Ein Haufen Steine im Wald, eine verfallene Mauer, ein kleiner Hügel am Straßenrand. Was den meisten Menschen kaum auffällt oder bedeutungslos erscheint, ist für Dr. Wilhelm Bauhus von der Uni Münster ein Rätsel, das gelöst werden muss, ein X-Ort. Was sich anhört wie ein Job für die medienbekannte Spezialeinheit des FBI, ist mitunter tatsächlich spannend wie ein Krimi, auch wenn in der Regel keine Aliens hinter den Spuren aus der Vergangenheit stecken.
Bauhus ist Leiter der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO) an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Deren Aufgabe besteht darin, die Erkenntnisse unterschiedlicher Forschungsbereiche der Uni in die Bevölkerung zu bringen und bestenfalls einen Austausch zwischen den Bürgern, der Wirtschaft und der Uni herzustellen. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist die „Expedition Münsterland“, die in Form von Radtouren, Bustouren, Führungen, Vorlesungen oder Workshops spannende Wissenschaftsstandorte im Münsterland erkunden. Dabei stießen Bauhus und sein Team immer wieder auf Standorte, deren Ursprung und Funktion sie sich nicht immer erklären konnten. „Einer der ersten X-Orte war ein verfallener Mauerrest am Horstmarer Landweg in der Nähe von Haus Spital“, erinnert sich Dr. Wilhelm Bauhus. Wo täglich zahlreiche Auto- und Radfahrer vorbeifahren und Jogger ihre Runden drehen, verbirgt sich zwischen Bäumen ein gemauertes Podest, auf dessen Vorderseite eine Treppe zu erkennen ist. Das verwitterte Fundament eines Gebäudes? Bauhus kennt den Hintergrund: „Das sind die Überreste einer ehemaligen Nagelungsstätte. Hier stand ein großes Holzkreuz, in das die Bürger während des ersten Weltkriegs Nägel eingeschlagen haben.“ Die Nägel konnten zu unterschiedlichen Preisen vor Ort gekauft werden, so kam Geld für die Finanzierung des Krieges zusammen. Eine frühe Form des Fundraisings gewissermaßen. Solche Kreuze gab es damals in vielen Städten, allerdings standen diese sinnvollerweise an zentralen Plätzen mit viel Publikumsverkehr und nicht irgendwo auf dem platten Land wie das Kreuz am Horstmarer Landweg, doch auch hier kennt Bauhus die Hintergründe. Bei Haus Spital gab es seinerzeit ein großes Kriegsgefangenenlager, zu deren Stacheldrahtzäunen die Bürger Münsters einst in Scharen pilgerten, um sich die Gefangenen aus den unterschiedlichen Ländern genauer anzuschauen.
Heute ist von dem Kriegsgefangenenlager bis auf einen alten Soldatenfriedhof nichts mehr zu finden. Gar nichts? Bauhus weiß es besser. Mit seinem Dackel Eddy geht es in einem nahen Wald auf Spurensuche. Schon zu Beginn liegen neben dem schmalen Weg Steinbrocken, die auch Bauschutt sein könnten, „Hier stand das Munitionsdepot der 6. Division, das irgendwann gesprengt wurde“, berichtet der 65-Jährige, während er zielstrebig das Gebüsch durchquert. Dann liegt er vor ihm, unmittelbar neben dem kleinen Waldweg, der Betonpfosten, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zum ehemaligen Kriegsgefangenenlager gehörte, an einer Stelle sind noch verrostete Stacheldrahtreste zu finden. „Es gibt Zeichnungen vor Kriegsgefangenen, auf denen diese Art von Pfosten sehr gut zu erkennen sind“, berichtet Bauhus. Immer mit Eddy im Schlepptau verlässt Bauhus den Wald und geht auf einer Straße zwischen modernen Wohn- und Bürogebäuden weiter, „Da vorne, das helle Gebäude, das war vermutlich eine Baracke, die zum Kriegsgefangenenlager gehörte. Vielleicht die Lagerkommandantur.“ Tatsächlich unterscheidet sich das Haus, in dem heute der „Stadtteiltreff Gescherweg“ untergebracht ist, vollkommen von den anderen Gebäuden im Umfeld. Wer mit Wilhelm Bauhus unterwegs ist, lernt Münster mit anderen Augen kennen. Gefangenenlager, ehemalige Bunker und sogar Lagerplätze der totbringenden V2-Raketen des zweiten Weltkriegs, die Friedensstadt hat eine intensive militärische Vergangenheit, deren Spuren noch immer zu finden sind, wenn man genau hinschaut.
„Zeitzeugen sind sehr wichtig. Ohne die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger könnte man das nicht umsetzen. Wir brauchen das Wissen dieser Menschen“, etwa alle 14 Tage erhalten Bauhus und sein Team einen neuen Hinweis aus der Bevölkerung auf mögliche X-Orte, 60 bis 70 Orte wurden bislang recherchiert und die nächsten warten schon. Was kommt dann? Bauhus möchte nicht, dass die X-Orte zum Beispiel durch Infotafeln markiert werden, „Wenn man zu viel erklärt, ist der Reiz des Entdeckens gemindert.“ Auch die Frage, ob man die X-Orte, die oftmals von Pflanzen überwuchert sind oder einfach zerfallen, aktiv erhalten sollte, mag der Wissenschaftler nicht spontan mit Ja oder Nein beantworten. Aber eines ist für den 65-Jährigen sicher, die Suche und Erforschung der X-Orte wird fortgesetzt.
Die nächste Radtour aus unserer Reihe „Ab auf die Leeze!“ wird zu mehreren X-Orten führen, und voraussichtlich am kommenden Wochenende hier veröffentlicht.
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