Seit zwei Jahren tutet Martje Saljé vom Turm der Lambertikirche, jeden Abend – außer dienstags. Wir haben sie an einem kalten Januarabend in ihrer Turmstube besucht und ein wenig nach ihrem Alltag als „höchste“ Bedienstete der Stadt befragt.
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Das Gespräch wurde natürlich jede halbe Stunde unterbrochen, damit sie ihre Pflicht am Türmerhorn erfüllen konnte.
Martje Saljé: Es ist schon spät. Gleich bin ich wieder hochkonzentriert. Immer wenn ich raus muss, dann – Ping!
ALLES MÜNSTER: Ach, das geht so auf Knopfdruck, du hast es schon im Gefühl, wann es Zeit ist zum Tuten? Oder musst du dir einen Wecker stellen?
Der Wecker klingelt immer zwei Minuten vor der halben und zwei Minuten vor der vollen Stunde. Und das ist auch gut so, falls ich dann doch mal die Zeit vergessen sollte. Aber eigentlich hab ich das mittlerweile im Gefühl.
Was machst du denn in der Zeit dazwischen? Lesen?
Ja, lesen oder auch ein bisschen Krach machen. Gitarre spielen und sowas.
Das ist ja eigentlich ideal für Musiker: man kann proben und kein Nachbar beschwert sich…
Ganz genau. Deshalb hab ich auch meine Quetschkommode hier oben. Die hab ich von meinem Opa geerbt, aber ich kann sie noch nicht spielen, das hab ich noch nicht gelernt. Damit würde ich jeden in den Wahnsinn treiben. Wenn ich da immer wieder aufpuste und immer wieder… – Akkordeon ist schlimmer als Geige üben, finde ich. Dabei möchte ich jedenfalls auch keinem zuhören. Deshalb finde ich gut, dass ich es hier oben machen kann. Da bin ich echt dankbar für die Gelegenheit.
War das schon direkt dein Gedanke, als du dich damals beworben hast?
Nee, da ging es eher um solche wirklich traditionellen Werte, wie „boah, toll: Brauchtumspflege“, „uralte Stadt – so viel Geschichte“!
Du hast ja sogar Geschichte studiert, und auch Musikwissenschaft – braucht man so eine Ausbildung für das Amt des Türmers?
Nein, im Prinzip nicht. Aber dass ich sie habe, schadet mir nicht. Es hat sogar geholfen, dass die Wahl auf mich fiel. Das gehörte zum Gesamtpaket. Natürlich brauchte ich das nicht, aber es war sehr gut, dass ich das mitbrachte.
Das hat die Jury beeindruckt?
Ich denke wohl. Die haben mir nämlich besonders auf den Zahn gefühlt, weil ich nicht von hier komme…
War es ein Kriterium, ob die Bewerber einheimisch sind?
Das nicht direkt, aber es war ein Kriterium, dass man etwas über die Stadt weiß und über die Stadt zu erzählen weiß. Und zwar nicht nur, welche Band gerade aktuell im Jovel spielt, sondern was früher mal gewesen ist. Und da hatte ich den Bonus, dass ich Geschichte studiert habe. Und auch in Oldenburg, in Niedersachsen, hört man vom Westfälischen Frieden und von Wiedertäufern, und das war ein Gewinn.
Es klingt aber so, als wärst du überausgebildet für den Job.
Das ist wohl so, ja.
Aber für dich egal?
Für mich perfekt!
Apropos perfekt: Du hast letztes Jahr im Interview mit ALLES MÜNSTER gesagt, dies wäre dein Traumberuf und du gehörst absolut hierher – ist das immer noch so?
So fühlt sich das immer noch an…
Das zweite Jahr war also nicht anders als das erste, oder hat sich doch etwas geändert?
Wenn, dann ist es noch schöner geworden. Ja, tatsächlich, weil ich das noch bewusster wahrnehme. Am Anfang war es doch eher unbewusst und aus dem Bauch heraus. Was genau daran schön ist, war da noch nicht so greifbar. Das kommt erst jetzt so langsam, dass ich begreife, wie gut ich das getroffen hab: tolle Arbeitgeber, tolle Kollegen, toller Arbeitsplatz..
Tolle Kollegen? Das ist ja interessant zu hören, wo du hier doch normalerweise alleine sitzt.
Ja, wen meint sie da jetzt: den Burgfalken? Die Plüsch-Ente? Nee, nee, es ist ja so, dass ich bei Münster Marketing angestellt bin, da haben wir auch Meetings und besprechen, was sonst so los ist. Das ist mein Rückhalt, damit ich weiß, was in der Stadt so passiert. Also hab ich tatsächlich Kollegen, die ich vor Ort treffe, im Stadthaus I. Da hab ich mein Postfach, da besprechen wir, was wir bei Facebook machen und so weiter.
