Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht, dies gilt insbesondere für Hilfseinsätze in Krisengebieten. Um Helfer auf die besondere Situation in Kriegsgebieten oder nach Naturkatastrophen professionell vorzubereiten, wurde jetzt in Münster die academy for humanitarian action (aha) gegründet. Kooperationspartner sind die Ruhr-Universität Bochum (RUB), die Aktion Deutschland hilft und die Fachhochschule Münster (FH). Unterstützt wurde das Projekt von der Allianz für Wissenschaft (Münster Marketing) und von der Akademie der Ruhruniversität Bochum.
„Gemeinsam sind wir unschlagbar“, ist sich Professor Joachim Gardemann sicher. Der Kinderarzt leitet das Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe der FH und ist Mitglied des Lenkungsausschusses der neu gegründeten Akademie. Während die Stärken der RUB in den Bereichen Völkerrecht, Politikwissenschaft und Management liegen, steuert die FH Münster das Wissen nahezu aller ihrer Fachbereiche bei, insbesondere Ernährungswissenschaften, Architektur, Maschinenbau, Bauingenieurswesen, Design, Elektrotechnik oder auch Informatik, „Wir ergänzen uns ideal. Gemeinsam decken wir das gesamte Spektrum ab.“
Bislang gab es in Deutschland keine Einrichtung, die zentral für die Fort- und Weiterbildung von Helfern in Krisengebieten zuständig war. „Deutschland war wegen seiner Geschichte immer etwas im Hintertreffen beim internationalen Engagement, verglichen zum Beispiel mit Frankreich, Großbritannien oder Belgien, in diesen Ländern hatte das schon immer einen anderen Stellenwert“, berichtet Gardemann, „erst seit der Wiedervereinigung wurden wir allmählich zum vollwertigen Player auf diesem Gebiet.“ Den Ursprung hatte die Gründung der aha in einer Initiative des „Koordinierungsausschusses Humanitäre Hilfe“ des Auswärtigen Amtes, in dem neben rund 30 Hilfsorganisationen auch zwei Hochschulen vertreten sind, die Ruhr-Universität Bochum und die FH Münster.
Hintergrund ist, dass Fachwissen in der Regel nicht ausreicht, um sinnvoll Hilfe leisten zu können, in Kriegsgebieten oder nach Naturkatastrophen gelten oft andere Spielregeln. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Ingenieur, der nur mit seiner Ingenieursexpertise in einen solchen Einsatz geschickt wird, vor Herausforderungen gestellt wird, die er wahrscheinlich nicht lösen kann, weil er darauf gar nicht vorbereitet ist“, berichtet der 65-Jährige, der bereits viele Hilfseinsätze koordiniert hat. In der humanitären Hilfe muss laut Gardemann übergreifendes Wissen vorhanden sein. Wer in einem Kriegsgebiet tätig ist, muss die völkerrechtlichen Regeln kennen, damit keine Fehler geschehen, die unter Umständen weitreichende politische Folgen haben können. „Ich muss genau wissen, wie gehe ich mit Militärs um, was mache ich, wenn ich Fahnenflüchtigen begegne. Ich muss aber auch wissen, was Malaria oder Cholera ist und wie ich mich schützen kann. Wie sind in solchen Ländern die Verwaltungen aufgebaut, wen muss ich ansprechen? Das alles kann man wunderbar in einer solchen Akademie zusammenbringen. Das Schöne ist, dass in solchen Kursen ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen, die alle voneinander lernen“, freut sich Joachim Gardemann auf seine Tätigkeit als Dozent in der aha.
Fehler wurden und werden in der humanitären Hilfe früher viele gemacht, oft mit schlimmen Folgen, wie Gardemann weiß. Menschen, die in einem extremen Hungerzustand sind, plötzlich kohlenhydratreiche Ernährung wie Brot oder Kekse zu geben, endete oft tödlich, „die so genannte Realimentation von schwer hungerkranken Menschen ist überaus schwierig. Da ist früher sehr viel sehr falsch gemacht worden, weil es die Einsatzkräfte nicht besser wussten“, berichtet der Kinderarzt. In der 80ern haben Hilfsorganisationen oft Milchpulver in Hungergebiete geliefert. Die Frauen hätten dann aufgehört, ihre Kinder zu stillen und haben das Milchpulver mit schmutzigem Wasser aufgelöst, was zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen führte. Chirurgische Teams aus Hochtechnologieregionen kommen oft in Erdbebengebiete und versuchen, ihre Hightech-Chirurgie auf die Krisengebiete übertragen, das funktioniert aber nicht im Zelt oder unter freiem Himmel, wie Gardemann weiß, „Es gibt Richtlinien für die Kriegs- und Erdbebengebiete.“ Es nutze auch nichts, Medikamente zu verwenden, die nach der Abreise der Hilfsorganisationen nicht mehr verfügbar sind. Überhaupt müsse die Hilfe nachhaltig sein, „Im Sudan einen Brunnen zu bauen ist etwas vollkommen anderes als in Amelsbüren“, ist sich Gardemann sicher. „Sie können auch nicht einfach irgendwo hingehen und ein Krankenhaus aufbauen, ohne vorher mit den Menschen dort zu sprechen, das ginge bei uns ja auch nicht. Sie können ja nicht einfach auf den Prinzipalmarkt ein Krankenhaus stellen. Sie müssen wissen, ob Sie vorher mit dem Oberbürgermeister oder dem Gesundheitsamt sprechen müssen.“
Das breite fachliche Spektrum der FH Münster ist für den Experten wie ein Füllhorn an Möglichkeiten, um den Besuchern der Akademie eine bestmögliche Vorbereitung auf ihre Einsätze zu bieten. Wasserver- und Entsorgung sind zentrale Themen, aber auch die Rekonstruktion zerstörter Gebäude. Oft werden Städte nach einer Zerstörung mit Plattenbauten gesichtslos wieder hochgezogen, hier können Münsters Architekten wertvolle Tipps liefern. „Wie kann man die Erfahrungen aus Münster, auf die wir stolz sind, auf andere Städte wie aktuell zum Beispiel Beirut übertragen? Wie werden Flüchtlingslager aufgebaut? Hier geht es nicht nur um den Zweck sondern auch Menschlichkeit“ betont Joachim Gardemann. Vollkommen neue Möglichkeiten bietet der 3D-Druck: „Wenn man sehr weit weg ist und es fehlt eine Schraube an einem Gerät, dann kann man sich das Ersatzteil ausdrucken, bis das Originalteil nach ein paar Wochen geliefert wird.“ Oder auch die nonverbale Kommunikation: „Wir sind ja manchmal in Regionen, in denen die Menschen keine bekannte Sprache sprechen und vielleicht auch nicht Lesen und Schreiben können. Dann benötigt man Symbole, die jeder Mensch weltweit verstehen kann, das ist ein Thema für die Designer.“
Die Angebote der academy for humanitarian action wendet sich sowohl an Personen, die bereits in der humanitären Hilfe tätig sind, als auch an Menschen, die sich auf einen solchen Einsatz erstmals vorbereiten wollen, „wir sind offen für jeden!“, ist Professor Gardemann wichtig.
Fotos: Bührke
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