Es ist wieder so weit. Eine weitere Gänsegeiernachzucht aus dem Allwetterzoo geht in die Auswilderung. „Es ist bereits das 14. Tier, das wir gemeinsam mit der Naturschutzorganisation Green Balkans auf die Auswilderung vorbereiten“, ist Senior-Kurator Marcel Alaze sehr glücklich über die langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Zoo und NGO.
Die Klima- und Artenschutzeinrichtung an Münsters Aasee ist schon seit vielen Jahren erfolgreicher Partner, wenn es um die Auswilderung von Geiern geht. Marcel Alaze freut sich, dass es dieses Projekt mit Green Balkans gibt. „Im Zoo geschlüpften Tiere in die Auswilderung zu überführen, das ist mit das Wichtigste, was wir als Zoo machen können – aber leider nur selten realisierbar ist“, sagt der Senior-Kurator des Allwetterzoos. So sei es aufgrund der Lebensraumzerstörung und des Klimawandels sowie den damit jeweils einhergehenden Herausforderungen für Lebewesen oftmals gar nicht so einfach zu realisieren, dass Tiere oder Pflanzen in ihrem ursprünglichen Lebensraum wieder angesiedelt werden können. „Umso mehr freuen wir uns, dass nun schon mehrere Gänsegeier aus Münster ihre Kreise über Bulgarien ziehen. Die ersten von ihnen haben auch schon erfolgreich ihre ersten Küken großgezogen“, freut sich Alaze über den Erfolg des Vorhabens.
Bereits 13 Vögel hat der Allwetterzoo seit 2011 erfolgreich an Auswilderungsprojekte abgegeben. Nummer 14 wird voraussichtlich im September die Reise von Münster in den Balkan antreten. Dafür wird er nach einem finalen medizinischen Checkup in eine große, für den Transport per Flugzeug geeignete Box gesetzt. Dann geht es mit einem Transporter von Münster zum Frankfurter Flughafen. Mit den notwendigen behördlichen Genehmigungen ausgestattet, reist das Tier von dort per Flieger via Sofia nach Stara Zagora in die Auswilderungsstation der Naturschutzorganisationen Green Balkans. Dort gewöhnt sich dann der Gänsegeier zunächst in einer Voliere an sein neues Umfeld.
So geschehen auch bei dem weiblichen Tier, dass im vergangenen Jahr vom Allwetterzoo in die Auswilderungsstation gebracht worden ist. Der Gänsegeier konnte mittlerweile nach erfolgreicher Überwinterung in der Voliere in Sliven (Naturpark „Sinite kamani“) in die Anpassungs- und Auswilderungsvoliere im Nationalpark Zentralbalkan gebracht werden. Nachdem sie dort 2 Monate in der Voliere verbracht hatte, wurde der weibliche Gänsegeier mittlerweile erfolgreich ausgewildert. „Wie üblich verließ der Vogel bei seinem ersten Flug das Gebiet, kehrte aber innerhalb weniger Stunden in die Voliere zurück“, so Simeon Marin, Fieldwork Coordinator bei Green Balkans. Außerdem suchte der Geier anfänglich die Stellen auf, auf denen das Team von Green Balkans bereitgestelltes Futter ausgelegt hatte. „Wir hoffen, dass trotz des starken Wanderinstinkts der Jungvögel, der Geier aus Münster sich der Gruppe von bereits 6 weiteren Gänsegeiern bei uns anschließen wird, die seit 2022 an diesem Ort ansässig sind“, ergänzt Marin. Aber egal wo der Vogel sich niederlässt, es wird immer eindeutig zu erkennen sein. Denn das Tier ist markiert (Transponder: 999 000 000 667 652) und zukünftig an einem blauen Flügelanhänger mit den gelben Buchstaben EH überall identifiziert werden.
Ob der Münsteraner Nachwuchs aus diesem Jahr neben der Markierung sogar mit einem Sender ausgestattet in die Natur entlassen wird, steht derweil noch nicht fest. Es gäbe aber auch noch andere Kontrollmöglichkeit für das Team von Green Balkan, um die Entwicklung der imposanten Vögel zu überprüfen. „Die Tiere werden auch weiterhin im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Projektes an einem Futterplatz versorgt“, erklärt der Senior-Kurator. „Die Geier werden immer eindeutig zu erkennen und zuzuordnen sein. Dafür ist die Markierung an den imposanten Schwingen angebracht, die die Tiere mit einer Spannweite von rund 260 Zentimeter in ihrem Fliegen und Agieren aber nicht behindern.“
Aber nicht nur der Allwetterzoo Münster und die NGO Green Balkans setzen sich erfolgreich für diese imposanten für die Ökosysteme enorm wichtigen Federträger ein. In Kooperation mit mehreren deutschen Nationalparks untersuchen unter anderem Forschende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) die Rolle von Aas in Deutschen Ökosystemen. Im Nationalpark Eifel bezeugten im Juni ungewöhnliche Gäste den Erfolg des Projekts, wie es in einer Pressemitteilung der bayrischen Universität heißt. Wildtierkadaver seien demnach ein Hotspot für die Artenvielfalt. In und an ihnen tummeln sich viele Organismen: von Bakterien über Pilze, Insekten, Säugetiere bis hin zu Vögeln wie dem Gänsegeier, einer in Mitteleuropa seit Jahrhunderten ausgestorbenen Art.
