Neben den Titeln des neuen Albums gab Axel (Aki) Bosse musikalische und persönliche Rückblicke in seine Musikzeit sowie zahlreiche Aufforderungen, mit ihm und der Band zu tanzen. Neben Bier und Schweiß flossen am Samstagabend in der Halle Münsterland später auch ein paar Tränchen.
Es war eine insgesamt knappe Kiste: Zum einen das Spiel (und Streaming) Dortmund gegen Hertha, das vor dem Konzert auf manchen Handy-Bildschirmen im Saal geschaut wurde; zum anderen die Überlegungen eines Elternpaares, wann Aki auf die Bühne kommt, damit Oma und Opa nicht allzu spät von ihren Posten an den Kinderbetten abgelöst werden. Aber auch der Verkauf der letzten Tickets ging quasi erst fünf vor 12 auf: „Knapp vor Bums ausverkauft“, informiert Bosse von der Bühne aus die 6000 wartenden Menschen in der Halle Münsterland. Das sei für Bosse nicht selbstverständlich. In 15 Jahren Musikgeschäft waren sie schon häufiger in Münster – „da waren auch mal kaum Leute da“.
Mit Wanderer und dem Titelsong (und Tour-Namen) Alles ist jetzt kommen zwei Titel des aktuellen Albums gleich zu Beginn. Aber auch zu Liedern aus früheren Alben wird an diesem Abend gesungen, getanzt, gefeiert. Während zu Du federst der „Booty geshakt“ werden soll, wird es beim folgenden Lied nahezu andächtig: Während auf den Bühnenbildschirmen zwischen den Flutsch-Finger-Eis-Dekorationen die Pinguine aus dem Musikvideo watscheln, wechselt sich der inzwischen sehr auf Betriebstemperatur bis heiß gelaufene Aki Bosse mit dem Publikum in „Hurra“-Wechselgesängen strophenweise ab.
Was sich an diesem Abend konstant hält, ist nicht nur die Aufforderung des Sängers ans Publikum, mitzutanzen. Die Zeit zwischen den Songs nutzt Aki stets, um den Fans die Kontexte seiner Songs zu erklären. So habe er seit vier Jahren ein unbehagliches Gefühl („mir steckt seit vier Jahren die Kotze im Hals“) ob mancher politischen Programme und hält es für erforderlich und angemessen, eine gesangliche Gegenstimme zu stellen („es ist Zeit, die Fresse aufzumachen“). Die Gegendemo müsse bunt sein und obliege nicht allein den Politpunkbands („wir sind eben nicht Feine Sahne Fischfilet, die ich sehr mag“). So stimmen Bosse das Lied Robert De Niro an.
Bosse ist aber nicht nur unzufrieden angesichts des Rechtsrucks, auch die eigene Performance findet der 39-Jährige nicht gelungen: „Boah, hab‘ ich das gerade scheiße gesungen“, sagt er in den Applaus hinein und würde am liebsten die ganze Nummer nochmal… Nein. Stattdessen singt er ab der Bridge nur mit Klavierbegleitung. „Eine klare Kopfstimme ist für schlechte Sänger nicht leicht“, stellt er sein Licht ein wenig unter den Scheffel. Aber das ist Bosse: authentisch. Nicht nur weil er die Songs selbst schreibt, sondern auch, weil keine Fassade das Publikum (von zum Beispiel Selbstkritik) abschirmt.
Der 12-jährigen („Du bist bestimmt 12, du siehst genauso alt aus wie meine Tochter“) Lea widmet Bosse das Lied Die Nacht. Später reichen dem Publikum schon die Fragmente „als meine Tochter klein war“, „Reise“ und „Kraniche“, um lauthals „ISTANBUUUUL“ zu schreien. Schönste Zeit wird eingeleitet mit einer kommentierten Zeitreise in die Vergangenheit eines Dorfkindes, das endlich eine Seelenverwandte gefunden hat und diese schließlich ziehen lassen musste („Wir haben uns das allererste Mal im Bus gesehen. Gleiches Piercing und gleiche Frisur. Und die Haarfarbe von Kurt Cobain“). Mit Schönste Zeit endet die schönste Zeit an diesem Abend aber noch nicht. Nach Vier Leben gibt es Sprechchöre zum Applaus – „Ihr seid die aller Krassesten!“, sagt Aki nach einer Pause sichtlich gerührt und mit Tränen in den Augen. Nach ein paar Momenten und Augenblicken kann es weitergehen.
Ergriffen und bewegt passt die Stimmung zum Duett Ich bereue nichts, das Aki mit Bandkollegin Valentine Romanski singt. Eine selten schöne Kombination aus Elbe-Ufer, Bierlaune und ‚Family and Friends‘ habe ihn an einem Sommertag gepackt und ihn leicht lallend Sprachnachrichten an Valentine schicken lassen, die dann in Berlin Stimmen und Melodien – aber nicht den Wortlaut verändert habe: „Wenn ich in den Rückspiegel seh‘, sind da mehr Lacher als Tränen. Ist da viel mehr Freude, als Bullshit.“[Sic!] Ergreifend und doch nicht schnulzig: das Bild von Aki („bin voll wie ein Pferd und lieg‘ auf dem Rasen“) und dessen Vaddern, der die Würstchen grillt. Einfach sehr nah.
Apropos nah: Für das Lied Kraniche mischt sich Bosse in die Saal-Menge und warnt (wieder sehr ehrlich) vor: „Ich bin ziemlich nass, aber ich stinke nicht. Hab‘ extra viel Körperspray benutzt.“ Erschreckend wäre es andersherum: Wenn jemand, der dermaßen viel tanzt, springt und hüpft, nicht oder nur leicht transpiriert – auch wenn Bosse betont, nicht mehr der Jüngste zu sein. Nach zahlreichen Zugaben und insgesamt zwei Stunden Bosse wird Münster mit einem Versprechen über das Ende des Abends hinweggetröstet: „Wir kommen eine Milliarde Mal wieder! Solange die Raucherbeine dranbleiben!“
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