Wenn sie mit Tante Hiller, den eigenen, recht betagten Eltern und der 18-jährigen Nichte im Auto nach Polen unterwegs ist, wenn sie die Liedtexte der Band Revolverheld untersucht, wenn sie Gitarre spielt und singt von Zielen im Leben, von Anarchie und vom altern, dann hat sie auch was zu sagen. Und die Menschen hören ihr zu: Gestern war die Wahl-Kölnerin Dagmar Schönleber mit ihrem aktuellen Programm „40 Fieber zwischen Dope und Doppelherz“ im Kreativhaus.
Am Anfang steht eine Untersuchung. Durch Klatschen sollen sich verschiedene Altersklassen bemerkbar machen. Erwartungsgemäß ist die Gruppe der „unter 30-jährigen“ schwach vertreten, eine einzelne Zuschauerin – immerhin – schlägt die Handfächen aneinander. „So kleine Hände“, freut sich die studierte Sozialarbeiterin Schönleber und fordert die Zuschauer gleich mal auf, sich dem rechten und linken Nachbarn vorzustellen. Derart aufgelockert und im nunmehr persönlichen Umfeld steigt der Wohlfühlindikator. Dagmar Schönleber erzählt aus ihrem Leben, ihrer Herkunft aus Ostwestfalen, das die Münsteraner mit langgestreckten Lauten quittieren. „Wenn Du in Ostwestfalen eine Rebellion planst, musst Du den Busfahrplan kennen“, bringt sie die Zeit ihrer Jugend auf ein knackiges Résumé. Schon stellt Schönleber sich vor, wie es wäre, wenn ihre Mutter bei der Antifa wäre. Dann gäbe es bunt gestrickte Sturmhauben und Broschen, und in den besetzten Häusern könnte man vom Fußboden essen. Das macht sie liebevoll und mit der Vorstellung an das eigene altern. Schließlich wollen alle alt werden, aber keiner alt sein. Schon sitzt das Publikum mit im Auto, als Dagmar Schönleber mit mehreren Generationen nach Polen fährt.
Auf dem Weg dahin machen sie halt an der U-Bahn-Station Lichtenhagen und Tante Hiller muss unbedingt ein Foto mit einem ganz in schwarz gekleideten, gepiercten jungen Mann haben. „Das glaubt mit zu Hause niemand,“ wird Tante Hiller zitiert, während Dagmar Schönleber denkt: „Wahrscheinlich aus Korschenbroich.“ Eine Fahrt in die Vergangenheit ist die Reise nach Polen und die Parentalgeneration wirkt mit der Reisedauer zunehmend verjüngt. Zeit für einen musikalischen Zwischenstopp: Mit der Gitarre in der Hand gibt Schönleber vor, welchen Text die rechte, welchen die linke Seite des Auditoriums singen soll. Nach langsamen Versuchen geht es schnell flüssig: “ Reisende Rentner – hey ho – lets go“. Schließlich geht es Revolverhand an den Kragen: „Hinter Hamburg, Berlin oder Köln hören die Menschen auf, Fragen zu stellen, hören wir endlich mal wieder das Meer und die Wellen.“ Das ist einfach schlecht recherchiert. Hinter Köln gebe es kein Meer. Es sei doch kein Wunder, dass viele Menschen sich von der Zahl der Flüchtlinge subjektiv erdrückt fühlten, wenn das Land geografisch derart schrumpfe. Dann könnten auch mal schnell 6000 Menschen denken, sie wären das Volk. Ein unterhaltsamer Abend, der zum Nachdenken und zur Reflexion anregt und eine Künstlerin, die schon allein durch ihre unaufgeregte und authentische Art jede Menge Sympathiepunkte sammelt.
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