„Was, wenn die Natur zurückschlägt?“ Unter diesem Motto steht das neue Stück „Kipppunkt“ von Theater Titanick und der münsterschen Tanzgruppe bodytalk. Und die Natur schlägt zurück, mit all ihren Elementen: Mit Feuer, Wasser, Eis und Schnee, mit starkem Wind und einem bebenden Berg – und ein wenig auch mit der Tierwelt. Bevor „Kipppunkt“ heute Abend auf dem Stubengassenplatz als offizielle Premiere zur Eröffnung des Festivals „Flurstücke“ präsentiert wird, gab es gestern dort schon die Vorpremiere vor einem wieder einmal begeisterten Publikum.
Es beginnt mit einer Festgesellschaft, die sich mitten durch das Publikum auf Eisschollen auf einen alpin wirkenden Berg zubewegt, um dort eine Hochzeit zu feiern. Was zunächst wie eine dekadente Idee wirkt, entwickelt sich bald zu einem Horror-Szenario. Wo zunächst ausgelassen zu New Orders „Blue Monday“ getanzt wird, bringt ein stürmischer Wind die Tanzfläche bald in eine gefährliche Schräglage. Und dann wird auch noch der Bräutigam vom Berg verschluckt – ist es vielleicht eine Gletscherspalte?
Dennoch geht die Feier weiter, eine gefundene Flugzeugtragfläche wird kurzerhand zum Tisch umgebaut und dann das Essen serviert. Das besteht allerdings aus menschlichen Beinen – wahrscheinlich aus dem abgestürzten Flugzeug? Erst geht die Festgesellschaft angewiedert auf Distanz, um sich dann doch dem Kannibalismus hinzugeben – unweigerlich muss man an die berühmt-berüchtigte „Tragedia de los Andes“ denken, den Flugzeugabsturz einer Rugby-Mannschaft aus Urugay 1972 in den Anden.
Nach und nach übernehmen Vögel das große Fressen und hacken auch auf lebende Menschen ein. Oder sind es Menschen, die sich in Vögel verwandelt haben? Die Handlung wird immer surrealer, die Bildersprache aber bleibt gewaltig, wie eigentlich immer beim Theater Titanick. Neben drei Schauspielern aus dieser Theatergruppe aus Münster und Leipzig stehen vier Tänzer von bodytalk auf der Bühne – wobei „Bühne“ und „stehen“ hier völlig falsche Begriffe sind. Die akrobatischen Fähigkeiten der Tänzer sind auf der sich immer wieder verändernden Fläche oft gefordert.
Die Musik kommt oft vom Band, in den besseren Momenten wird sie live von Jakob Reinhardt dargeboten, der mitten im Stück mitsamt Konzertflügel und Eisbär auf einer Eisscholle herbeigeschoben wird. Das sind dann die Momente, in denen das Publikum ein paar Schritte zurücktreten und Platz machen sollte – das reicht natürlich nicht, um das Stück immersiv zu nennen. Wer sich in den vorderen Reihen auf den Boden setzen möchte, sollte zudem darauf achten, nicht auf einem alten Kaugummi zu landen. Vielleicht besser einen Stuhl mitbringen. Und nicht wundern, dass zu Beginn der Spielmannszug Wolbeck der Freiwilligen Feuerwehr Münster auftritt – das gehört wirklich dazu, was spätestens am Ende klar wird, wenn der Zug mit „Echte Fründe ston zesamme“ noch einmal herbeimarschiert.
"Kipppunkt" wird am Donnerstag (27.06.) ab 22 Uhr als Premiere auf der Stubengasse gezeigt. Das vollständige Programm des Festivals Flurstücke 2024 findet ihr in unserem Überblücksartikel und auf der Homepage www.flurstuecke.com
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