Letzteres bestätigte sich jüngst auf der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel. Wenige Stunden nach der gezielten Auslegung eines Wildunfall-Rehkadavers landeten dort am 6. Juni 2023 insgesamt 21 Gänsegeier, die von einer Kamerafalle eindrucksvoll dokumentiert wurden. Rehkadaver und Kamerafalle wurden im Zuge des ersten deutschlandweiten kadaverökologischen Großprojektes installiert. Projektbetreuer und Wildtierforscher Sönke Twietmeyer von der Nationalparkverwaltung Eifel konnte anhand der Beringung dreier Individuen Spanien und Frankreich als Herkunftsländer der Geier ausmachen. Die 21 Geier verspeisten das ausgelegte Reh innerhalb weniger Stunden bis auf wenige Knochen. Am folgenden Mittag verließen sie den Nationalpark wieder und flogen in südwestliche Richtung.
Das spektakuläre Ereignis demonstriert laut der Universität eindrucksvoll den Wert toter tierischer Biomasse auch für den Erhalt streng geschützter und sehr seltener Arten – wie etwa den Gänsegeier: „Ein erstaunlich geringer Aufwand – Auslegung eines ansonsten in gängiger Praxis schnell beseitigten Wildunfallkadavers unter Kamerafallenbeobachtung – kann selbst diese zunächst unerwarteten Arten in hoher Individuenzahl in unsere Schutzgebiete zurückführen“, erläutert Projektkoordinator Dr. Christian von Hoermann von der Universität Würzburg. Das Projektteam der Universität Würzburg ist begeistert über diese Reaktion auf das Projektaas: „Man sieht, die Natur ist bereit für mehr Prozessschutz, es liegt oft nur an uns“, so Projektleiter Professor Jörg Müller vom Lehrstuhl Zoologie III.
Ob es auch einmal Münsterländer Unikate in die Wildtierkameras der Uni Würzburg schaffen bleibt abzuwarten. Aber mit jedem weiteren im Allwetterzoo geschlüpften Tier erhöht sich die Chance. So wurde im Jahr 2015 das erste Geierjungtier von ausgewilderten Vögeln, auch aus Münster, aufgezogen und auch in den folgenden Jahren ging der Bruterfolg weiter. „Die Tiere legen bei der Nahrungssuche große Strecke zurück, wie das Beispiel aus der Eifel zeigt. Ganz unwahrscheinlich ist das also nicht“, sagt Marcel Alaze, der selbst in seiner Zeit beim Naturzoo Rheine mit dem dortigen Team vor vielen Jahren einmal einen wilden Gänsegeier aufgegriffen hat. „Das Tier war damals recht schwach. Wir haben es versorgt und dann wieder entlassen. Aber das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wo überall Gänsegeier anzutreffen sind – theoretisch.“
Das es nur eine von zwei Nachzuchten aus diesem Jahr in das Auswilderungsprojekt schafft hat einen konkreten Grund, wie Alaze erklärt: „Es ist immer auch wichtig, eine genetisch stabile Zoopopulation zu haben, aus der dann die Tiere in die Auswilderung gehen. Zu groß ist die Gefahr, dass durch illegale Jagd und Giftköder, die Folgen des Klimawandels oder Epidemien wie die Vogelgrippe eine Population im Ursprungsgebiet wegstirbt und wir dann vor dem Nichts stehen“, so der Kurator des Allwetterzoo Münster zu der getroffenen Entscheidung.
Seit März 2016 informiert der Allwetterzoo seine Besucher in einer interaktiven Ausstellung „Geier-Restaurant“ zum Thema Geier und Geierschutz. Die Auswilderung, der im Zoo geschlüpften Geier-Jungtiere in das Projekt in Bulgarien wird dort ebenso thematisiert wie die Artenschutzarbeit des ACCBs in Kambodscha (Angkor Centre for Conservation of Biodiversity), wo ein Geierrestaurant betrieben wird, das mittlerweile von zahlreichen Vögeln besucht wird.
Das Besondere an der Ausstellung ist die Nähe zu den im Allwetterzoo lebenden Mönchs- und Gänsegeiern sowie die ebenfalls dort lebenden Sekretär-Vögel. Diese kann der Besucher durch Fenster im Ausstellungsraum beobachten, da sie in einer Voliere direkt neben dem „Geier-Restaurant“ untergebracht sind.
Das Geier-Projekt in Bulgarien startete erstmals im Jahr 2010. Es wird in Zusammenarbeit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und der Stiftung zum Schutz der Geier gemeinsam mit den bulgarischen Naturschutzorganisationen Green Balkans und Fund for Wild Flora and Fauna organisiert und finanziert.
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