Der bekannte Zeichner und Illustrator Robert Nippoldt lud zusammen mit dem Trio Größenwahn ein – und das Publikum kam in Scharen. Zu recht, denn diese Show entführte die Zuschauer in ihrer besonderen Art für zweieinhalb Stunden in die glamouröse, aber von vielen Widersprüchen geprägt Welt und faszinierende Zeit der 1920er Jahre. Mit dem Programm: „Ein rätselhafter Schimmer“ gastierten sie am vergangenen Wochenende dreimal ihm viel zu kleinen und schon lange ausverkauften Veranstaltungssaal des Kreativ-Hauses.
In bewährter Manier trat das Ensemble in seiner Stammbesetzung aus Robert Nippoldt und dem Trio Größenwahn bestehend aus Lotta Stein als Sängerin, Christian Manchen am Klavier und Christoph Kopp am Kontrabass auf.
Es waren tatsächlich harte Zeiten damals. Daran ändert auch der Glamour nicht, den die Stars und Sternchen in der Aufbruchzeit zwischen den beiden Weltkriegen verbreiteten. Elektrizität, Weimarer Republik, wirtschaftlicher und technologischer Aufbruch und Krise, und die Shows in den aufstrebenden Varieté: Alle wesentlichen Themen vereint Nippoldt mit seinen Mitstreitern in seiner Show.
Gleich zu Anfang wird der Bogen gespannt zu der Coronapandemie, die uns fast genauso lange wie vor 100 Jahren die Spanische Grippe im Griff hatte. Dann allerdings startet die aberwitzige und detailverliebte Nummernrevue durch, mit der dann Nippoldt und seine Mitstreiter das Publikum in ihren Bann ziehen.
Mit seiner Show schlägt das Quartett die Brücke zu den neu entstehenden Massenmedien Radio und Stummfilm. Üblicherweise wurde damals in den Kinos der Film live vertont. Hier aber kann das Publikum erleben, wie auch auf der großen Leinwand die überwiegend schwarz-weiße Animation live entsteht. Wie ein Fernsehkoch, der schon etwas vorbereitet hat, arbeitet Nippoldt mit einer unerschöpflichen Anzahl an Requisiten, Schablonen, Scherenschnitten und Hintergründen. Pinsel tanzen im Rhythmus der Musik und werden so neben den Musikern zu den Stars des Abends.
Wenn Nippoldt in unaufdringlicher Art und geschickter als die meisten Pädagogen seine Begeisterung für diese Zeit vermittelt, dann wünscht man sich, in der Schule Geschichtslehrer gehabt zu haben, die wie er nicht staubtrocken an Lehrbüchern festgehalten hätten. Unter dem Projektor auf der Bühne entstehen illustrierte Präsentationen, die jede Bulletpoint-Sammlung in Powerpoint in den Schatten stellen.
Neue Nummern wechseln sich ab mit Klassikern dieser Show, die zum wiederholten Male begeistert. Wie die Seeräuberjenny oder die Nachstellung der ersten Atlantiküberquerung von Europa nach Amerika mit einem Junkers-Flugzeug. Wir sehen zunächst das in der Ebene gezeichnete Flugzeug. Dann nimmt Nippoldt es aus der Ebene und die Maschine düst über den metallischen Papierhintergrund hinweg. Während die Zuschauer sehen können, wie am Zeichentisch ein Film entsteht, wenn die Künstler zu zweit die vielen Vorder- und Hintergründe animieren, können sie gleichzeitig den Blick auf die große Leinwand schweifen lassen, um das fertige Ergebnis zu sehen, das im selben Moment kongenial vertont wird von den Musikern.
Ein weiterer Höhepunkt ist die Darstellung der vielen Reichskanzler der Weimarer Republik, in der deutlich wird, wie häufig die Regierungen gewechselt haben. Das Bild jedes Kanzlers samt bissiger Kommentare, wird für jede Monat Amtszeit für eine Sekunde eingeblendet. So wird sehr schnell deutlich, wie fragil die Demokratie damals von Anfang an gewesen war.
Immer wieder arbeitet das Team daran, ihre Nummern zu überarbeiten. So können wir bei der Entdeckung des Grabs von Tutanchamun dabei sein, wenn Nippoldt mit den Pinselstrichen den Wüstensand förmlich siebt und die Artefakte auf der Leinwand ausgegraben werden. Sehr synchron wird die Bebilderung durch die Musiker untermalt. Mal stehen die Bühnendarstellung im Vordergrund, mal die Zeichnungen. Das Wechselspiel überzeugt. Alles wirkt harmonisch und passt zusammen. Zu keiner Zeit entsteht der Eindruck, dass beide Ebenen in Konkurrenz zueinander stehen.
Erschütternd die Passage, in der in einem Lied deutlich wird, dass es sich bei der Weimarer Republik gleichzeitig um die Nachkriegs- und Vorkriegszeit handelt. In der besten Form des Foreshadowings wird der musikalisch besungene Tanz auf dem Vulkan im Hintergrund zunächst mit unverfänglichen Alltagsbildern dargestellt. Streift aber die zeichnerische Lupe über den Hintergrund, da wird schon schemenhaft der brennende Reichstag oder mit den Kreuzen unter der Grasnarbe dargestellt, auf welche Katastrophe das alles zusteuert.
Der Abend überzeugt mit dem Spielwitz aller Beteiligten und der Freude, die sich auch auf die Zuschauer überträgt. Der Detailreichtum ist mitunter überbordend. Allerdings wäre es schön, wenn das Ensemble nicht der Versuchung nachginge, jede Idee auch umzusetzen. Manche Passagen fallen ein wenig aus dem Rahmen, weil sie zu albern sind, wie die Baker Boys, die versuchen, Josephine mit ihrem Bananentanz zu parodieren. In diesen Momenten geht ein wenig der rote Faden verloren und eine stringente Regie täte dem Ablauf gut. In der Vergangenheit konnte Nippoldt und das Trio Größenwahn schon erfolgreich das große Haus des Theater Münster füllen. Die Bühne im Kreativ-Haus ist dafür inzwischen eigentlich zu klein.
Mehr Infos und kommende Termine für die Show findet ihr auf der Homepage ein-raetselhafter-schimmer.de
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