Es trifft einen einfach. Ausschwitz, Majdanek, Treblinka. Man kann sich der Wucht der Gefühle angesichts der Millionen industriell getöteter Menschen nicht entziehen. Dabei ist das nur eine Bühne, auf der ein paar Männer in zum Teil unterschiedlichen Rollen, Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ aufführen – zum letzten Mal am gestrigen Freitag im Kleinen Haus.
Hätte Papst Pius XII. durch eine öffentliche Stellungnahme den Abtransport und den Mord an tausenden von Juden verhindern können? Bei der Premiere des Stückes 1963 gab es Tumulte, eine Protestwelle, öffentliche Diskussionen, die Justiz wurde bemüht.
Hauptperson ist Pater Riccardo Fontana, ein junger Pater im Vatikan – großartig gespielt von Daniel Rothaug in all seiner Gewissensnot, hin- und hergerissen zwischen väterlicher Treue und untauglichen Versuchen, den Papst zu einer klaren Äußerung zu bewegen. Fontana ist zu Besuch in Berlin beim apostolischen Nuntius, also beim ständigen Vertreter des Papstes. Zeitgleich bittet Kurt Gerstein dort um Audienz. Gerstein (sehr überzeugend: Aurel Bereuter) ist als deutscher Chemiker mit der „Endlösung“ beschäftigt. Zyklon B auf der Basis von Blausäure anstatt Dieselabgase? Gerstein berichtet von abscheulichen Verbrechen, die sich mit dem Christentum nicht vereinbaren ließen. Der Nuntius will Gerstein loswerden und bedient ihn mit hohlen Phrasen „Der Papst ist im Herzen bei den Opfern“. Fontana lässt das aber nicht mehr los.
Als er nach Rom zurückkommt, wo die Kirchenglocken ständig läuten und nicht – wie in Berlin – die Sirenen vor Luftangriffen warnen, sucht er das Gespräch mit seinem Vater, der ranghoher Kirchenmann im Vatikan ist. Deutlicher konnte Hochhuths Kritik an der katholischen Amtskirche nicht ausfallen: Fontanas Vater hat gerade einen Orden verliehen bekommen und drückt seinen Sohn an die stolzgeschwellte Brust. Er verliert sich in irgendwelchen unwichtigen Allgemeinplätzen, während sein Sohn ihm das ganze Ausmaß der deutschen Tötungsindustrie schildert und eindringlich klare Worte vom Papst einfordert. Das ist an Bigotterie kaum zu überbieten. Nichts passiert.
Mehr noch: Fontana landet in einem Vernichtungslager, als Geistlicher, als Ofenbeschicker. Kalte Schauer legen sich auf die Zuschauer, als ein KZ-Arzt langsam seine weißen Handschuhe abstreift, mit äußerst präzisen, schneidigen Bewegungen seine Arzttasche öffnet. Ein KZ-Arzt, der schon mal ein Gehirn im Einmachglas als Mitbringsel verschenkt. Wie sehr die Schauspieler Profi sind, zeigt sich an einer Situation 10 Minuten vor Spielende. Als nämlich eine Zuschauerin beim Versuch, die Ränge zu verlassen, im Dunkeln über eine Stufe stolpert und zunächst im Gang liegen bleibt, wird das Licht eingeschaltet. Daniel Rothaug in der Rolle des Paters Fontana, zu der Zeit auf der Bühne gänzlich entblößt, mit großem Judenstern versehen und mit Exkrementen überschüttet, verschwindet kurzerhand durch eine Seitentür. Keine 5 Minuten später wird genau an dieser Stelle weitergespielt, da braucht es keinerlei Aufwärmphase.
Ein großartiges Stück über Scheinheiligkeit mit einem Ensemble, das zu begeistern weiß. Ein Bühnenbild, das durch sein schlichtes Grau und seine reduzierten Accessoires den Blick auf den Konflikt beschränkt. So muss Theater sein.
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