Man muss schon aus einem reichhaltigen Repertoire an Hits schöpften können, um mit einem Kracher wie „Su lang mer noch am lääve sin“ den Abend zu Eröffnen. Das können Brings, und sie können es pünktlich (20 Uhr steht auf dem Ticket, um 20 Uhr steht die Band auf der Bühne) und auf den Punkt. Auch das Publikum fackelt nicht lange und geht ab spätestens 20:01 konsequent bei jedem Song mit. Auf der mehrfach geteilten Videowand laufen währenddessen – inhaltlich zum Song passend – Bilder verstorbener Prominenz aus Musik und Kultur. Von Lemmy bis Loriot ist alles dabei. Eine schöne Geste.
Musikalisch haben die Kölner sich noch Verstärkung an der Posaune geholt. Das bring den Sound gut nach vorne (kann man das schon SKArneval nennen?), macht Spaß und sorgt für beste Stimmung im Publikum, das für die kommenden knapp zweieinhalb Stunden nicht daran denkt, mit dem Ausrasten aufzuhören. So wird auch zu „Besoffe vör Glück“ (und vermutlich auch von eher flüssigen Freudenspendern) weiter geschunkelt und getanzt. Bei „Loss dich falle“ zeigt Gitarrenmagier Harry Alfter noch eher unauffällig sein Können, Kenner des Instruments merken aber auch ohne große Geste, dass hier ein absoluter Profi am Werk ist. Und kein Grund zur Sorge: die große Geste wird im Laufe des Abends noch reichlich ausgepackt. Im Herzen ist man halt immer noch Rockband.
„Man müsste noch mal zwanzig sein“ trifft genau den Nerv des Publikums, bevor man sich mit „Du bist“ kollektiv als Freunde und Förderer der Schmusenummer outet. Dieser Linie bleiben Brings auch mit „Sag et op Kölsch“ treu, bevor mit „Sünderlein“ der letzte Sessions-Hit wieder Schwung in die Truppe bringt. Abermals überzeugt auch das Publikum mit solider Text- und Stimmfestigkeit.
Stichwort Publikum: Um auch während der Pandemie gefahrlos auftreten zu können, war im Hause Brings Kreativität gefragt. Aber getreu der Devise „nicht klein kriegen lassen“ wurde eifrig vor Liegestühlen und in Autokinos gespielt. Diese turbulente und nicht gerade einfache Zeit, aber auch der Wille zum und die Lust am Weitermachen spiegelt sich im Pandemie-Rückblick „Mir singe Alaaf“ wider. Nach einem kleinen Umweg über den einstigen Skandal-Hit „Poppe, Kaate, Danze“ schließt sich der thematische Corona-Kreis mit der neuen Karnevalsnummer „Mir sin widder do“ und dem Statement, wieder da zu sein – und zwar so wie früher!
Im Anschluss an „Riesenkamell“ und „Halleluja“ folgt mit „Nur nicht aus Liebe weinen“ eine Hommage an die unvergessene Zarah Leander, die der Opa noch im Kino – bevor es zum REWE-Markt wurde – gesehen hat. Nachdem kürzlich das „listige Bergvolk“ in der Eifel schwer vom Hochwasser getroffen wurde, was die Band sichtlich berührte und mit Benefizkonzerten für die Eifel- und Ahr-Region bedacht wurde, werden die schönen Seiten der Eifel in den Mittelpunkt gerückt: Mit abwechselndem Gesang der Brings-Brüder und Saitenflitzer Alfter (der an der Sechssaitigen sicherlich besser aufgehoben ist, aber an anderer Stelle dennoch stimmlich überraschen kann) wird der Fern(oder nah?)weh-Hit „Eifel“ zum Besten gegeben. So wird die Eifel sicherlich nicht vergessen.
Erwähnte ich gerade einen gewissen Gitarristen, der an anderer Stelle noch stimmlich brillieren sollte? MC Alfter is in the house! Mit „Et jeilste Land“ haben Brings eine astreine Hip-Hop-Nummer am Start, in der Harry mit überraschend guten Rap-Skills seine Reime ins Volk spuckt. Doch nicht nur Köln ist „et jeilste Land“: Münster ist ja auch nicht schlecht.
Großes Highlight ist wie üblich der Song, der die Band in den frühen 2000ern aus einer tiefen Krise geführt hat: „Superjeilezick“ kommt als extralanges Stimmungs-Medley mit „Tränen lügen nicht“, „Whole Lotta Love“ und der „F.C.“-Version von „Thunderstruck“ daher, bevor mit „Jeck Yeah! (Mir sin all nur Minsche)“ an Menschlichkeit und Gleichheit appelliert wird.
Nachdem Harry Alfter an diesem Abend bereits mehrfach im Rampenlicht an der Gitarre glänzen durfte, schlägt nun die Stunde des Drummers Christian Blüm: mit einem sauber auf den Punkt geballerten Schlagzeugsolo leitet er „Polka Polka Polka“ ein, bevor seine Kollegen mit Balalaika-Bass und Akkordeon mit einsteigen. Das fühlt sich nicht mehr nach Jovel an, das ist schon mehr als ein kleines bisschen Stadion-Feeling – samt Konfettiregen. Mit „Kölsche Jung“ endet nach gut über zwei Stunden das reguläre Programm, jedoch lässt sich die sichtlich spielfreudige Band nicht lange bitten, bevor der Abend mit „Die Liebe gewinnt“, „Heimjon“ und einem finalen Rückgriff auf „Mir sin widder do“ zu einem würdigen Abschluss gebracht wird.
Und so bleibt nach einem rundum gelungenen Abend für alle Karnevals- und Kölschrock-Freunde nur der kleine wehmütige Wunsch, beim nächsten Mal vielleicht doch noch einige der Klassiker aus frühen Jahren – der prä-karnevalistischen Kasalla-Ära – serviert zu bekommen.
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