Es ist furchtbar. Furchtbar lustig. Und bisweilen gruselig. Wie ist so eine Mischung möglich? Ganz einfach – in der FSK-18-Show des Improvisationstheaters Scha(r)f im Wolfspelz wird einfach alles miteinander kombiniert, was irgendwie so extrem ist, dass man das Minderjährigen lieber vorenthält. Aber nach festen Regeln und im Rahmen von Spielen des Improvisationstheaters, die Betty Machado erklärt. Sie hat an diesem Abend die Rolle der Moderatorin und wärmt das Publikum schon einmal auf, damit nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Zuschauer unverkrampft in medias res gehen können. Im ersten Spiel präsentieren die Scha(r)f im Wolfspelz-Mitglieder einen klassischen Marathon, d. h. für die erste Szene wählen die Zuschauer Position und Gesichtsausdruck für die beginnenden Darsteller. Da wird weder an Emotionen, noch an Dramatik bei den Gesten gespart und so entstehen bereits am Anfang viele komische Szenen im Sekundentakt – immer unterbrochen von einem Mitglied der Theatertruppe, das ein anderes Mitglied auf der Bühne ablöst.
So richtig in Fahrt kommen die „Scharfen“ beim zweiten, „Spieluhr“ genannten Spiel: Hier ist Konzentration gefragt – in einem Kreis stehen vier der sechs Schauspieler, Christian Berlin (Gitarre) und Gordon Muth (Percussions) sind derweil für die musikalische Untermalung zuständig. Den anderen werden per Zuruf verschiedene Personenbeschreibungen und Gegenstände zugewiesen, die in unterschiedlichen Szenen miteinander agieren, dabei geht es keineswegs nur im Uhrzeigersinn, sondern durchaus auch dagegen, so dass binnen kürzester Zeit umgeschaltet werden muss. Und so entstehen vier unterschiedliche Handlungsstränge, die quasi parallel stattfinden – je nachdem, in welche Richtung sich die Spieluhr dreht. Da gibt es den Autohändler (Rebecca Stratmann), der einen Kunden (Hannah Hardenberg) mit sehr speziellen Wünschen hat, wir werden Augenzeuge eines Horrorszenarios zwischen einem vermeintlichen Liftboy (Sven Stratmann) und eines weiblichen Fahrgasts (Betty Machado), erleben die ungewöhnliche Liebeserklärung nebst Porno-Einlage zwischen einer bekennenden Lesbe (Hannah Hardenberg) und dem heterosexuellem Trans-Mann Bert alias Bettina (Sven Stratmann) und den gewaltbereiten Handwerker (Betty Machado), der bei seiner weiblichen Kundschaft (Rebecca Stratmann) gerne Rohre verlegt.
Das alles wird mit einer Schnelligkeit, Absurdität und einem Witz präsentiert, dass das Publikum immer wieder begeistert ist. Und gemäß den Instruktionen zu Beginn wird bei besonders schönen Szenen laut ein „Bäm“ zur Bühne gerufen, was die Frauen mit einem „Uuh“ und die Männer mit einem „Yeah“ quittieren – so kriegen die Darsteller neben Lachern und Applaus regelmäßig ein Feedback aus dem Publikum.
Bei Typewriter kommt es zu einem Wechselspiel zwischen Schauspielern und einem als Schriftsteller agierenden Darsteller – beide Parteien können eine Gesichte spinnen, den Vorgaben aus dem Publikum entsprechend läuft es auf einen Krimi hinaus – mit dem Donnerstagsmörder, der einen Duschvorhang trägt. Schöne Anleihen gibt es hier musikalischer Art, natürlich muss auf die Sequenz im Hitchcock-Meisterwerk Psycho hingewiesen werden. Aber die Mitglieder erfinden nicht einfach einen Abklatsch des Großmeisters, sondern erweisen eine Reminiszenz und drücken stattdessen mit einem humoristischen Augenzwinkern ihrem Stück den Münster-Stempel auf: So gibt Hannah Hardenberg die leicht dusselige, von sich aber durchaus überzeugte Polizistin, die in Münsters dunkelster Ecke auf Verbrecherjagd geht: Coerde!
In den rund zweieinhalb Stunden der Show wird nichts und niemand geschont; wie es einer FSK-18-Show würdig ist, werden nahezu kein Thema und keine Stellung ausgelassen. Was manchem Zuschauer womöglich die Schamesröte in die Wangen und den Schweiß auf die Stirn treiben würde, wird auf der Bühne ohne mit der Wimper zu zucken umgesetzt – sogar noch schlimmer: mit großer Freude reiten sich die Mitglieder bei dem Spiel „Standdouble“ gegenseitig hinein und sorgen für Ablösung bei den heikelsten Szenen, die sie selbst zuvor vorbereitet haben: Fetisch, Splatter, Porno – alles kein Problem. Verknüpft wird das mit einem oft doppeldeutigen Humor, der ebenso spontan wie die Szene entsteht und das Publikum begeistert, etwa wenn beim Fußfetischisten die Reise in den Harz geht oder in dem Spiel „Liegen, knien, stehen“ der Pornodarsteller im breitesten Bairisch erklärt: „Ich hab früher immer anspruchsvolle Sachen gemacht, aber wegen meinem Dialekt bin ich rausgeflogen!“
Die Schauspieler kommen komplett ohne Requisiten aus, allein durch die auf die Szenen abgestimmte Musik und dem Agieren der Darsteller entsteht beim Publikum ein Bild, im Prinzip ein großes, visuelles Hörspiel. Dass das Ganze auch ohne Bild und nur mit der Musik von Gordon Muth und Christian Berlin funktionieren kann, zeigt das letzte Spiel des Abends, das komplett im Dunkeln stattfindet. Mit einer Zugabe, die ein Best of des gesamten Abends mit abschließendem Musicalstück präsentiert, verabschieden sich die „Scharfen“. Alles in allem also ein ganz normaler Samstagabend mit viel Sex and Crime, Musik und Humor.
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