Gestern feierte das begeisterte Publikum im Theater Münster den Auftakt zum Internationalen Jazzfestival Münster mit den ersten vier Konzerten im Großen Haus, darunter das HAL Trio mit Han Bennink, Aki Takase und Louis Sclavis. Heute und am Sonntag geht das Festival weiter mit einer bunten Klangmischung und überwiegend weniger bekannten Musikern.
Das 28. Jazzfestival Münster eröffnete mit einem gewohnt abwechslungsreichen Programm. Doch was heißt hier schon gewohnt? Schließlich gab es seit der letzten Ausgabe aus wohlbekannten Gründen „die längste Pause in der Festivalgeschichte“, wie Fritz Schmücker bei der Begrüßung erwähnte. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum auf den Plakaten und anderen offiziellen Veröffentlichungen die Durchnummerierung nicht mehr erscheint, dafür aber der Hinweis „Seit 1979“, was die lange Festivaltradition tatsächlich viel besser aufzeigt.
Zur Tradition gehört spätestens seit dem Umzug ins Theater Münster 1997, dass man vergeblich nach den großen, bekannten Namen der US-amerikanischen Jazz-Szene sucht. Festivalleiter Schmücker betonte das noch einmal, als er sagte, dass es in Münster anders als bei vielen anderen Festivals nicht um „die Big Names“ geht, hier verberge sich „das Geheimnis im Who Is Who des unbekannten Jazz“.
Ganz so unbekannt waren einige der Interpreten des ersten Abends im Großen Haus aber nicht. Den Namen „HAL Trio“ gaben sich drei Musiker, die alle schon mindestens einmal beim Jazzfestival Münster aufgetreten sind. Bei der japanischen Pianistin Aki Takase (das „A“ in HAL) ist es schon recht lange her, während der niederländische Schlagzeuger Han Bennink (das „H“) und der französische Saxofonist Louis Sclavis (das „L“) auch im Theater Münster schon mehrfach mit unterschiedlichen Besetzungen aufgetreten sind. In dieser Kombination war es gestern aber eine Weltpremiere! Und was für eine: obwohl sie mit einer Altersspanne von 69 bis 80 Jahren bei weitem die ältesten Musiker dieser Festival-Ausgabe sind, spielten sie unglaublich frisch auf.
Das lag zu einem guten Teil an Han Bennink, der verwundert feststellte, dass er der älteste Musiker auf dem ganzen Festival ist: „Dabei bin ich beim Brötzmann-Trio immer der Jüngste.“ Seinen jungen Geist zeigte der Pionier des europäischen Free Jazz vor allem im ersten Teil des Auftritts mit einigen fast schon parodistischen Einlagen: kaum war er bei einem Drum-Solo für einige wenige Takte in den typischen Beat einer Rock-Band gewechselt, da bremste er sich (und das womöglich mitklatschbereite Publikum) im schönsten Niederländisch mit „Nee, Nee, Nee!“ und wechselte wieder in einen freieren Rhythmus. Oder als er das kleine musikalische Duell zwischen Schlagzeug und Piano mit Aki Takase damit beendete, dass er buchstäblich das Handtuch warf.
Schließlich bekannte Han Bennink sogar, dass er – anders als seine Mitstreiter – keine Noten lesen könne: „Die sind für mich nicht viel mehr als Fliegenschiss auf weißem Papier.“ Das hielt ihn aber nicht davon ab, Aki Takase und Louis Sclavis nicht nur frei, wild und witzig zu begleiten, sondern hin und wieder einfühlsam und geschmeidig. Die beiden zeigten einmal mehr, dass sie eine Klasse für sich sind. Wobei Louis Sclavis diesmal kein Saxofon dabei hatte, sondern ausschließlich Klarinetten. Besonders an der Bassklarinette zeigte er, wie vielfältig die Klangmöglichkeiten dieses Instruments sind: da wechselte er von tiefen Tönen, die an das Tuten eines Ozeandampfers erinnerten oder an ein Didgeridoo, hin zu immer höheren Klängen, bis sein Spiel fast nach dem Gesang eines Muezzins klang. Überhaupt waren beim HAL Trio immer wieder Anklänge an verschiedene Kulturkreise zu erahnen, die man aber kaum genau zuordnen konnte – so schimmerte also immer wieder das Konzept der „imaginären Folklore“ von Louis Sclavis hindurch.
