Golden Globe-Gewinner Fatih Akin liess es sich nicht nehmen, am Samstag persönlich seinen neuen Film „Rheingold“ im Cineplex Münster vorzustellen. Schon nach der ersten Sekunde im Saal war klar: Fatih liebt seine Fans. „Ich möchte doch wissen wer ihr seid und deswegen ist so eine Tour total geil. Ihr seid das beste Publikum, das ich je hatte!“ sprach er sie bei der Präsentation im Kinosaal direkt an und trug damit nur ein wenig zu dick auf.
„Der Film läuft so krass geil, was ich gar nicht erwartet habe“, bekannte der Filmregisseur aus Hamburg. „Eigentlich habe ich an was ganz anderem gearbeitet, aber das hat nicht geklappt wegen Corona, und ich hatte die Rechte an dem Xatar-Buch („Alles oder Nix“, ein autobiographischer Roman des Rappers Xatar aus dem Jahr 2015; Anm. d. Red.). Das Buch hat mich fasziniert, das ist jetzt mehr als nur so eine Rapper-Story, auch Gangster. Ich wollte schon lange Zeit mal wieder einen Gangsterfilm machen. Ich habe Xatar übrigens über Instagram kennengelernt. Im ersten Lockdown habe ich dann mit Xatar lange Interviews über Skype geführt und so ist letztendlich der Film entstanden“.
Fatih Akin wurde 2004 durch seinen Film „Gegen die Wand“ quasi über Nacht berühmt, auch durch die großartige Leistung von Schauspielerin Sibel Kekilli. Es folgten Filme wie „Kebab Connection“, „Chiko“, „Blutzbrüdaz“, „Tschick“ – sie alle zeigen, dass der Sohn türkischer Einwanderer das Milieu kennt und liebt. Sein kontroversestes Werk ist sicherlich „Der Goldene Handschuh“ nach dem Roman von Heinz Strunk (2019). Brutal, dreckig und verstörend beschreibt Fatih Akin darin die wahre Geschichte des Hamburger Serienkillers Fritz Honka, auf dessen Konto vier Morde gehen. Absolut herausragend gespielt von Jonas Dassler – und von mir als Filmfan eine klare Empfehlung, denn dieses kompromisslose Meisterwerk muss man gesehen haben!
Biopic oder Heist-Movie?
Umso größer war die Erwartung seiner Fans an „Rheingold“, dessen Altersfreigabe FSK 16 absolut berechtigt ist. Erneut widmet sich Fatih Akin einem realen Fall: Dem Überfall auf einen Geldtransporter im Jahr 2009, bei dem der Rapper Xatar mit seinen drei Komplizen Gold im Wert von ca. 1,7 Millionen Euro erbeutete. Aber was möchte „Rheingold“ sein? Biopic oder Heist-Movie? Das wird in den 140 Minuten nicht ganz deutlich – was es auch nicht muss, denn der Film weiß zu unterhalten. Auf die Fresse gibt es im wahrsten Sinne des Wortes genug, aber das durchaus humorig und nicht immer all zu ernst gemeint.
Ganz klar getragen wird die Story durch die sehr sympathische Präsenz von Hauptdarsteller Emilio Sakraya in der Rolle des Xatar. Leider konnten weder der Schauspieler Sakraya noch der „der echte Xatar“, der mit bürgerlichem Namen Giwar Hajabi heißt, im Cineplex persönlich anwesend sein. Den Cast komplettiert Denis Moschitto, mit dem Fatih Akin schon einige Filme gedreht hat, hier herrlich in seiner Rolle als als Bro, DJ und Produzent von Xatar, der ihm sogar Aufnahmegeräte in den Knast schmuggelt.
Der Film beginnt mit der Darstellung der durchaus bedrückenden Jugend des Protagonisten, der unter ärmlichen Verhältnissen in einer Sozialbausiedlung aufwächst und in die Kleinkriminalität abdriftet, aber auch seine Liebe zum Hip Hop entdeckt. Giwar steigt in der Hierarchie eines Drogenkartells vor allem durch seine unbändige Gewaltbereitschaft schnell auf und es dauert nicht lange, bis er den Status eines Großdealers erreicht. Weil ihm dabei durch eine Panne eine beachtliche Menge an Kokain verloren geht, schmiedet er aus der Not heraus den Plan für den Goldraub.
Die Musik ist es, die den Film zu weiten Teilen trägt
Der Coup gelingt, das darf ich ruhig spoilern und die Flucht über mehrere Länder bis hin zur Auslieferung nach Deutschland werden rasant und spannend beschrieben. Dabei geht nie die Ernsthaftigkeit verloren und der Film verliert sich zum Glück nicht darin, in eine Gaunerkomödie abzudriften. Endgültig im Knast gelandet, findet Giwar notgedrungen zur Musik zurück und die Musik ist es, die den Film zu weiten Teilen trägt. „Sinne“ von Sarhad, „Bunte Blume“ von Solomun (hat mich persönlich sehr überrascht) und „Dein Herz klopft“ von Xatar sind definitiv der Soundtrack eines Teils der jetzigen Generation.
Das doch sehr junge Publikum feierte während der Vorführung auf jedem Platz im Saal die Musik, sang teilweise sogar mit. Diese Lockerheit aus Story und Musik ist es auch, die „Rheingold“ zu einer runden Sache macht. Xatar ist unbestritten ein einfallsREICHER Musiker, aber eben auch Geschäftsmann. Ob mit dem Film der Gangster-Lifestyle glorifiziert wird, möchte ich nicht bewerten. Große Lacher im Saal ernteten Sprüche, wie „Was ist los mit euch Jungs? Habt ihr eure Köpfe in zu enge Muschis gesteckt?“ oder „Pforzheim-Nord? Da wohnen nur Hurensöhne!“ Was bleibt ist die Frage, wo Knastnummer 415 das Gold versteckt hat. Vielleicht wissen es die Meerjungfrauen. „In Gedenken an meinen Vater“ – damit schliesst der Abspann zum Song von Xatar „Mama war der Mann im Haus“. Das Haus – in diesem Fall der Saal vom Cineplex – applaudierte, feierte und sang.