Die Fans von Casper sind offenbar nicht nachtragend. Die Veröffentlichung seines lang erwarteten, neuen Albums hat der Rapper seit letztem Jahr immer weiter verschoben, weil er noch mal daran feilen wollte, bis „Lang lebe der Tod“ endlich am 1. September in die Läden kam. Auch die schon früher dazu geplante Tournee musste verschoben werden. Als wäre nichts gewesen, kamen die Fans jetzt aber am Reformationstag scharenweise und gut gelaunt in die Halle Münsterland, um die Rückkehr ihres Idols zu bejubeln. Sie feierten mit ihm eine überzeugende Premiere für die Tour, die ihn in den nächsten Wochen durch größere Hallen in größeren deutschen Städten und ins angrenzende Ausland führt.
Mit dem Tour- und Albumtitel „Lang lebe der Tod!“ will uns Casper die Angst vor dem Sterben nehmen, also „die Urangst schlechthin auf die Schippe nehmen“, so verrät es der Pressetext. Dabei habe auch Casper Angst, vor allem davor, dass seine Musik nicht gut genug sei oder nicht verstanden werden könnte. Ob die manchmal etwas rätselhaften Texte immer verstanden werden, mag wirklich fraglich sein. Eins ist aber sicher: die Fans von Casper kennen viele davon. Am Dienstag sangen sie immer wieder lange Textpassagen mit, dazu musste er sie gar nicht auffordern. Beim Lied „Im Ascheregen“ vom letzten Album „Hinterland“ brauchte er nur die ersten Worte singen, „Das ist kein Abschied…“, und schon übernahm das Publikum und sang den kompletten Refrain lauthals an seiner Stelle. Beim Titellied des Albums von 2013 reichten sogar ein paar Akkorde auf dem E-Piano, und schon übernahmen wieder die Fans den Gesang, als wären sie bei der Probe dabei gewesen. Die Textzeile „Hörst du den Chor? Schief und doch schön“ passte hier nur so halb, denn schief war es nun wirklich nicht. Bei diesem Lied war statt der fetzigen elektrischen auch mal die Akustikgitarre zu hören, eben wie auf der Studio-Aufnahme.
Nur wenige Lieder passten wirklich in die Schublade mit der Aufschrift „Hip Hop“, von dieser Szene hat Casper sich ja schon vor Jahren distanziert. Oft klang es nach einer unerwartet harmonischen Mischung aus Heavy Metal und Electro oder Indie und Hip Hop. Insgesamt war der Sound mit zwei E-Gitarren, Bass und Drums richtig fett, den Produzent Markus Ganter von den Tasteninstrumenten aus unauffällig dirigierte. Dabei thronte er, ebenso wie der Drummer, ziemlich weit oben, beide links und rechts von einer schiefen Ebene aus Metallgittern, die einen großen Teil der Bühne einnahm. Nur hin und wieder turnte Casper auf ihr herum. Sie bildete aber den Rahmen für eine bombastische Lightshow, wie sie im offiziellen Video zu dem neuen Lied „Sirenen“ schon zu erahnen ist. Manchmal haben die Lichttechniker mit Filmausschnitten auf einer großen LED-Leinwand noch eins drauf gesetzt. Da waren dann monochrome Naturaufnahmen zu sehen, mit denen die Stimmungen einiger Lieder unterstützt wurden.
Die neuen Lieder hatte Casper gut gemischt mit bekanntem, vor allem aus den beiden Vorgeänger-Alben „XOXO“ und „Hinterland“. Mitgesungen haben die Fans eher bei den alten Liedern, wie „Michael X“, gefeiert haben sie aber jedes Lied. Die Arme gingen ständig in die Höhe, es wurde gehüpft und gesprungen und immer wieder bildeten sich Moshpits. Gefeiert wurde dann auch, als Casper zwischendurch plötzlich inmitten des Saals auf einer kleinen B-Stage neben den Mischpulten auftauchte und so für drei Lieder den weiter hinten stehenden Zuschauern nahe kam. Den Rückweg bewältigte er so schnell, dass die ihn begleitenden Sicherheitskräfte aus der Puste kamen. Bei der Gelegenheit gestand er, sich vor der Tour mit Sport fit gemacht zu haben. Er hätte nämlich befürchtet, nicht genügend Kondition zu haben. „Ich bin alt, der Verfall setzt ein“, kokettierte der 35jährige mit seinem Alter. Von Verfall war aber nichts zu spüren, unermüdlich sprintete er von einem Ende der Bühne zur nächsten, mitunter sogar nur auf einem Bein. Da kamen die Pressefotografen oft gar nicht hinterher.
Casper tritt ohnehin nicht für die Presse auf, ihm ist inzwischen ziemlich egal, was andere sagen. Er hielt sich auch im Konzert mit Meinungsäußerungen nicht zurück. „Alle Finger hoch für Toleranz, gegen Faschismus!“ rief er laut aus, und „Fick die AfD, Nazis raus!“, wofür er genau so viel Jubel erntete, wie für seine Songs. Überhaupt scheinen Casper und seine Fans eine verschworene Gemeinschaft zu bilden. Die nahm es ihm nicht einmal krumm, dass er seine zugedachte Rolle als Prediger etwas karikierte, als er bei dem Lied „Sirenen“ eine Schwebebühne betrat, die fast bis unter die Decke gezogen wurde. Von dort sang er das Lied, das in den nächsten Jahren sicher eine Hymne auf allen Festivals sein wird. Auch wenn er darin ruft „Keiner bewegt sich“ – es bewegten sich alle, manche bis zur Erschöpfung.
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