Bei einer zweimonatigen Bootsfahrt von der Maas bis zur Oder während der Coronapandemie setzte der Architekturfotograf Boris Becker sein Brückenprojekt um. Der Becher-Schüler hat alle Brücken erfasst, die während der Reise die Gewässer überspannt haben. Eine Auswahl hat er für die Ausstellung „Am Wasser“ im LVM Kristall zusammengestellt, die nur während der Langen Nacht der Galerien und Museen im Rahmen von „Schauraum 2024“ der Öffentlichkeit zugänglich ist. Wir geben hier Auszüge aus dem Interview wieder, das heute auf www.schaufensterradio.de ausgestrahlt wurde.
Boris Becker ist ein Schüler des Künstlerpaars Bernd und Hilla Becher, die als Gründer der bekannten „Düsseldorfer Photoschule“ gelten. Motive seiner Arbeiten sind vor allem Konstruktionen und Details aus Architekturen und Landschaften, am bekanntesten ist wohl seine Serie von rund 700 Weltkriegsbunkern. Er ist der Sohn des Kölner Schriftstellers Jürgen Becker.
*****
alles münster: Herr Becker, Sie eröffnen heute Nachmittag Ihre Werkschau im Umfeld der langen Nacht der Münsteraner Museen und Galerien. In ihr werden Fotos gezeigt, die Sie während einer Bootsfahrt von West nach Ost gemacht haben, auf der Sie von der Maas bis zur Oder gefahren sind. Was hat Sie denn gereizt, diese Reise zu machen und tatsächlich alle Brücken zu fotografieren, denen Sie auf dem Weg begegnen?
Boris Becker: Ich bin früher mit unserem Boot, als das noch in Köln lag, öfter zur Nordsee gefahren, und dann sind wir über den Dortmund-Ems-Kanal gefahren, in beide Richtungen, und an dem sogenannten Nassen Dreieck [bei Hörstel, die Red.], das ist der Abzweig in den Mittellandkanal, da steht ein Schild „Berlin.“ Und ich hatte immer so die Lust, einfach abzubiegen und nach Berlin zu fahren. Und das macht man natürlich nicht. Zu Corona-Zeiten, als der Lockdown im Grunde alle anderen Projekte verhindert hat, habe ich mir gesagt, das mache ich jetzt. Also, wenn nicht jetzt, wann dann? Da hatte ich die Zeit.
Mittlerweile lag unser Boot aber in Holland, im Mündungsgebiet der Maas. Und dann habe ich mir überlegt, ich fahre von der Maas, von Holland, von den Niederlanden bis nach Stettin und über die Oder. Das sollte natürlich kein reiner Urlaubsturn werden, das wäre zwar auch ganz schön gewesen, aber dann habe ich mir gesagt, dann machst du halt ein Projekt und fotografierst alle Brücken, unter denen du herfährst. Und ohne eine Wertung vorzunehmen, also ohne zu sagen, nur bestimmte Brücken oder nur Autobahnbrücken oder Fußgängerbrücken, sondern von der Eisenbahnbrücke bis zur Industriebrücke über die Fußgängerbrücke, habe ich dann alles abgelichtet. Das ist dann halt so ein Konvolut von ca. 650 Brücken geworden.
Also ich persönlich wäre jetzt nie auf die Idee gekommen, alle Brücken, die wir in Münster haben, zu fotografieren, weil das zu alltäglich ist. Was reizt Sie denn an dieser Vorgehensweise, wenn Sie systematisch wirklich alle Brücken aufnehmen und dabei auch die betrachten, die mir als Münsteraner gar nicht mehr auffallen? Oder wird jede einzelne Brücke von Ihnen gesondert wahrgenommen.
Das Konzept war natürlich ganz klar vorgegeben, dass ich alle Brücken fotografiere, und es durfte keine einzige fehlen, sonst hätte das ganze Konzept nicht funktioniert. Und ich habe natürlich von jeder Brücke eine ganz spezielle Aufnahme gemacht. Ein Crewmitglied – das war dann meine Familie, die da mitgefahren ist – hat die Brücke dann auf den jeweiligen Wasserstraßen in der Mitte angefahren und dann habe ich im optimalen Zeitpunkt das Foto gemacht. Und wir sind dann aber auch weitergefahren. Also ich habe dann nicht lange gewartet, sondern das ist so aus der laufenden Fahrt entstanden. Und ich habe da keine Wertung unternommen oder vorgenommen, dass ich gesagt habe, also ich lasse bestimmte Brücken aus, weil die sich in der Form wiederholen, sondern es sollten alle Brücken sein. Und das erscheint dann natürlich manchmal so, dass einige Brücken in der Reihe sich wiederholen. Aber im Gesamtkonzept war das untergeordnet.
