„Aus dem, was ich habe, hole ich das Beste raus!“ In der 3. Folge der Serie „Herzensangelegenheiten“ treffen wir den 18-jährigen Bahos Bary aus Münster

„Ich habe endlich die Sportart gefunden, die mir Spaß macht!“ (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

In der zweiten Staffel unserer Empowerment-Serie treten junge Erwachsene auf die Bühne, die täglich Barrieren überwinden. Sie verfolgen ihre Herzensangelegenheiten mit Mut, Konsequenz – und manchmal mit pfiffigen Alltagshilfen, deren Erfindung purer Segen ist. Fotografin Ingrid Hagenhenrich hat einen unvergleichlich liebevollen Blick auf die Menschen vor ihrer Kamera. Sie nimmt sich Zeit, jede Persönlichkeit auf eigene Art zu portraitieren. Iris Brandewiede gibt ihren Worten Raum. In der zweiten Folge treffen wir den 18-jährigen Bahos Bary aus Münster.

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Ich spiele seit sechs Jahren Rollstuhl-Basketball, und seit vier Jahren im Verein. Die Sportlehrerin in meiner früheren Schule hat mir den Tipp gegeben, ein Probetraining beim UBC zu machen. Das fand ich super! Ein paar Trainingseinheiten war ich dabei – und dann kam Corona. Da war erstmal eineinhalb Jahre kein Sport.

Sobald es möglich war, habe ich wieder angefangen. Seitdem habe ich es komplett durchgezogen. Ich habe endlich meine Sportart gefunden, die ich gut kann, und die mir Spaß macht. Die Jahre davor habe ich nicht gedacht, dass ich eine Sportart finde, die zu mir passt. Deshalb war ich total glücklich, dass sowas überhaupt möglich ist!

Ich glaube, ich hatte vorher nur Fußball im Kopf. Und das ist ein Sport für Leute, die keine Einschränkungen haben – so denken die meisten Menschen, glaube ich. Es gibt aber noch weitere Sportarten, die auch mit Einschränkung möglich sind, zum Beispiel Rollstuhlhockey. Ich selbst habe kein wirkliches Problem mit dem Wort „behindert“. Aber viele benutzen es als Schimpfwort oder um jemanden zu verletzen. Deshalb hört sich „Einschränkung“ für mich besser an.

„Ich bin total fokussiert auf das, was ich tue.“ (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Das ist eine coole Szene, weil ich da einen Korb geworfen hab. Ich habe eine andere Wurftechnik als meine Mitspieler im Verein. Ich werfe von unten, weil ich nicht so viel Kraft in den Armen habe. Meine Arme sind kurz, und mit meiner Technik gleiche ich das aus. Man sieht meine höchste Konzentration, ich bin total fokussiert auf das, was ich tue. Ich spiele in der ersten und in der zweiten Mannschaft des UBC. Meine Position ist meistens der „Flügel“. In der zweiten Mannschaft spiele ich oft in der Mitte, das nennt sich „Aufbau“. Am Korb sind die „Center“, das sind meist Mitspieler, die größer sind.

Rollstuhlbasketball nennt man auch oft Autoscooter, da wir in den Spielen oder im Training manchmal mit hohem Tempo gegeneinander fahren. Unsere Sportrollstühle haben im Unterschied zum normalen Rollstuhl keine Bremsen und keine Griffe zum Schieben. Die Räder sind viel schräger, was dazu führt, dass man viel wendiger ist. Solange man kein Foul begeht, ist man auch bei solchen Zusammenstößen im grünen Bereich. Fouls sind zum Beispiel, wenn man rückwärts, von der Seite oder einfach so in jemanden reinfährt, ohne vorher wenigstens ansatzweise zu stoppen. Aber die Sportrollstühle sind so ausgestattet, dass dabei kaum etwas passieren kann – so ähnlich wie beim Autoscooter.

Beim Rollstuhlbasketball haben die Spieler je nach Einschränkung eine bestimmte Punktzahl. Es kommen Klassifizierer ins Training, die schauen sich alle an und legen die Punkte fest, je nachdem wie gut sich jemand bewegen kann. Mannschaften im Rollstuhlbasketball sind oft inklusiv, das heißt Spieler mit und ohne Behinderung spielen zusammen. Die höchste Punktzahl, also für Nichtbehinderte, sind 4,5. Ich habe 2,5 Punkte, da ich klein und nicht so kräftig, aber im Rumpf stabil bin. Damit die Gegner gleich stark antreten, dürfen im Spiel auf dem Platz pro Mannschaft immer 14,5 Punkte sein.

