausschmeißversuche wurden weniger gewaltsam.
Eskalation mit den Sicherheitsmitarbeitern
Auf Nachfrage von ALLES MÜNSTER geben die Betreiber*innen an, Mitarbeiter seien nur in “Ausnahmefällen, wie etwa im Falle von Notwehr” zum Einsatz von körperlicher Gewalt berechtigt. Sie bezeichnen den Protest als “deutlich wahrnehmbar” und den Verlauf als “im üblichen Rahmen”. Demonstrationen in den Arkaden würden sie grundsätzlich nicht genehmigen.
Mit ersten Redebeiträgen begannen die Aktivist*innen unbeirrt von den Auseinandersetzungen: “Bei der Klimakrise geht es um Gerechtigkeit. Die Menschen, die sie am meisten verursachen, sind die, die am wenigsten davon betroffen sind.” ist zu hören. Die Handgemenge mit dem Sicherheitspersonal fanden dabei weiterhin statt. Mehrfach wurden Banner der Gruppe durch das Personal im Müll entsorgt, nur um kurz darauf wieder von den Aktivist*innen herausgefischt zu werden.
Reaktion der Besucher*innen
Der Protest wurde durch die umherstehenden Gäste unterschiedlich aufgenommen. Unbeteiligte äußerten sich immer wieder lautstark. Während einige die Aktivist*innen beschimpften und den Protest mit “Man hat hier sowas nicht zu machen!” verurteilten, argumentierten andere, vor allem ältere Personen, für den Umweltprotest. Dabei wurde wiederholt der gewalttätige Einsatz der Sicherheitsmitarbeiter kritisiert. Die Protestteilnehmer*innen seien friedlich und man solle sie dort doch einfach stehen lassen.
Einsatz der Polizei
Erst als die Polizei dazukam, endete der fortlaufende Konflikt mit den Mitarbeitern. Allerdings verwiesen die Beamt*innen die Gruppe nicht aus den Arkaden, sondern forderten einen besonnenen Umgang mit der Situation von allen Beteiligten. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schütze auch unangemeldeten Protest. Dennoch mussten die Aktivist*innen ihre Personalausweise vorzeigen. In Frage kommt ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, das eine Anmeldefrist von 48 Stunden für Versammlungen vorsieht. Mögliche Ausnahmen, die für Eil- und Spontanversammlungen gelten, sind laut Polizei hier nicht einschlägig. Nach Angaben der Pressestelle der Polizei wurden sechs Strafanzeigen gefertigt. Sie bewertet die Versammlung als friedlich.
Statement der Letzten Generation
Die “Letzte Generation” selbst hat sich unmittelbar nach dem Protest mit einer Pressemitteilung geäußert. Die Aktivist*in Chiara Pohl kritisiert, dass die Politik die Augen vor der Realität verschließe. Es werde an einem Wirtschaftssystem festgehalten, das auf Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit basiere. Sie fordert insbesondere auch die lokale Politik in Münster zum Handeln auf. Der Aktivist Hannes Sommerkamp ergänzt, dass 2024 das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen sei. Tatsächlich berichtete der Copernicus Climate Change Service der EU bereits im November davon. Sommerkamp weist zudem darauf hin, dass weltweit Menschen unter der aktuellen Klimapolitik leiden, während hier weiterhin ein komfortables Leben genossen würde.
Die Gruppe der “Letzten Generation” aus Münster kündigt zudem an, “ihren Widerstand” auch 2025 “weiterhin auf die Straße zu tragen” und spricht von “spektakulären Widerstandsaktionen”
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Arkaden als Ort für politische Auseinandersetzung – Ein Kommentar von Isaak Rose
Neben der Debatte um den Klimawandel hat der Protest die Frage aufgeworfen, inwieweit die Arkaden einen Raum für den politischen Diskurs darstellen können. Der Protest wurde von einigen Personen vor Ort als Störung des “Weihnachtsshoppings” bezeichnet. Die Leute würden nur einkaufen wollen und nicht mit dem Klimawandel konfrontiert werden wollen, so ein Zuschauer.
Ein Recht darauf, in der Öffentlichkeit von Politik ferngehalten zu werden, besteht jedoch nicht. Ein durchkommerzialisierter Raum wie ein Einkaufszentrum, der öffentlich zugänglich ist, muss wohl weder von Sicherheitspersonal noch von der Polizei vor friedlichen Protesten geschützt werden. Dass die “Letzte Generation” auch gelegentlich kleinere rechtliche Grenzen überschreitet und die Aktivist*innen dabei bewusst ein Eigenrisiko tragen, ist weder neu noch überraschend. Angesichts der Bedeutung des Anliegen der Gruppe, sind banale Regelverstöße wie die Nichteinhaltung einer 48-stündigen Anmeldefrist kaum der Rede wert. Vor Gericht müssen sich die Aktivist*innen trotzdem häufig verantworten. In Münster zum Beispiel das nächste Mal am 27. Januar um 9 Uhr vor dem Amtsgericht.
Es würde uns gut tun, zivilen Ungehorsam in einem größeren Spektrum des politischen Diskurses zu begreifen, statt jeden noch so kleinen Regelverstoß zu verteufeln. Man muss die Aktionen der Gruppe nicht gut finden, um zu verstehen, dass niemand beim friedlichen Demonstrieren am Kragen durch die Arkaden gezogen werden sollte. Das sieht übrigens auch der Gesetzgeber so und sieht zumindest bei Ordnungswidrigkeiten ausdrücklich vor, dass die Behörden Verfahren nach eigenem Ermessen einstellen können. Auch bei Straftaten kann die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit und fehlendem öffentlichen Interesse einstellen. Dass Aktivist*innen in den Arkaden die Klimakatastrophe thematisieren, dazu Schilder hochhalten und singen, ist an Unrechtsgehalt wohl kaum zu unterbieten. Sich dabei eine Öffentlichkeit vorzustellen, die Interesse an der Bestrafung der vor allem jungen Menschen hat, fällt schwer.
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