Mit so einem deutlichen Zuspruch hatte Peter Todeskino wohl selbst nicht gerechnet: er erhielt 117 Ja-Stimmen für seine Bewerbung als Oberbürgermeister-Kandidat der Grünen, bei nur 16 mal Nein und sieben Enthaltungen. Ein Gegenkandidat (oder eine Gegenkandidatin, wie sich so mancher gewünscht hätte) hatte sich weder in den letzten Wochen noch spontan bei der Mitgliederversammlung im Bennohaus gemeldet. Zu den ersten Gratulanten zählten die Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink und die Landtagsabgeordnete Josefine Paul. Aber es schien bald so, als wollte ihn nach der Verkündung des Wahlergebnisses fast jeder im proppevollen Saal umarmen.
Bei so viel Einmütigkeit spielte es dann keine Rolle mehr, ob die Stimmen der GAL-Mitglieder (Grün-Alternative Liste), die nicht auch Mitglieder der Bundespartei Bündnis 90/Die Grünen sind, mitzählen oder nicht (wer mehr über diese feine Unterscheidung erfahren möchte, findet viel Hintergründiges in der Festschrift „40 Jahre Grün in Münsters Rat“). Bevor Todeskino seine Bewerbungsrede hielt, brachten Vorstandssprecher Stephan Orth und Wolfgang Pieper, grüner Bürgermeister der Stadt Telgte, die Anwesenden in Stimmung. Angesichts des 36%-Erfolgs bei der Europawahl 2019 und der inzwischen über 900 Mitglieder im Kreisverband stellte Stephan Orth mit breiter Brust fest: „Münster ist längst keine schwarze Stadt mehr, Münster ist eine grüne Stadt“. Und er fügte hinzu, dass die Verwaltung eine Spitze braucht, „die die Anträge, die wir Grünen im Rat stellen, auch umsetzt“. In Telgte strebt Wolfgang Pieper sogar schon seine dritte Amtszeit als grüner Bürgermeister an. „Wir haben ja lange nach Münster geblickt,“ frotzelte er, „inzwischen sagen wir dabei: wo bleibt ihr?“
Diesen Ball griff Peter Todeskino in seiner Bewerbungsrede auf: er möchte mit den Umlandgemeinden viel mehr ins Gespräch kommen, und dies „nicht wie eine Monstranz vor sich her tragen, sondern tun und machen“. Mit solchen Andeutungen teilte er immer wieder Seitenhiebe auf den Amtsinhaber Markus Lewe aus, ohne ihn ein einziges Mal beim Namen zu nennen: „Hier muss gehandelt werden, nicht in Brötchenrunden in Berlin“. Dafür brachte er einige Forderungen vor, mit denen man beim grünen Parteivolk immer gut punkten kann: eine autofreie Innenstadt, Verkehrsplanung für eine „fuß- und fahrradgerechte Stadt“, Erweiterung der Radstation vor dem Bahnhof, Frauenquote und „Gender Budgeting“. „Wachstum hinterfragen“ war ein weiteres Schlagwort, denn „das Wachsen der Stadt fordert ihren Klimapreis“ und „jede Freifläche, die man verbaut, ist unwiderruflich weg“. Ausdrücklich erwähnte Todeskino auch Bürgerinitiven, von denen im letzten Jahr auch die Grüne Fraktion Druck von unerwarteter Seite erhielt. So rühmte er Fridays for Future dafür, unser aller Verhalten zu hinterfragen, und beteuerte, dass „Seebrücke & Co. bei uns in der Partei immer einen sicheren Ankerplatz“ finden könnten. Wohl als Versprechen an die eigene Fraktion gemeint, sagte Todeskino, „wir brauchen eng abgestimmte Zusammenarbeit und keine Solo-Nummer“.
Bevor die 140 anwesenden Mitglieder ihre Stimmzettel ausfüllten, konnten sie noch Fragen an den Kandidaten auf Zettelchen schreiben, von denen acht ausgelost und gestellt wurden. Das ging von Themen, wie Wohnungsnot, Schuldenpolitik und der Beteiligung der Stadt Münster am Flughafen FMO bis zur Frage, welches Tier er gerne wäre („Eine Eule“ war hier die knappe und spontane Antwort). Im Anschluss an die Wahl haben wir die Gelegenheit genutzt, dem frisch gewählten Oberbürgermeister-Kandidaten der Grünen auch ein paar Fragen zu stellen:
Sie haben sicher nicht damit gerechnet, so viele Ja-Stimmen zu bekommen, oder?
Nein, ich hab schon gedacht, dass es weniger werden könnte. Ich bin aber sehr froh darüber und einigermaßen stolz. Das gibt einen Antrieb, jetzt richtig loszulegen.
