Aus der Feder einer Zeitreisenden Ute Lemper las am Dienstagabend in der Thalia-Buchhandlung aus ihrer Autobiografie

Ute Lemper liest aus ihrem Buch "Die Zeitreisende". (Foto: Thomas M. Weber)
Ute Lemper liest aus ihrem Buch „Die Zeitreisende“. (Foto: Thomas M. Weber)

Im Alter von 30 Jahren veröffentlichte Ute Lemper ihre erste Autobiografie namens „Unzensiert“. Zu ihrem 60. Geburtstag legte der Verlag ihr nahe, dass nun die Zeit für den zweiten Rückblick auf ihr Leben gekommen sei. In ihrem Buch „Die Zeitreisende“ nimmt sie uns mit in ihre Welt – und dazu gehören neben ihrer Heimat Münster auch Paris, London und New York.

Eine filigrane Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet, bewegt sich fast schüchtern wirkend auf die Bühne der Buchhandlung zu. Die optische Zartheit Ute Lempers lässt das Ausmaß ihres gewaltigen Lebens kaum erahnen. Ein Leben voller Abenteuer, Liebe, Hingabe und Schmerzen. In ihrem Buch „Die Zeitreisende“ schreibt Lemper: „Die Tastatur meines Lebensklaviers bedient sich aller 88 Tasten, die höchsten und die tiefsten Oktaven.“

Die Lesung in der Thalia-Buchhandlung war ausverkauft. (Foto: Thomas M. Weber)

In seinem Begrüßungswort freut sich Eberhard Isenbeck, Leiter der Thalia-Buchhandlung, über seine Möglichkeit, „so dicht neben einem Weltstar stehen zu dürfen.“ Aus dem großen, grünen Sessel ertönt protestierend: „Na, ich bin doch Münsteranerin!“ Lemper hat das etwa 150-köpfige Publikum bereits mit diesem ersten Satz gewonnen. Trotz ihrer weltweiten Theatererfolge und ihrer Prominenz zeigt sie sich authentisch und nahbar, Und genau das möchte sie mit ihrem Buch bewirken. „Ich möchte die Leser und Leserinnen reinlassen – in mich als Menschen. Klar ist mein Leben auch glamourös – und dafür musste ich hart arbeiten – aber die Frau, die dahinter steht, die kannte fast niemand. Ich kämpfe mit Dingen, mit denen Ihr alle kämpft.“

Und dazu zählt auch die Trauer. Bevor sie ihre Memoiren zur Hand nimmt, denkt sie laut an ihren Vater, welcher im März 2023 an einer schweren Covid-Erkrankung verstorben ist. Sichtlich ergriffen von dem schmerzhaften Verlust beginnt sie die Reise durch ihre Lebensgeschichte.

„Die Zeitreisende“ sei für Lemper Anlass gewesen, ihr erstes Buch nach drei Jahrzehnten noch einmal hervorzuholen und so mit der jüngeren Ute in Berührung zu kommen. Was die beiden verbinde, sei die authentische Art, „alles aus der Seele zu schreiben.“ Sie sei damals rebellisch gewesen, habe angeeckt mit ihrer Ehrlichkeit. „Beim Lesen habe ich die 30-jährige Ute gefühlt, aber heute bin ich gelassener. Ich habe Frieden und Stille gefunden.“

Ute Lemper erzählt mitreißend aus ihrem Leben. (Foto: Thomas M. Weber)

Nicht nur die Begegnung mit sich selbst sei eine spannende Herausforderung gewesen, sie habe sich zudem intensiv mit ihrer Muttersprache auseinandergesetzt. Die seit 25 Jahren in New York lebende Musikerin spreche im Alltag nur noch englisch und habe die Zeit des Schreibens genutzt, die deutsche Sprache neu zu erforschen. Sie habe ihre Gedanken – ganz ihrem Naturell entsprechend – intuitiv und frei in Worte gekleidet und sich dabei den Redewendungen der französischen und englischen Sprache bedient. Anmerkungen des Verlages, dass man das so nicht sage, seien an ihr abgeprallt: „Ich will es aber genau so sagen.“

Sie beginnt die Lesung mit dem ersten Kapitel des Buches, dem intimen Prolog, in dem sie beinahe philosophisch über die eigene Vergänglichkeit sinniert. Ihre zu Papier gebrachten Gedanken zeigen eine sensible und verletzliche Frau, die mit unzerstörbarem Mut in die Zukunft blickt.