Nur vermeintlich genauer ließen sich die folkloristischen Andeutungen beim folgenden Konzert von Ariel Bart zuordnen, die sich die selten im Jazz gespielte Mundharmonika als Instrument gewählt hat. Aber so einfach lässt sich auch die Israelin nicht auf eine bestimmte Musiktradition festlegen – schließlich betonte sie mit ihren Worten und mit den Titeln ihrer Stücke immer wieder, dass sie sich oft in einem „Dazwischen“ befindet. „In Between“ nannte sie folgerichtig 2021 ihr erstes Album, aus diesem und aus dem aktuellen Album „Documentaries“ spielte die 24-Jährige ihre Eigenkompositionen, begleitet von der ebenfalls aus Israel stammenden Talia Erdal am Cello und dem in Berlin lebenden Russen Arseny Rykov am Flügel.
Mal begannen die Stücke mit einer melancholischen Stimmung, mal mit einer besonders freundlichen, sehr zugänglichen. Sie entwickelten sich aber immer weiter und man staunte mitunter, wie intensiv die junge Fau sich zu ihrem eigenen Spiel bewegte. Dabei ließ sich immer wieder vergessen, dass sie eine Mundharmonika spielte, so vielfältig haben wohl die wenigsten dieses Instrument bisher erlebt. Dazu passten ihre Begleiter hervorragend: mal strich Talia Erdal ihr Cello ganz klassisch mit dem Bogen, mal zupfte sie es wie einen Jazz-Bass. Auch bei Arseny Rykov verschwammen die vermeintlichen Grenzen zwischen Jazz, Folklore und Klasik.
Eröffnet wurde der Konzertabend am ersten Tag des diesjährigen Jazzfestival Münster von der Engländerin Laura Jurd und ihrem Projekt „The Big Friendly Album“. Anders als auf dem gleichnamigen Album, das im September herauskam, spielte sie nicht ihr Kornett, sondern eine Trompete. Und sie begleitete sich und ihre Band gelegentlich am Piano – manchmal sogar mit beiden Instrumenten gleichzeitig. Begleitet wurde sie ansonsten von einer Besetzung, die an eine Rockband erinnerte (E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug) sowie von Danielle Price an der Tuba und Martin Lee Thompson am Euphonium. „Das große freundliche Wohlfühl-Projekt“ übersetzt es das Programmheft zum Festival ins Deutsche – wobei übersehen wurde, das die jungen Musiker aus England manche lieblich auftretende Melodie nach einer Weile gegen den Strich bürsten. Das wirkte allerdings auf der Bühne etwas deutlicher als auf dem Tonträger. Auch hier verschwammen Grenzen, aber es war gar nicht so klar, welche es sind: es war kein klassischer Jazz aber auch kein Pop oder Rock.
Besonders bejubelt wurde das abschließenden Konzert von Mario Rom’s Interzone. Dieses Trio aus Österreich bewies, dass keine Stars aus den USA erforderlich sind, um das Publikum beim Jazzfestival Münster mit einer Mischung aus Funk-Rhythmen, Balladen und klassischem Be Bop zu begeistern. Dazu noch die launigen Ansagen des Bassisten Lukas Kranzelbinder, der stets an Stelle des Trompeters Mario Rom spricht, der eigentlich der Chef der Band ist. Großartig auch, wie Schlagzeuger Herbert Pirker immer wieder die filigransten Techniken anwandte, ohne den treibenden Beat zu vernachlässigen. Am Ende hatte das Publikum die Wahl und wünschte sich statt eines sanften Schlaflieds als Zugabe einen weiteren Titel mit viel Wumms.
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