Leben in Rot, Gelb, Blau und Grün Zehn Jahre neue Boeselburg

Die markanten Farben der Wohnanlage fallen sofort auf. (Foto: Michael Bührke)
Die markanten Farben der Wohnanlage fallen sofort auf. (Foto: Michael Bührke)

Offiziell heißt sie „Wohnanlage Boeselagerstraße“, bekannter ist sie wohl unter dem Namen „Boeselburg“. Auch wer dort nicht seine Studienzeit verbracht hat, kennt vermutlich die auffällige Architektur mit den bunten Fassaden, die ein wenig an Legohäuser erinnert. Dabei glänzt die Anlage nicht nur äußerlich, sondern auch energetisch, sie ist Europas größte studentische Passivhaussiedlung. Jetzt schaut die markante Einrichtung des Studierendenwerks auf ihr zehnjähriges Bestehen zurück, am 26. Juni 2014 öffnete die neue Wohnanlage ihre Tore. Rund 3.200 Studierende haben seither dort gewohnt, gelernt und gefeiert.

Auffallend sind die bunten Farben, mit denen die Gebäude gestrichen sind. (Foto: Michael Bührke)
Auffallend sind die bunten Farben, mit denen die Gebäude gestrichen sind. (Foto: Michael Bührke)

Vorgängerin war die ebenfalls schon als „Boeselburg“ bekannte Wohnheimeinrichtung aus dem Jahr 1972, die nicht nur optisch schon ziemlich in die Jahre gekommen, sondern auch energetisch definitiv nicht mehr auf der Höhe der Zeit war. Eine Sanierung der Betonsiedlung kam nicht in Frage. Ein Neubau sollte her, wobei in Kauf genommen wurde, dass die Zahl der Mieterinnen und Mieter auf dem Wohnheimgelände von bisher 720 auf dann 535 Studierende sinken würde. Grund waren die größeren Wohnungen und die andere Bauart der neuen Anlage. Die bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner wurden damals auf andere Wohnheime verteilt. Die alte „Boeselburg“ entpuppte sich allerdings als architektonische Trutzburg, der Boden war ebenso wie das Gebäude schadstoffbelastet, allein die daraus resultierenden Abriss- und Entsorgungskosten lagen bei fast zwei Millionen Euro. Den 2009 ausgeschriebenen Bauwettbewerb gewann das heimische Architekturbüro Kresings, das in Münster unter anderem das markante „Hotel Atlantic“ und das nicht minder spektakuläre „Center for Soft Nanoscience“ an der Busso-Peus-Straße entworfen hat.

Die Wohnanlage fällt auch aus der Luft auf. (Foto: Thomas M. Weber)
Die Wohnanlage fällt auch aus der Luft auf. (Foto: Thomas M. Weber)

Die „Boeselburg“ ist nach wie vor bei Studierenden beliebt, Mitte April haben sich 875 Bewerberinnen und Bewerber um die 535 Wohnheimplätze beworben. „Jeder, der an den Hochschulen Uni Münster, FH Münster, Kunstakademie oder Katholische Hochschule eingeschrieben ist, kann sich in einer unserer Wohnanlagen einmieten. Die Wohnanlage ist nicht nach DIN-Normen barrierefrei. Für Rollstuhlfahrer jedoch durchaus attraktiv, weil ebenerdig und per Aufzug erreichbar“, wie Katrin Peter vom Studierendenwerk berichtet. Die vier Wohnblöcke, jeder bemalt in einer anderen, auffälligen Farbe, haben ihren Bewohnerinnen und Bewohnern einiges zu bieten. Jeder hat einen Innenhof, der von den Bewohnenden genutzt werden kann. Es gibt eine zentrale Waschbar, einen Gemeinschaftsraum und ein Tutorenbüro. Auf Studierende mit kleinen Kindern wartet eine Großtagespflegestelle, in der neun U3-Kinder von zwei Erzieherinnen betreut werden. „Studentisches Wohnen ist lebendig, vielseitig und bunt. Das haben wir versucht in unserem Konzept mitzutragen. Daher auch der große Fokus auf unterschiedliche Räume für Privatheit, Austausch und gemeinschaftliches Treffen“, betont Kilian Kresing, der die Anlage gemeinsam mit seinem Vater Rainer Maria Kresing sowie Stefan Fuchs, Guido Becker, André Pannenbäcker und Jan Tölle geplant hat.