Es gibt insgesamt fünf Ligen: Landesliga, Oberliga, Regionalliga, zweite und erste Bundesliga. Unsere Erste Mannschaft spielt in der Regionalliga, unsere Zweite Mannschaft in der Landesliga. Rollstuhlbasketball spielen nicht so viele. Etwa in jeder Großstadt gibt es eine Mannschaft. Wir müssen längere Strecken fahren, wenn wir Spieltage haben. Letztes Wochenende waren wir mit der Ersten Mannschaft in Hamburg. An Heimspieltagen in Münster kommen oft Verwandte und Freude, bei Auswärtsspielen sieht das anders aus. In Hamburg kamen aber tatsächlich zwei meiner Lehrerinnen zum Zuschauen, weil sie zufällig gerade dort Urlaub gemacht haben! Leider war die Hamburger Mannschaft so gut, dass wir beide Spiele verloren haben.

„Wenn ich in Münster unterwegs bin, dann mit dem Fahrrad!“ (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Gestern war ich sehr glücklich – ich war bei der Fahrschule. Die Mindestgröße, um einen Führerschein machen zu können, sind 1,50 Meter – ich bin genau einsfünfzig. Es hat funktioniert, den Sitz ganz nach vorn zu fahren, um an die Pedale zu kommen. Jetzt weiß ich: Ich kann ein normales Auto fahren, ohne Umbau. Mobilität bedeutet für mich, nicht mehr angewiesen zu sein auf andere. Nächsten Monat starte ich mit dem Automatikführerschein!

Mein Fahrrad hat mir die letzten Jahre viel ermöglicht. Es ist ein für mich angepasstes Ebike. Die Physiotherapeutin aus meiner alten Schule hat mich dabei unterstützt, es zu beantragen. Einen Teil hat die Krankenkasse übernommen, einen Teil hat meine Familie bezahlt. Das Fahrrad hat keine Stange, sodass ich direkt aufsteigen kann. Die Größe und das Lenkrad sind für mich angepasst. Damit bin ich total mobil. An allen Orten in und um Münster bin ich mit dem Fahrrad unterwegs, insgesamt schon über 2000 Kilometer. Meinen Rollstuhl benutze ich nur im Urlaub, wenn ich das Fahrrad nicht mitnehmen kann.

Auf dem Foto stehe ich auf einem Fußballfeld. Ich bin ein sehr großer Fußballfan und oft im Stadion von Borussia Dortmund. Wenn ich nicht im Stadion bin, gucken wir die Spiele mit der Familie. Meine Mutter kocht, und dann sitzen wir mit meinen Eltern, meinen Brüdern, meinen Schwägerinnen und der kleinen Nichte zusammen und gucken Fußball.

„Ich mache Physiotherapie, seit ich laufen kann“ (Foto: Ingrid Hagenhenrich)

Physiotherapie mache ich schon seit ich laufen kann – mindestens einmal die Woche. Das ist eine der wenigen Sachen, die bei meiner Einschränkung wirklich helfen. Als kleines Kind, so mit sechs, war ich eher faul und nicht so sportlich. Ganz ehrlich, ich hatte nie Bock auf Physio. Später in der Schule habe ich immer mehr verstanden, wie wichtig Physiotherapie für mich ist und dass es mir Stabilität gibt. Ich trainiere hauptsächlich die Beine. In den letzten Jahren wurde das immer intensiver. Mit der Zeit habe ich mich immer mehr darauf fokussiert, das Beste rauszuholen, aus dem was ich habe.

Mein Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, hat mich immer so behandelt wie jeden anderen Menschen. Deshalb habe ich auch nie das Gefühl gehabt, dass ich anders bin als andere. Ich finde, so sollte es sein. Es hilft nicht, wenn Menschen sagen: „Er tut mir besonders leid, denn er braucht besonders viel Unterstützung.“ Die meisten mit einer Erkrankung wollen kein Mitleid – sie wollen so viel wie möglich alleine schaffen.

Gerade wurde ich angenommen fürs Fachabi. Ich will mich weiterbilden, soweit es geht. Meine Ziele für die nächsten Jahre: Einen guten Abschluss machen, einen sicheren Job finden – und fit bleiben!

Alle Teile dieser Reihe gibt es hier: https://www.allesmuenster.de/tag/Herzensangelegenheiten

Mehr zu den UBC Rollis findet ihr unter https://www.ubc-rollis.de/
und auf Instagram unter @ubcrollis (https://www.instagram.com/ubcrollis/)

Inkluencer 
Raul Krauthausen (https://raul.de/): DER AKTIVIST für Barrierefreiheit und Wertschätzung von Diversität 
„Die Neue Norm“ (https://dieneuenorm.de/podcast/): ein Trio kluger Köpfe reflektiert aktuelles Gelingen und Scheitern von Inklusion 
Homepage von Ingrid Hagenhenrich: https://ingrid-hagenhenrich.com/
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