„Lass knacken, Oppa“ nennt Helge Schneider seine aktuelle Tournee. Und auch bei seinen ersten Schritten auf die Bühne kokettiert er mit seinem Alter: er setzt gaanz vorsichtige Schritte, schlurft in gebeugter Haltung und setzt sich schließlich seeeehr langsam auf den Klavierhocker. Vorher hat er allerdings schon einen Kontrabass auf die Bühne gewuchtet und darauf mit dem Bogen zwei Soli gespielt: „Ein Tag, so wunderschön wie heute“ noch ganz zahm und nur leicht schräg, aber gleich danach „Freude, schöne Götterfunke“ völlig verrockt und zersägt. Also weiß jeder schon nach zehn Minuten, dass es heute kein reines Seniorenprogramm wird.
Es sind aber allerhand Senioren anwesend. Und auch ein paar Kinder. Ja, sogar ganze Familien, über mehrere Generationen. Eigentlich sind alle Altersklassen an diesem Sonntagabend in der Halle Münsterland versammelt. Helge Schneider spricht sie alle an. Fans des gepflegten Blödsinns kennen nun mal kein Alter. Und deshalb ist es gut, dass Helge Schneider das mit dem Oppa-Spielen auch bald sein lässt und sich auf seine Lieder konzentriert. Und davon hat er inzwischen doch schon eine ganze Menge in petto. Neben weniger bekannten wie der grandiosen Jazz-Rock-Parodie „Nachtigall, huh“ streut er zur Freude des Publikums gelegentlich einige seiner Hits ein. Also die Lieder, die jeder kennt und von denen man zu glauben meint, dass er sie selber gar nicht mehr mag. „Katzeklo“ wird früh abgehakt („Ich bin froh, dass ich dieses Stück hier in Münster wieder spielen… muss“), später folgen „Es gibt Reis, Baby“, „Wurstfachverkäuferin“ und natürlich „Der Meisenmann“ – wieder mal herrlich begleitet von „Stimmungstänzer“ Sergej Gleithman. Wer dieses langmähnige und langbärtige Männlein einmal als Meisenmann tanzen sah, wird es nie wieder vergessen.
Zu dem ständigen Begleitpersonal von Helge Schneider gehört auch sein Teekoch Bodo Oesterling, der als Diener allerhand zu rennen und zu hüpfen hat. Und der – wie eher nebenbei erwähnt wird – aus Münster stammt. Unsere Stadt erwähnt der Mülheimer Schneider lieber so, wie er es seit Jahrzehnten mit allen Städten macht, nämlich wie ein schlechter Conferencier: „Ich sag nur eins – Münster, Münster, Münster, da weiß jeder gleich Bescheid“ oder „Münster, du schönster Platz auf Erden – in 10, 20 Kilometer Umkreis“. Viele Zuschauer kommen ja nicht nur wegen der Musik, sondern vor allem für die schlechten Sprüche oder die endlos mäandernden Geschichten zu einem Abend mit Helge Schneider. Es sind aber nur noch wenige, die lauthals dazwischenrufen, den meisten entfährt bloß ein kurzes „Helge!“. Andererseits quält er sein Publikum diesmal auch nicht mit langen Jazz-Improvisationen, sondern hat ein ziemlich gefälliges Musikprogramm zusammengestellt, ein „Best of“ aus gut zweieinhalb Jahrzehnten.
Die auf dem Konzertplakat angekündigte „schicksalhafte Quetschkommode“ ist zwar nicht dabei, aber Helge Schneider bedient an so einem Abend trotzdem eine stolze Sammlung an Instrumenten: Kontrabass, Trompete und Vibraphon, elektrische und akustische Gitarre, Schlagzeug, Melodika, Saxophon, Hammondorgel und natürlich immer wieder den Konzertflügel („Ganz schön viele Stahldrähte hier drin“). Eigentlich wird er dafür gar nicht gebraucht, denn die Band ist komplett besetzt und spielt alles auf den Punkt mit. Oder wie Helge Schneider auf seiner eigenen Homepage schreibt: „Ich bin völlig frei, weil dieser Klangkörper auch ohne mich ganz interessant spielt“. Diesen Freiraum nutzt er für seine Späße, vor allem für Parodien.
Irgendwie ist der ganze Abend eine Parodie auf Konzertabende: da wird in der Manier von Jerry Lee Lewis das Klavier beim Boogie Woogie mit den Füßen traktiert, da verschwindet beim schnellen Flamenco die rechte Hand plötzlich im Schallloch der spanischen Gitarre, dem „Eierschneider“. Und er schwelgt geradezu in seinen frühen Schlagerparodien „Ich stand auf der Straße“ und „100.000 Rosen“. Groß bejubelt werden aber seine Parodien auf Rock-Konzerte: mit Willy Ketzer liefert er sich ein Schlagzeugduell, das vom Bühnenscheinwerfer irgendwann nicht mehr komplett verfolgt werden kann. Und mit Sandro Giampedro schlägt er sich die abgeschmacktesten E-Gitarrensoli um die Ohren, bis der Verstärker in Rauch aufgeht und ihm nichts Besseres mehr einfällt als die Tagesschau-Melodie.
Am Ende will das Publikum ihn gar nicht mehr von der Bühne lassen. Aber Helge Schneider verabschiedet sich mit der besten Ausrede, nicht mehr zu bringen, die man sich vorstellen kann: „Man könnte stundenlang solche Musik weitermachen, aber wir haben nicht das Zertifikat dafür.“
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