Du schreibst nicht nur auf Facebook, du hast auch deinen eigenen Blog im Internet. Darüber machst du ja schon ziemlich viel Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur in eigener Sache…
Alles, was da kommt, kommt von mir. Direkt vom Turm gebloggt, aber in Rücksprache mit Münster Marketing, damit ich nicht ganz grobe Schnitzer da reinbaue. Oder wenn sie Ideen haben, was ich noch bringen könnte. Wir sind da sehr vernetzt.
Damit ist ja eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit entstanden für das Türmeramt als früher. War das deine eigene Idee?
Das haben wir zusammen entwickelt. Ich wurde im Vorstellungsgespräch schon gefragt, ob ich mir was vorstellen könnte in Richtung „Neue Medien“, die virtuelle Welt mit einzubinden, was es hier vorher nicht gab. Und da hab ich natürlich gesagt: ja, klar! Ich habe ja sogar den European Computer Expert Passport, oder wie das Ding heißt… Das kann ich jetzt gut einbringen. Und das Blog war meine Idee. Also keine Homepage, sondern eher eine virtuelle Artikelsammlung. Die wächst und gedeiht und hat nun über neunzig Einträge, jeden Monat kommt mindestens einer dazu.
In deinem Blog gibt es ja richtige Serien, wie „Die Glocken von St. Lamberti“ oder die „Turmstubenbücher“, wo du deine Bücher des Monats vorstellst…
Da kann ich ja an dieser Stelle einen kleinen Werbeblock einschieben: am 27. Januar 2016 bin ich um 15:30 Uhr in der Stadtbücherei unter dem Thema „Turmstubenbücher – Blog goes Stadtbücherei“. Da stell ich live Turmstubenbücher vor und erklär, was das mit mir und mit dem Job zu tun hat und warum man als Türmerin prädestiniert dafür ist, zu lesen.
Du hast hier oben in der Turmstube ja sogar eine richtige kleine Bibliothek…
…die immer wieder ausgetauscht wird. Allein schon wegen der hohen Luftfeuchtigkeit darf hier nichts länger verbleiben, das schadet den Büchern sonst.
Du trägst also immer wieder ein paar Bücher runter und andere rauf?
Ja, so kann ich immer wieder etwas neues lesen und auch was neues berichten. Dabei hat alles entweder mit Münster oder mit Turm oder Türmer zu tun. Ich nehme mir jeden Monat zwei oder drei Bücher vor, manchmal auch vier, die ich dann lese. Ich stell die dann vor in meinem monatlichen Turmstuben-Bücher-Blog, wo ich dann erzähle, was ich mir vorgenommen habe zu lesen. Ob es dazu kommt, löse ich allerdings nicht auf… aber eigentlich schaff ich das immer. Es sind also keine Rezensionen im eigentlichen Sinne, sondern es ist eine Vorfreude auf in bestimmtes Buch. Von dem kenne ich den Klappentext oder was ich aus Empfehlungen weiß, vom Antiquar oder von Freunden oder Buchhändlern oder diesen netten Menschen in der Stadtbücherei, was mich erwarten könnte. Manchmal trifft das zu und manchmal nicht, aber es ist dann eine Vorstellung von dem Buch, bevor ich es gelesen habe…
…also keine Besprechung oder Bewertung – so wird es auch am 27. Januar in der Stadtbücherei sein?
Was ich in der Stadtbücherei live machen werde, ist so ein Mischding. Ich werde neue Bücher vorstellen, die ich noch nicht kenne. Ich werde aber auch Bezug nehmen auf Turmstubenbücher, die schon im Blog erschienen sind in den letzten zwei Jahren, in denen ich mittlerweile schon im Amt bin. Von denen erzähl ich dann ein bisschen was: was ich schon gelesen hab, was dabei herausgekommen ist, was es mit mir zu tun hat. Und auch was es mit der Stadt oder mit dem Turm hier zu tun hat. Der Clou ist, das sind alles Bücher, die man leihen kann. Die vor Ort in der Stadtbücherei vorrätig sind, wenn sie nicht gerade ausgeliehen sind. Wer sich für eins interessiert, kann dann gleich mit dem Leihausweis hingehen und sagen, „das nehm ich jetzt direkt mit.“
Türmerin Martje Saljé berichtet am kommenden Mittwoch, 27.Januar, in der Stadtbücherei von ihrer Arbeit ebenso wie von den Türmern der Vergangenheit. Der Vortrag beginnt um 15.30 Uhr in der Kulturetage (1. Obergeschoss) der Stadtbücherei am Alten Steinweg. Der Eintritt ist frei.
Augen auf am nächsten Wochenende: Im zweiten Teil des Interviews werden wir unter anderem folgenden Fragen nachgehen: Woran muss die Türmerin beim Tuten denken? Wie alt ist das Horn? Gibt es ein verbindendes Element mit den Vorgängern im Türmeramt? Und was macht die Türmerin tagsüber?
Link: türmerin von münster | direkt vom turm gebloggt
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