Es war eine Uraufführung, die sie extra für diesen Tag eingeübt haben. 11 ganz in weiß gekleidete Tänzerinnen und Tänzer lösen sich aus einem scheinbar wirren Knäuel und beginnen zu tanzen, bewegen sich auf anmutige Art und Weise, aber auch ungewohnt im Kriechgang, hüpfend, liegend. Hans Henning Paar ist bekannt für seine schönen und eigenwilligen Choreographien. Und weil der Leiter des münsterschen Tanztheaters quasi ein Heimspiel hatte, durfte sein Ensemble den Abend nach drei Stunden auch mit einem Ausschnitt aus Sacre auch beenden. Gestern fand die Benefiz-Tanzgala zu Gunsten der Aids-Hilfe Münster statt.
Intendant Ulrich Peters begrüßt das Publikum gleich mit einem Scherz. Er, Peters, habe, als der Stress für Hans Henning Paar am größten gewesen sei, dem Choreographen einen Zettel hingelegt, den er mal eben unterschreiben soll. Nunmehr müsse – und Peters lacht – Hans Henning Paar noch weitere fünf Jahre bleiben. Dann heißt Peters den Schirmherrn, Oberbürgermeister Lewe, willkommen und findet vor lauter Freude über seinen gelungenen Scherz den Ausgang im Bühnenvorhang nicht. „Das ist doch ein gutes Zeichen, wenn der Intendant nicht von der Bühne kommt, “ kommentiert Lewe, der, wie viele andere, eine rote Ansteckschleife trägt.
Alle sind also gut gelaunt. Das können sie auch sein, denn immerhin ist das Benefizkonzert, in diesem Jahr zum vierten Mal, restlos ausverkauft. Sämtliche Einnahmen kommen der Aids-Hilfe Münster zu Gute. Christoph Rinke moderiert und der ist ein echter Hingucker. Er trägt einen hübschen schwarz-weißen Anzug und dazu extrem hochhackige Schuhe mit einem großen Union Jack. „Das ist übrigens nicht das Modell Brexit,“ erklärt er und setzt hinzu: „Ich dachte nur, ich mach mich mal schön.“ Und dann moderiert er das Staatsballett Berlin an.
Michael Banzhaf schlüpft in die Rolle von Johann Sebastian Bach mit weißer Perücke, Ballonseide und engen schwarzen Stiefeln. In der Hand hat er einen Bogen, mit dem üblicherweise Streichinstrumente gespielt werden. Seine Tanzpartnerin ist Giuliana Bottino und die nimmt jetzt den Platz des Instrumentes ein. Das machen die beiden so schön, dass es eine Freude ist. Man spürt förmlich das Roßhaar, das über Beine, Arme, Oberschenkel und Hals fährt. Die Bewegungen werden synchronisiert, Bottino streckt sich. Es scheint, als ob Bachs Musik aus dem Körper kommt und wieder in den Körper zurück fließt. Ein großes Lob auch an den Choreographen Nacho Duato.
Ein bisschen langatmig ist die Darbietung von Ute Pliestermann, die sich verheißungsvoll, zunächst ohne Musik, aus ihrem grauen Business-Look pellt. Aber vergeblich wartet man bei Musik von Edith Piaf auf tänzerische Überraschungen. Dafür gibt es so viel anderes, etwa aus Gelsenkirchen oder Dortmund. Hätte es einen „Applausometer“ gegeben, vermutlich hätte die Nadel bis zum Anschlag ausgeschlagen, als die Japanerin Haruka Sassa und der Kubaner Javier Cacheiro Aleman vom Ballett Dortmund die „Elegie aus dem Schwanensee“ tanzten. Auf Spitze im weißen Tüll, ja, damit kann man die Münsteraner verzaubern. Seit mehr als 120 Jahren schlägt Tschaikowskys Klassiker das Publikum in seinen Bann. Ballettdirektor Xin Peng Wan hat durch beeindruckende Tanzsprache dem Ballett die künstlerische Richtung gewiesen, die überregional große Beachtung findet. Wer es wagt, zu Richard Wagners schwerer, beladener Musik zu tanzen, muss schon extrem gut sein und eine ausgefeilte Choreographie oberndrein anbieten.
Noch einmal nutzt das Staatsballett Berlin die Bühne – Nadja Saidakova, die ebenfalls mit Michael Banzhaf tanzt. Auf einem Flügel liegt die Tänzerin. Banzhaf nutzt die Energie der Musik und läuft drei Runden um den Flügel und pflückt die Tänzerin im Anschluss von dem Instrument. Saidakova hat eine unglaubliche Elastizität, baut Brücken, dass man meinen könnte, sie bestünde nur aus Gummi. Die Metamorphose der Nibelungensaga wird durch außergewöhnliche Soli, Pas de deux und Corps-de-ballet-Szenen zu einem packenden Tanz-Erlebnis. Ein schöner, außergewöhnlicher Abend mit großartigen Künstlern.
Und manchmal denkt man vielleicht auch an den Grund der Tanzgala: Aids darf nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Wichtig ist aber auch ein unbeschwerter, normaler Umgang mit HIV-Infizierten.
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