Nach 18 erfolgreichen Jahren übergibt Meinhard Zanger die Leitung des Wolfgang-Borchert-Theaters (WBT) an seine bisherige Stellvertreterin Tanja Weidner. Der scheidende Intendant trat am Dienstag dieser Woche gemeinsam mit seiner bereits länger für diese Aufgabe vorgesehenen Nachfolgerin vor die Presse. Meinhard Zanger sagte, er habe diese Bühne „mit großer Freude geleitet“. Demnächst werde er freiberuflich auch das WBT bei einzelnen Produktionen unterstützen.
Der Generationenwechsel betrifft auch weitere Positionen. Tanja Weidner wird ein deutlich verjüngtes Team von rund zwanzig fest angestellten Schauspielern, Technikern und Kreativen führen, welches ungewöhnlich viele Stücke in der kommenden Spielzeit neu ins Repertoire aufnehmen muss.
Meinhard Zanger hatte die Aufgabe als Intendant zu einer schwierigen Zeit übernommen. So wurde Anton Tschechows moderner Klassiker „Die Möwe“ damals vor nur sechs Zuschauern gespielt. In den darauf folgenden Jahren wurde die alte Spielstätte am Hafenweg mit ihren hundert Plätzen zu klein: Sie war fast immer ausverkauft. 2014 zog das WBT in den größeren Saal im Flechtheim-Speicher um.
WBT unter Intendant Zanger gut ausgelastet
In der laufenden Spielzeit besuchten bisher durchschnittlich 125 Zuschauer die Aufführungen, was eine Auslastung von gut 85 % bedeutet. Dazu kommen Vorstellungen in anderen Häusern und die Open Air Specials. Die hohe Zuschauer-Akzeptanz ist für das WBT so besonders wichtig, da nur etwas mehr als ein Drittel der Kosten durch öffentliche Zuschüsse getragen werden. Die vorhandene Lücke wird momentan durch Zuwendungen von der Egbert-Snoek-Stiftung (benannt nach dem Gründer der „Ratio“) geschlossen.
Neben den ökonomischen Erfolgen listete Zanger auch zahlreiche künstlerische Erfolge auf: 2012 wurde das WBT in einer Kritikerumfrage des renommierten Fachmagazins „Die Deutsche Bühne“ zum besten Off-Theater gewählt. Zweimal hat man bei den jährlich stattfindenden Hamburger Privattheatertagen den Monica-Bleibtreu-Preis erhalten. Ein sichtbares Merkmal für die erfolgreiche Auswahl der Stücke sei, dass sie sehr häufig und oft über mehrere Spielzeiten hinweg gespielt werden. Persönliche Highlights seien für ihn die Aufführungen im Gasometer oder im Hafen von Münster gewesen, wie Shakespeares „Der Sturm“.
Tanja Weidner verspricht „Tabula Rasa“
Tanja Weidner stellt die kommende Spielzeit unter das Motto „Tabula Rasa“. Damit greift sie – auch selbstironisch – die Veränderungen auf, die in unserer immer schriller werdenden Gesellschaft und im eigenen Theaterbetrieb bestehen. Obwohl sie bereits seit elf Jahren als Chefdramaturgin am WBT tätig sei, wolle sie jetzt und mit den Erfahrungen nach den pandemiebedingten Lockdowns die Publikumsansprache verändern. Sie sehe Möglichkeiten, trotz der schon bestehenden hohen Saalauslastung weitere Zuschauergruppen ansprechen zu können.
Sie wolle die bisherige „Arbeit auf den Prüfstand“ stellen und das Theater fit für die Zukunft machen. Trotz des finanziellen Drucks überlege sie, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden könnten. Hinter den Kulissen wachsen schon jetzt Dramaturgie, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zum gemeinsamen Bereich „Kommunikation“ zusammen. Bühnen- und Veranstaltungstechnik sowie Digitalität werden vereint.
Schon bei der Saisoneröffnung am 7. September 2024 könnten dann die VR-Brillen für die Zuschauer zum Einsatz kommen, über die das Theater verfügt. Dann inszeniert Tanja Weidner „Metafaust. Der Pakt mit der Zukunft“. Bei ihrer Überarbeitung von Goethes Faust ließ sie ChatGPT nicht nur bei der Titelwahl mitgestalten. Die Anregungen der Künstlichen Intelligenz sollen die Aufführung maßgeblich beeinflussen.
Viele Premieren in der nächsten Spielzeit
Von den bisher terminierten neun Premieren wird eine ein „Klassenzimmerstück“ und eine Foyer-Aufführung sein. Meinhard Zanger ist im kommenden Jahr an zwei WBT-Premieren beteiligt. Schon im Januar wird er eine Bühnenfassung von Thomas Hettches Bestseller „Herzfaden“ inszenieren, die er selbst verfasst hat. In dem Roman gelangt ein Kind nach dem Besuch einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine magische Tür in den Fundus, in dem die Marionetten aufbewahrt werden. Es schrumpft wie Alice im Wunderland und reist in die 1940er Jahre. Es beobachtet einerseits die Entstehung der Puppenkiste und sieht wie die Marionetten geschnitzt werden. Einander gegenübergestellt werden die Geschichte des Theaters und der abscheulich-grausame Alltag in der Diktatur samt Judenverfolgung und Deportation.
Heinrich Kleists „Der zerbrochne Krug“ ist ab dem kommenden Schuljahr in NRW wieder für die Abiturlektüre verpflichtend, das Lustspiel wird daher im April 2025 erneut Premiere im WBT feiern. Vor zehn Jahren spielte Meinhard Zanger schon einmal den Dorfrichter Adam. Konsequent rasierte er sich für die Rolle seinen Schädel. Weil er damit außerhalb des Theaters viele verstörte, wolle er diesmal aber eine Badekappe tragen.
Auch das Theater Münster wird im nächsten Jahr dieses Werk spielen. Anders als dabei kommt das städtische Fünfspartenhaus dem wesentlich kleineren Privattheater mit ihren Inszenierungen schon mal in die Quere. So war es aktuell bei einem Stück von Kae Tempest. Die nicht-binäre Person aus London wurde mit Rap und anderem Sprechgesang bekannt, trat mehrmals beim Haldern Pop Festival auf und schreibt inzwischen auch Romane und Theaterstücke.
Das WBT wollte ursprünglich das Stück „Wasted“ von Kae Tempest in der Übersetzung von Judith Holofernes („Wir sind Helden“) zeigen. Damit waren aber die Kollegen vom Theater Münster nicht einverstanden, weil sie wenige Monate zuvor die deutschsprachige Erstaufführung von „Paradise“, des neuesten Stücks von Tempest, auf die Bühne bringen. Nach dieser Intervention hat WBT auf die Aufführung dieses spannenden Stoffes verzichtet. Überhaupt scheint das Verhältnis des WBT zum Theater Münster belastet zu sein, insbesondere zu dessen neuen Leiterin Katharina Kost-Tolmein. Während Meinhard Zanger beim Pressetermin sein gutes Verhältnis zu ihren Vorgängern Wolfgang Quetes und Ulrich Peters beschrieb, erwähnte er ihren Namen nicht einmal.
Hinweis: in der ersten Version dieses Beitrags hatten wir noch geschrieben, dass das WBT das gleiche Stück wie das Theater Münster, also „Paradise“, aufführen wollte
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