Ursprünglich waren ja Ihre Bilder überwiegend schwarz-weiß, in der Tradition von Bernd und Hilla Becher, wo Sie ja auch in der Klasse tätig waren. Wann haben Sie denn für sich die Farbe entdeckt?
Der Weg war eigentlich andersherum. Ich habe zuerst alles in Farbe fotografiert. Und in der Vorbereitung für die abschließende Publikation, die dann erschienen ist, habe ich gemerkt, dass es in Farbe nicht so gut funktioniert. Die Konstruktion der Brücken wird nicht richtig wahrgenommen, wenn Sie zum Beispiel farbige Tonnen, Bojen, oder so Plastikboote oder blauen Himmel oder eine farbige Architektur am Ufer noch dazu sehen. Und dann habe ich mir ziemlich schnell überlegt, dass ich das alles in schwarz-weiß mache, so dass es auf die reine Form konzentriert ist.
Aber es gibt eben einige Aufnahmen, die funktionieren in Farbe. Und eben auch diese zwei Motive aus der Münsteraner Sonderedition, die ich dann in Farbe zeige, ist ein Motiv unter der Brücke. Und man sieht sozusagen diesen Brückenkopf mit der Bezeichnung der Brücke. Und das andere Foto zeigt ein Wohnmobil, das durch die Farbe besticht.
Herr Becker, Sie eröffnen am Samstag die Ausstellung. Was erwarten Sie denn da?
Also ich bin eigentlich sehr offen. Ich freue mich natürlich, wenn viele BesucherInnen kommen. Mein Angebot ist halt auch, dass ich über meine Arbeit spreche, dass ich gegenüber Fragen offen bin, dass also auch alle Fragen gestellt werden können, dass da keiner irgendwie eine Zurückhaltung üben muss, jetzt den Künstler anzusprechen. also in dem Fall nicht. Diese Bedenken sind bei mir unbegründet.
Ich weiß ja, dass viele kunstinteressierte Leute eine Schwellenangst haben, entweder in eine Galerie zu gehen oder mit Kunstschaffenden ins Gespräch zu kommen. Deswegen finde ich dieses Angebot [er meint „Schauraum“; die Red.] hervorragend: Dass man einerseits sagt, wir öffnen die Sammlung fürs Publikum und man kann mit der Künstlerin oder dem Künstler ins Gespräch kommen. Und da freue ich mich drauf.
Jetzt haben Sie ja 650 Brücken gesehen von der Mars bis zur Oder. Wenn Sie sich jetzt vor Ihrem geistigen Auge eine ideale Brücke vorstellen, wie würde die denn aussehen?
Es gibt eigentlich keine ideale Brücke. Das hängt einfach damit zusammen, dass es natürlich unterschiedliche Szenarien gibt, die zu überbrücken sind. Also es gibt natürliche kleine Bäche, bei denen man mit ein paar Brettern eine Brücke bauen kann. Dann gibt es den Sund, wo eine Brücke über mehrere Kilometer sich erstreckt.
Es gibt eben doch Brückentypen, die sich immer wiederholen. Und das ist mir vor allen Dingen in Ostdeutschland aufgefallen, wo ich erwartet habe, jetzt sehr, sehr abwechslungsreiche Brücken zu sehen. Da sind einfach die alten Brücken komplett nach der Wende abgerissen worden und durch so einen Standardtyp ersetzt worden. Das ist natürlich auf die Dauer ein bisschen langweilig. Ich fand es eigentlich schön, die alten Bundesbahn- und Eisenbahnbrücken zu sehen, weil die häufig noch aus dem 19. Jahrhundert stammen, teilweise in so Stahl- oder Eisenkasten-Bauweise. Und da ist eine Abwechslung drin, die ich natürlich lieber sehe.
Die LVM-Versicherung öffnet auch heute (31. August) wieder im Rahmen des „Schauraum – Fest der Museen und Galerien in Münster“ ihre Sammlung. In diesem Rahmen ist die Ausstellung des Kölner Fotografen Boris Becker zu sehen. Bis 24 Uhr können Gäste in kurzen Führungen eine Auswahl der LVM-Kunstsammlung kennenlernen oder die ausgestellten Werke eigenständig erkunden.
- Münster-Marathon bald mit neuer Strecke Eine außergewöhnliche Terminkollision: Münster und Berlin laufen 2025 am selben Tag / Strecke soll spätestens 2027 geändert werden - 21. Dezember 2024
- Boris Becker behandelt alle Brücken gleich Der Kölner Fotograf Boris Becker stellt seine Serie mit Kanalbrücken zwischen Maas und Oder heute bei der Langen Nacht der Galerien und Museen im LVM Kristall aus - 31. August 2024
- Flanieren zwischen Kunst, Kultur und Kulinarik Ende August wird Münster wieder zum „Schauraum“ für Kunst und Kultur / Traditionelles Herzstück zum Abschluss: Die Nacht der Museen und Galerien - 16. August 2024