Ich fahre abends vom Kiosk mit dem Fahrrad nach Hause. Mir kommt ein vermutlich betrunkener Mann entgegen. Ich richte meinen Blick geradeaus vor meinen Vorderreifen und fahre weiter. Seinen Blick spüre ich auf mir. Gerade fahre ich an ihm vorbei, er ruft mir hinterher: „Ey du Schlampe, was machst du hier?“ Aufgelöst, mit einem ekeligen und unguten Gefühl, fahre ich nach Hause und frage mich, was mir da gerade passiert ist.
Ich erwische mich dabei, darüber nachzudenken, ob ich mich mit meiner langen schwarzen Hose, meiner Lederjacke und einem schwarzen Wollschal falsch gekleidet habe. Habe ich die Person zu lange angeschaut? Was habe ich falsch gemacht? Aber sollte ich nicht viel mehr das Verhalten dieser Person hinterfragen und nicht mich oder meinen Kleidungsstil? Natürlich – aber das fällt schwer.
Genauso schwer fällt es in solchen Situationen, dem Gegenüber entgegenzutreten. Wie zum Beispiel an diesem Tag im Sommer: Ich trage eine kurze Hose und betrete den Aldi am York Center. Sobald ich durch die Tür gehe, fangen meine Beine den Blick eines alten Mannes. Da ist wieder dieses Gefühl. Ein Gefühl von Ekel, Scham, Wut und dem Wunsch etwas zu sagen, es aber nicht zu schaffen. Ich gehe also weiter. Seine Augen immer noch auf meinen Beinen. Ich gehe an ihm vorbei – Natürlich dreht er sich mit, sodass sein Blick auf meinen Beinen kleben bleibt. Ich bin an ihm vorbei gegangen, spüre seinen Blick noch immer auf mir. Meine Wut und mein Ärger werden so groß, dass ich zum ersten Mal einer solchen Situation verbal entgegentrete. Ich drehe mich um und schaue dem Mann in die Augen. Ich frage ihn: „Was ist dein Problem? Warum guckst du mir hinterher?“ Der Mann ist merklich verwundert über meinen Kommentar. Wahrscheinlich verwundert darüber, dass meine Körperfunktionen über das ledigliche Besitzen von langen Beinen hinausgehen. Er muss sich also erstmal sortieren, bevor er dann mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht reagiert: „Wieso? Fühlst du dich etwa davon belästigt?“ Mit diesem Kommentar war dann leider auch schon meine Kraft, ihm nochmal etwas entgegenzusetzen, aufgebraucht, ich verlasse den Laden und bin es leid mich aufgrund von Blicken anderer Leute unwohl zu fühlen.
So wie auch an einem Nachmittag auf dem Weg ins Campus Café. Ich sitze wieder auf meinem Fahrrad und fahre einen schmalen Pfad entlang. Mir kommt ein Mann entgegen, dessen Blick mich dazu bringt, keinen Augenkontakt mit ihm haben zu wollen. Er trägt ein breites Grinsen, das mich unwohl fühlen lässt. Also schaue ich wieder geradeaus vor mein Vorderrad und an ihm vorbei. Im letzten Moment blicke ich noch einmal zu ihm und verpasse somit leider nicht den Moment, in dem er mir einen Luftkuss zuwirft. Ich schaue wieder nach vorn und denke mir „ich hab es doch eh gewusst“.
Diese und viele weitere Blicke, Kommentare, Sprüche und hupende Autos gehören zu meinem sowie zum Alltag vieler anderer. Warum ich das hier festhalten möchte? Ich möchte Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass es neben dem wunderbaren Flair in Münster, der Stimmung beim Wochenmarkt, den geschmückten Bäumen am Aasee oder den leuchtenden Fenstern am Prinzipalmarkt auch andere Seiten gibt. Seiten, die viele von uns täglich miterleben und gleichzeitig für einen anderen Teil der Gesellschaft gar nicht präsent sind. Catcalling und Belästigung gehören auch hier zum täglichen Leben.
Kurze Kleidung, Freundlichkeit, Augenkontakt oder Smalltalk sind keine Einladungen für Belästigung. Ein hupendes Auto oder gaffende Blicke sind keine nett gemeinten Komplimente. Respektiert euer Gegenüber und greift ein, wenn ihr Situationen mitbekommt, in denen sich jemand unwohl und belästigt fühlt. Euch wird es leichter fallen als der belästigten Person.
Heute ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Gewalt muss nicht immer physisch sein, auch Worte können verletzen. Teilt in den Kommentaren unten gern eure Erfahrungen und Gedanken mit uns. Wie handelt ihr in diesen Situationen? Was wünscht ihr euch von euren Mitmenschen und welche Tipps könnt ihr Betroffenen mit auf den Weg geben? Solltet ihr betroffen sein und die Geschichte öffentlichen machen wollen, könnt ihr euch zum Beispiel an die Initiative „Catcalls of Münster“ wenden: Catcalls of Münster (Instagram)
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Hallo,
gerade Münster ist eine Stadt, in der ein extrovertiertes Aussehen besonders ausgeprägt ist. Wer einmal den Prinzipalmarkt rauf und runter flaniert ist, der kann sich geradezu in Körperblicken suhlen. Sie werden meistens positiv empfunden. Unangenehme Blicke und Bemerkungen sind in dem Citybereich eine Seltenheit. Besucher fahren nach Münster um sich einerseits zu präsentieren und um andererseits die Präsentationen der Stadt, gleich welcher Art, zu genießen. Mal wat anderes sehen heißt die Devise und da gehören selbstverständlich auch die quicklebendigen, jungen und hübschen Menschen zu, auch Frauen. Genießen Sie es wenn man Ihnen nach sieht und Ihre Weiblichkeit, ihre Kleidung, ihre Bewegungen, etc…. bewundert. Und miese Bemerkungen kann man auch abwettern, in dem man denkt: “ Was stört es die schöne, westfälische Eiche, wenn sich ein mieses Schwein daran schabt!“
„Ich trage eine kurze Hose und betrete den Aldi am York Center. Sobald ich durch die Tür gehe, fangen meine Beine den Blick eines alten Mannes. Da ist wieder dieses Gefühl. Ein Gefühl von Ekel, Scham, Wut und dem Wunsch etwas zu sagen, es aber nicht zu schaffen.“
Da komme ich irgendwie nicht mit. Wieso empfinden Sie Ekel, Scham und Wut dabei, wenn Ihnen jemand (Ihre Betonung „alter Mann“ finde ich im Übrigen diskriminierend) auf die Beine schaut? Könnte es sein, dass Sie da möglicherweise aus persönlich-biographischen Gründen überreagieren?