Von Spätfolgen der Pandemie war beim Internationalen Jazzfestival Münster kaum etwas zu spüren: Das Publikum zeigte sich begeistert wie eh und je und füllte die Reihen im Großen Haus des Theaters fast immer lückenlos.
Trotz der mehrfach erwähnten „längsten Pause in der Festivalgeschichte“ hat das Jazzfestival Münster erstaunlich gut wieder in die Spur zurückgefunden. Auch diesmal bedankten sich viele der auftretenden Musiker beim aufgeschlossenen Publikum für den Zuspruch, beim Festival-Team für die familiäre Betreuung und vor allem bei Festivalleiter Fritz Schmücker, dass er sie für das Programm ausgewählt hat. Schließlich traten auch in dieser 28. Ausgabe der beliebten Veranstaltung einige der Interpreten und Formationen hier zum ersten Mal vor einem deutschen Publikum auf, wie zum Beispiel der schwedische Kornettist Tobias Wiklund, der mit seinem Quartett am Sonntag den umjubelten Schlusspunkt setzte und viele zum Kauf der mitgebrachten Schallplatten und CDs bewegte.
Und auch wenn Fritz Schmücker bekennen musste, dass sein Konzept von der „Ästhetik der Kontraste“ inzwischen längst zu einem geflügelten Wort geworden ist, gibt es wohl kaum ein besseres, um seine Handschrift bei der Programmgestaltung zu beschreiben. Gerade mit diesem steten Wechsel von kleineren und größeren Besetzungen, von ganz unterschiedlichen Instrumenten und ihren Klangfarben und vor allem dem Wechsel zwischen mal freiem und mal gefälligerem Spiel begeisterte das Jazzfestival Münster auch in diesem Jahr wieder seine Besucher.
Wobei nach der Intensität des Applauses zu urteilen diesmal ein eindeutiger Publikumsliebling auszumachen war: das Louise Jallu Quintett. Schon zwischendurch erklangen laute „Bravo“-Rufe, aber nachdem die französische Bandoneon-Spielerin und ihre Band als letztes Stück ihre ganz eigene, ideenreiche und wirklich kraftvolle Version des Astor Piazzolla-Klassikers „Libertango“ gespielt hatte, gab es kein Halten mehr: Standing Ovations von nahezu allen im Großen Haus des Theater Münster gab es nur für dieses Konzert. Dem Begründer des Tango Nuevo war das gesamte Programm des Quintetts gewidmet, aber Louise Jallu betonte zu Beginn, sich nicht an den Arrangements Piazzollas zu orientieren, sondern seine Kompositionen eher wie Jazz-Standards zu verwenden.
Der am Samstagabend danach auftretende „Circus“ des Schlagzeugers und Percussionisten Paal Nilssen-Love hatte es dagegen etwas schwer beim Publikum. Wie in einem echten Zirkus war hier eine bunte Folge ganz unterschiedlicher artistischer Darbietungen zu erleben: mal eher freier Gesang, der an sibirische Schamanen erinnerte, dann wieder sehr Rhythmisches mit fettem Sound. Und gelegentlich erklangen die großen und sehr großen Gongs, die einen erheblichen Teil der Bühne hinter dem Bandleader Paal Nilssen-Love einnahmen. Aber oft war gar nicht auszumachen, von welchem Instrument gerade welches Geräusch kam: vom Akkordeon, der E-Gitarre oder vom obertonreich gestrichenen Cello? Einigen war das wohl zu viel an Klangexperimenten, die Reihen lichteten sich zu dieser mitternächtlichen Stunde.
Möglicherweise waren viele aber auch nur vom langen Festivaltag geschafft, denn begonnen hatte der schon um 15 Uhr im Kleinen Haus. Für manche sogar noch eher: denn ganz neu im Programm des Jazzfestival Münster waren zwei Konzerte in der Dominikanerkirche, am Samstag und Sonntag jeweils um 12 Uhr bei freiem Eintritt. Beide Termine bestritt die diesjährige Preisträgerin des Westfalen-Jazz-Preises, Luise Volkmann, mit unterschiedlichen Bestzungen. Jurorin Lena Jeckel (ehemals Bunker Ulmenwall, inzwischen Kulturamtsleiterin in Gütersloh) ging in ihrer Laudatio wie selbstverständlich davon aus, dass jeder Festivalbesucher auch diese Konzerte besucht habe. So einige bedauerten schließlich, nicht dort gewesen zu sein, nachdem sie die Saxofonistin Luise Volkmann bei ihrem Konzert mit ihrer wirklich großen Band „Été Large“ am Sonntag im Großen Haus erlebt hatten. Mit ihr bevölkerten die Bühne insgesamt 13 Musiker, die viele verschiedene Klangfarben boten und vor keinem Genre zurückscheuten. Da wechselten sich freie Improvisationen mit souligem Pop ab und es wurde der 68er-Generation oder der Frauenbewegung gehuldigt.
Überhaupt waren Frauen im Jazz ein nicht ausdrücklich erwähnter, aber doch sehr deutlicher Schwerpunkt im Programm des Jazzfestivals 2023. Vermutlich war ihr Anteil noch nie so groß wie bei dieser Ausgabe – und sie waren alles andere als schmückendes Beiwerk, sondern oft die Köpfe ihrer Formation. So war es schon am Eröffnungstag mit Laura Jurd und Ariel Bart und am Samstag mit Louise Jallu. Aber auch in den Duos und Trios, in denen die Mitstreiter gleichberechtigt genannt wurden, schienen die Frauen die musikalisch treibenden Kräfte zu sein: die Pianistin Aki Takase beim HAL Trio, die großartige Schlagzeugerin Eva Klesse beim Trio Iverson/Lang/Klesse oder die Sängerin Camille Bertault in ihrem Duo mit dem Pianisten David Helbock. Da war die Preisverleihung an Luise Volkmann geradezu folgerichtig – man wünscht ihr zukünftig ebenso großen Erfolg wie Eva Klesse, die 2017 den Westfalen-Jazz-Preis erhielt.
Ein weiteres Merkmal des Jazzfestivals in Münster ist die wachsende Vielfalt der eingesetzten Musikinstrumente: während man lange auf die ersten Saxofone warten musste, erklangen Bandoneon und Mundharmonika, Euphonium und Tuba und mehrmals Bassklarinetten und Celli. Am häufigsten war wohl der Flügel zu hören, allerdings nicht mehr das langjährig gewohnte Modell mit der ferrariroten Lackierung. Kurz vor Schluss ließ Fritz Schmücker das Publikum anhand von vier Möglichkeiten raten, warum es nicht mehr da ist. Dass man beim Abhören von Mitschnitten vergangener Jahre festgestellt hätte, dass die Pianisten darauf stets ein wenig zu schnell gespielt hätten, war jedenfalls nicht die richtige Antwort.
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