Lemper mag älter geworden sein, doch spürt man, wie viel Energie und Leidenschaft sie für ihren Beruf in sich trägt. Statt ihren gedruckten Lebensweg einfach abzulesen, wechselt sie immer wieder zu lebhaften Erzählungen und schildert Situationen mit wedelnden Händen. Ihre Stimme erklingt leise, wenn sie vom hautnah miterlebten Anschlag des 11. Septembers spricht und wird kraftvoll und euphorisch, wenn es um ihren Job geht. Ihre Mimik und Gestik lassen keinen Zweifel zu, dass sie liebt, was sie tut.

Das Spektrum ihrer Gefühlswelt spiegelt sich in ihrem Buch wider. Fantastische Szenen aus dem turbulenten Showbusiness wechseln sich ab mit der historischen Dunkelheit des deutschen Volkes. Betrübt kommentiert sie ihren Text mit den Worten: „Sich damit zu beschäftigen, ist heute so wichtig… bei all dem Krieg und Antisemitismus… das löst wieder schlimme Gefühle aus.“

 Im Anschluss gab es noch einen Gruß für ALLES MÜNSTER. (Foto: Thomas M. Weber)
Im Anschluss gab es noch einen Gruß für ALLES MÜNSTER. (Foto: Thomas M. Weber)

Trotz ihrer langen Zeit in den USA fühle sie sich klar als Europäerin, als Deutsche. Einen amerikanischen Pass habe sie bis dato nicht – den wolle sie auch nicht. Und wie sehr sie eben doch „eine von uns“ ist, wird deutlich, als sie plötzlich ihre ehemalige Nachbarin im Publikum grüßt. Man habe sich damals in dem hellhörigen Gebäude am Pötterhoek von Badewanne zu Badewanne unterhalten können. Auch ihre ersten Gesangsdarbietungen seien durch das gesamte Haus gehallt – zum Ärgernis des Nachbarn, der regelmäßig samstags bei der Sportschau gestört wurde.

Gesangsunterricht erhielt sie durch eine Nonne in der Mädchenschule St. Mauritz. Münster habe sie geprägt, sagt sie, doch es sei ihr hier „zu klein“ gewesen. Als sie Münster nach ihrem Abitur verließ, sei es wie bei einem umgedrehten Magneten gewesen – sie habe plötzlich sehr weit weg gewollt. Erst nach vielen Jahren habe sich das wieder zu einer Anziehung gewandelt.

Zum Ende der gestrigen Lesung legt die Autorin ihren Text beiseite und erzählt frei von ihrem eindrucksvollen Telefonat mit Marlene Dietrich, die der damals 24-jährigen Lemper völlig überraschend ihr Herz ausschüttete. Mit der rauen, weisen Stimme einer 87-jährigen imitiert Lemper hierbei die Passagen der Dietrich und wagt mit dem Publikum die Zeitreise zurück in ihr Pariser Hotelzimmer. Zurück in die Perspektive einer ehrfürchtigen Ute, welche die umfassende Bedeutung dieses Augenblickes erst viele Jahre später würde greifen können. An diesem Abend im Jahre 1987 hatte Marlene Dietrich ihr einen Rat mit auf den Weg gegeben: „Ich solle meine private Person, mein Leben stets geheim halten.“ Zu unserem Glück hat sie sich anders entschieden.

Ute Lempers Autobiografie „Die Zeitreisende“ ist im Verlag Gräfe und Unzer erschienen (ISBN 978-3-8338-8917-2). Das Buch ist auf Deutsch erschienen, ihre offizielle Homepage www.utelemper.com wird ausschließlich auf Englisch geführt.

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