„Für Christen nach wie vor unwählbar“ Studie der Universität Münster vergleicht schriftliche Positionen der AfD und der katholischen Soziallehre

Immer wieder stellen sich auch in Münster Menschen, wie hier auf einer Veranstaltung Anfang des Jahres auf dem Domplatz, gegen die AfD. (Archivbild: Michael Bührke)
Immer wieder stellen sich auch in Münster Menschen, wie hier auf einer Veranstaltung Anfang des Jahres auf dem Domplatz, gegen die AfD. (Archivbild: Michael Bührke)

Die Positionen der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und der katholischen Soziallehre sind in den letzten Jahren noch weiter auseinandergedriftet. Das belegt eine neue Studie, die Ende der Woche am Institut für Christliche Sozialwissenschaften (ICS) der Universität Münster erschienen ist. Grundlage der Untersuchung sind erstmals ausschließlich schriftliche, programmatische Eigendarstellungen der Partei, etwa in Wahlprogrammen, die die Studienautoren den inhaltlich passenden Texten der katholischen Soziallehre gegenüberstellt haben.

Diese Art von streng textbasierter Genauigkeit gab es bislang nicht. „Die Partei bleibt für Christinnen und Christen unwählbar“, bilanziert Institutsdirektorin und Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, die die Analyse mit dem Theologen Prof. Dr. Alexander Filipović von der Universität Wien und den Teams beider Institute erarbeitet hat. Bereits 2017 hatten die Wissenschaftler zahlreiche Aussagen, Reden und Positionen der AfD mit der katholischen Soziallehre verglichen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind online abrufbar.

Das Forscherteam analysierte neun Themenfelder, darunter die Migrations- und Familienpolitik, das Grundverständnis des Sozialstaats sowie Umwelt- und Klimapolitik. Diesen stellten sie die Aussagen der katholischen Soziallehre gegenüber. „Ziel der Studie ist es nicht, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben“, betont Alexander Filipović. Vielmehr möchten die Wissenschaftler aktuelles und fundiertes Material und Argumente für die Basis in den katholischen Gemeinden und Verbänden zur Verfügung stellen.

Die untersuchten Texte der AfD weisen ambivalente bis widersprüchliche Positionen auf. Sie bieten eine Mischung aus nationalistischen, sozial-interventionistischen und neoliberalen Forderungen: So fordert die Partei beispielsweise einerseits einen starken Staat, andererseits lehnt sie Maßnahmen des Sozialstaats in seiner jetzigen Form auf teils polemische Art und Weise ab. Das Ergebnis ist jedoch eindeutig. „Zwar unterstützt die katholische Kirche ebenfalls traditionelle Familienwerte, jedoch rekurriert sie dabei nicht auf ethnische Zugehörigkeit und legt zudem einen Fokus auf soziale Gerechtigkeit“, stellt die Theologin heraus.

Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Foto: Universität Münster / Peter Leßmann)
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Foto: Universität Münster / Peter Leßmann)

Die Gegenüberstellung wörtlicher Zitate offenbart die unterschiedlichen Positionen. Drei Beispiele:

Migrationspolitik

AfD

Seit 2015/2016 befinde sich die Bundesrepublik Deutschland im dauerhaften Zustand einer unregulierten, „illegalen, von kriminellen Schlepperbanden organisierten Masseneinwanderung“ (Europawahlprogramm 2024, S. 8). Das von der AfD angestrebte Grenzregime steht unter dem Vorzeichen der Errichtung der „Festung Europa“ (EWP 2024, S. 11). An den europäischen Außengrenzen sollen durch die europäische Grenzschutzbehörde FRONTEX push back-Operationen „von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen“ (EWP 2024, S. 15) durchgeführt werden (vgl. EWP 2024, S. 15).

Enzyklika Fratelli tutti, Papst Franziskus

„Sowohl in einigen populistischen politischen Regimen als auch in liberalen wirtschaftlichen Kreisen vertritt man die Ansicht, dass man die Ankunft von Migranten um jeden Preis vermeiden müsse. Gleichzeitig wird argumentiert, dass man die Hilfen für arme Länder beschränken soll, damit diese den Tiefstand erreichen und sich entschließen, Maßnahmen für effektive Einsparungen zu ergreifen. […] Viele flüchten vor Krieg, vor Verfolgungen und Naturkatastrophen. Andere sind mit vollem Recht auf der Suche nach Chancen für sich und ihre Familien.“ (2020)

Familienpolitik

AfD

Die AfD will der vermeintlichen „demografische[n] Katastrophe, in die wir geraten sind“ (Bundestagswahlprogramm 2021, S. 104) entgegenwirken. Grund: „Am Ende dieses Prozesses steht auch der Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme und letztlich unserer kulturellen Identität.“ (BWP 2021, S. 104). Deshalb will die AfD mit „aktivierenden familienpolitischen Maßnahmen und einer größeren Wertschätzung der Familienarbeit“ (BWP 2021, S. 105) gegensteuern und „über soziales Marketing […] für Familiengründungen und das Leitbild der 3-Kind-Familie“ (BWP 2021, S. 109) werben. Vergünstigungen sollen nur „Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gewährt werden sowie EU-Bürgern, die seit mindestens 20 Jahren in Deutschland leben“ (BWP 2021, S. 108).

Deutsche Bischofskonferenz

„Die Familie ist die wichtigste soziale Gemeinschaft des Dialogs, des Unterhalts, des gegenseitigen Beistands und des Zusammenlebens. Die Familie eröffnet Beteiligungschancen am gesellschaftlichen Leben. Sie bietet den ersten und weitreichendsten sozialen Schutz, ohne dessen soziale Bindekraft die Gesellschaft überfordert wäre. Familienpolitik ist deshalb als elementare Querschnittsaufgabe aller Politik anzuerkennen. Die Familie muss geschützt und gestärkt werden. Sie ist in die Lage zu versetzen, ihren unersetzlichen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Hierbei ist zu denken an finanzielle Leistungen, an Beitragsentlastungen, an Dienstleistungen und an rechtliche Sicherungen.“ (2013)

Klimawandel

AfD

„Es ist bis heute nicht nachgewiesen, dass der Mensch, insbesondere die Industrie, für den Wandel des Klimas maßgeblich verantwortlich ist. Die jüngste Erwärmung liegt im Bereich natürlicher Klima-
schwankungen, wie wir sie auch aus der vorindustriellen Vergangenheit kennen.“ (BWP 2021, S. 175)

„Laudate Deum“ (Papst Franziskus)

„Das Einhergehen [der] globalen Klimaphänomene mit dem beschleunigten Anstieg der Treibhausgasemissionen, insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts, lässt sich nicht verbergen. Eine überwältigende Mehrheit der Klimawissenschaftler vertritt diese Korrelation, und nur ein winziger Prozentsatz von ihnen versucht, diese Evidenz zu bestreiten.“ (LD 13, 2013)

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