Nicht nur die Weltnaturschutzkonferenz in Montreal (7.-19. Dezember 2022) hat deutlich gemacht, dass es mehr als den Klimawandel gibt, dass deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Die biologische Vielfalt auf der Erde schwindet – eine Entwicklung, die dramatischer ist wie die Klimakrise. So befindet sich die Menschheit nach Meinung zahlreicher Experten derzeit mitten im 6. großen Massensterben der Erdgeschichte. Es bedarf also deutlich mehr Artenschutz. Doch was bedeutet Artenschutz eigentlich und wie kommt es, dass noch immer Arten entdeckt und neu beschrieben werden können? Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung im Artenschutz im Allwetterzoo Münster, gibt Antworten.
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Vorweg, was ist eigentlich eine Art?
Das ist tatsächlich gar nicht so klar definiert, denn es gibt verschiedene Artkonzepte und die stehen teilweise in Konkurrenz zueinander. Es gibt Konzepte, die sich rein auf genetische Linien beziehen und andere die auch die Morphologie (Lehre von der Struktur und Form der Organismen) miteinbeziehen. Das klassische Artkonzept besagt, dass sich Individuen einer Art untereinander fortpflanzen können. Biologen sind sich dennoch darin einig, dass die natürliche Art existiert. Alle anderen Klassifizierungen, wie Gattungen und Familien sind dem gegenüber aber vom Menschen gemacht und daher sehr variabel auslegbar.
Ist Artenschutz nicht immer auch Tierschutz? Da gibt es doch schon sehr viele Bemühungen?
Nein, so würde ich das nicht formulieren, denn oft genug stehen diese beiden Themen sogar im Konflikt zueinander. Im Endeffekt haben die beiden Themen ja unterschiedliche Zielgruppen: Der Artenschutz beschäftigt sich mit Arten, der Tierschutz mit Individuen. Und das mündet in eine unterschiedliche Herangehensweise. Auf Inseln heißt Artenschutz, dass die Individuen der eingeschleppten Arten entnommen werden. Und auch in der Tierhaltung gibt es solche Konflikte. Natürlich muss es unseren Tieren sehr gut gehen, aber wenn es zum Beispiel an Erhaltungszuchtprogramme geht, müssen manchmal Kompromisse gefunden werden. Zum Beispiel beim Platzangebot.
Gibt es hierfür Beispiele?
Ja, zum Beispiel der Umgang mit der Hauskatze. Nahezu jeder Besitzer einer Hauskatze hält es für Tierquälerei seine Katze im Haus zu halten. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die Hauskatzen in Deutschland Millionen von Wildtieren töten – jährlich. In einem Land wie Deutschland gefährden sie damit zwar keine Arten auf einem globalen Niveau, aber sie dezimieren die Populationen erheblich. Und wie groß der Aufschrei sein kann, konnte jeder in diesem Jahr sehen, als ein Landratsamt eine Ausgangsperre für Katzen verhängt hat, um die letzten regionalen Brutpaare der Haubenlerche zu schützen. Aber natürlich können Tier- und Artenschutz auch Hand in Hand miteinander funktionieren. In Kambodscha arbeiten wir vom Allwetterzoo zum Beispiel mit der Welttierschutzgesellschaft zusammen, um mit buddhistischen Mönchen als Multiplikatoren das Tierleid zu reduzieren.
Kennen wir überhaupt schon alle Arten?
Nein, wir sind sogar sehr weit davon entfernt alle Arten zu kennen. Die einzige Wirbeltiergruppe, die fast komplett bekannt ist, sind die Vögel. Aber bei den Fischen, Amphibien, Echsen und Schlangen werden jedes Jahr mehrere hundert neue Arten beschrieben. Selbst im gut erforschten Europa wurde vor kurzem eine neue Vipern-Art entdeckt. Insgesamt kennen wir wahrscheinlich nur rund 15% aller Arten.
Wie wird eine neue Art bestimmt?
Da gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Tiergruppen werden genetisch untersucht und einzelne Tiere können als neue Art erkannt werde. Wenn man aber Experte für eine Artengruppe ist, dann sind die Unterschiede oft so deutlich, dass ein Blick auf die Tiere reicht. So habe ich mit Kollegen neue Arten der Schönechsen schon an ihrer unterschiedlichen Färbung erkannt und als neu beschrieben.
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