Sie haben in ihrer Bewerbungsrede betont, mehr mit der Verwaltung zu arbeiten und dafür weniger „Brötchenrunden“ abhalten und Hände schütteln zu wollen. Kann man damit tatsächlich Wähler überzeugen, die den Grünen bisher nicht so nahe stehen?
Ich glaube schon. Wenn man in die Bevölkerung hineinhört, ist genau das ein Punkt: nämlich dass die Verfahren zu lange dauern. Es gibt ein unberechtigtes „Bashing“ der Verwaltung. Ich weiß, wie leistungsbereit viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sind und welch großes Potential da ist. Es lassen sich Kreise ansprechen, die wollen, dass die Verwaltung straffer geführt wird und Ideen entwickelt werden, um Prozesse zu verschnellern. Oder wie man Partizipationsprozesse besser organisieren kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass man Menschen in Münster auf der Sachebene ansprechen kann.
Was werden wahrscheinlich die Hauptthemen der Wahl sein?
In meiner Rede hab ich eben ja nur ein paar Schwerpunkte nennen können. Noch mehr stehen in meinem Bewerbungsschreiben für die Kandidatur, über vier kleingeschriebene Seiten. Ein wichtiges Thema ist die Mobilität in Münster. Wir müssen uns um bezahlbaren Wohnraum kümmern. Ein vorrangiges Thema für die Grünen ist der Klimaschutz und die hundertprozentige Umsetzung des Masterplans dazu. Das sind drei Dinge, die für mich wichtig sind. Und was natürlich für jeden Grünen klar ist: wir stehen für eine offene Gesellschaft und wollen niemanden allein lassen. Wir sind nicht nur die Partei des Umweltschutzes, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit. Und das wollen wir im Wahlprogramm auch ausformulieren. Dafür haben wir starke Sozialpolitiker, die mir und der Partei helfen, die Programme passgenau zu entwickeln.
Wie schafft man z. B. bezahlbaren Wohnraum, wäre da eine Frage.
Wir sind auf einem guten Weg. Es ist ja nicht so, dass in den letzten Jahren Stillstand gewesen wäre. Wir sind mit der Erbbaurechtsvorlage und auch mit der Forderung, dass städtische Grundstücke nur entwickelt werden, wenn 60% sozialer Wohnraum geschaffen werden, schon sehr weit. Daher mein größtes Lob für die Grüne Fraktion, die das zusammen mit der CDU angeschoben hat. Klar ist, dass auch wir Alternativen suchen müssen, und da war mir wichtig, den interkommunalen Entwicklungsraum zu betonen. Wir werden erleben –die Demographie täuscht uns da nicht–, dass in den kleinen ländlichen Kommunen die geschaffene Infrastruktur wieder wegfällt. Wenn die mit Schienenverkehr, mit ÖPNV ordentlich angeschlossen sind, hab ich nichts dagegen, dort den Wohnraum zu mobilisieren, auch für die Münsteraner. Es gibt außerdem viele Leute, die aus dem ländlichen Raum gar nicht wegziehen wollen.
Aber es gibt doch schon viele Pendler…
Natürlich, klar gibt’s viele Pendler. Wenn wir die fragen, ob sie nach Münster umziehen wollen, sagen viele „Nein“. So wie Mitarbeiter in meinem Unternehmen (der Westfälischen Bauindustrie GmbH – die Red.), die aus Rheine, Greven, Emsdetten oder Borken kommen. Besonders Emsdetten und Rheine liegen an solchen Verkehrsachsen, dass sie in 20, 25 Minuten in Münster sind. Man muss die ökologischen Belange, die ein Wachstum immer mit erzeugt, beherrschen. Ich bin nicht gegen Wachstum, wir müssen ihn nur immer kritisch hinterfragen. Warum zum Beispiel soll die eine oder andere Forschungseinrichtung nicht nach Steinfurt gehen oder nach Emsdetten?
Die Europawahl hat im letzten Jahr schon gezeigt: die Grünen haben in Münster das Potential, die stärkste Partei werden. Aber sie werden ja wohl sicher nicht die absolute Mehrheit holen. Wer wäre der Wunsch-Koalitionspartner?
Es gibt keinen Wunschpartner. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wie die Konstellationen dann sind. Ich hab hier in Münster angefangen unter rot-grün mit der Oberbürgermeisterin Marion Tüns, ich hab in Kiel unter schwarz-grün gearbeitet und auch unter einer „Dänen-Ampel“. Ich kenne die Stärken und Schwächen, aber am Ende des Tages entscheidet, ob die Programme überein passen. Und das hat nicht Peter Todeskino zu entscheiden, sondern die Partei. Insofern muss man nun gelassen bleiben. Wir müssen uns darauf konzentrieren, unseren Wahlkampf zu führen, um möglichst viele Stimmen zu holen und dann so viel Gewicht zu haben, dass wir ganz entspannt in Koalitionsverhandlungen hineingehen können.
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