Die Unterflurmülltonnen. (Foto: Michael Bührke)
Die Unterflurmülltonnen. (Foto: Michael Bührke)

Ebenfalls eine Pionierleistung auf dem Gelände der Boeselburg: In Kooperation mit den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster (awm) wurden auf der Fläche der Wohnanlage erstmals Unterflurmüllcontainer installiert. Für die Leezen gibt es Fahrradeinzelboxen, die angemietet werden können. Die Studierenden haben in der Boeselburg Nachbarn der besonderen und geschützten Art, an zahlreichen Stellen hängen Fledermauskästen, bereits die alte Anlage wurde von den Flattertieren zur Aufzucht ihrer Jungtiere und als Winterquartier genutzt. Die auffällige Architektur zieht jedoch nicht nur Batmans kleine Verwandten an, auch Touristen zogen schon fotografierend durch die Anlage: „Es gab bereits Reisegruppen, welche aufgrund der Attraktivität der Anlage gerne mit Busladungen voller Senioren anreisen und dann ohne Anmeldung Führungen auf dem Gelände veranstalten. Dies geht jedoch leider nicht, weil sich dann unsere Mieterinnen und Mieter beschweren, wenn auf einmal Touristen durch ihre Fenster fotografieren“, wie Peters betont.

Die Fenster sollten wegen der speziellen Beheizung geschlossen bleiben. (Foto: Michael Bührke)
Die Fenster sollten wegen der speziellen Beheizung geschlossen bleiben. (Foto: Michael Bührke)

Wer in einem Passivhaus lebt, sollte sich im Alltag an ein paar Regeln halten, wie Katrin Peter vom Studierendenwerk weiter erläutert: „In einem Passivhaus zu leben, bedeutet, dass man sich auf eine kontrollierte Wohnraumlüftung verlassen kann, die einen regelmäßigen Luftaustausch und eine konstante Raumtemperatur gewährleistet. Das gelingt nur, wenn alle Bewohnerinnen und Bewohner ihre Fenster nicht auf Kipp stellen, sondern nur regelmäßig stoßlüften.“ Beheizt wird die Anlage mittels Geothermie mit Bohrlöchern von 120 bis 130 Metern Tiefe.

„Die Leitidee war es immer gewesen, öffentliche Räume zu schaffen, die einen Bezug zur Altstadt haben. Wir glauben, dass die besondere Stellung der Baukörper das heute auch hält. Wir glauben, dass die neue Boeselburg eine Adresse und damit Destination in Münster geworden ist. Identifikation ist da und das freut uns am meisten“, ist sich Architekt Kresing sicher. Wegen ihrer architektonischen Besonderheiten war die Wohnanlage Boeselagerstraße Ausstellungsstück beim Tag der Architektur 2015, bei den KlimaTagen 2017 sowie Teil der KlimaExpo.NRW 2018. Sie wurde mit dem ersten Preis beim NRW Landeswettbewerb innovative Wohnformen 2009 und der BDA-Auszeichnung Guter Bauten 2014 und ausgezeichnet.

Die Innenhöfe dienen der gemeinsamen Nutzung. (Foto: Michael Bührke)
Die Innenhöfe dienen der gemeinsamen Nutzung. (Foto: Michael Bührke)

„Die Böselburg war und ist für uns eine besondere Aufgabe. Denn schon immer war die Frage aktuell, wie wir morgen zusammenleben wollen. Das Wohnheim ist zumindest für uns ein Meilenstein auf der nie endenden Suche. Wir wissen nicht, ob das spektakulär ist, aber hoffentlich für viele ein echtes zu Hause“, hofft Kresing mit Blick auf die Anlage, die in diesen Tagen ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Bei aller Begeisterung für das bunte Wohnensemble an der Boeselagerstraße, gibt es doch einen Punkt, der den Architekten Kilian Kresing zumindest etwas wurmt: „Heute ist die Bespielung der Dächer ein allgemein gewolltes Muss. Damals haben wir für die Nutzung der Terrassen und Dächer gekämpft. Leider konnten wir uns nicht durchsetzen.“

Fotos: Michael Bührke

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