
Genau genommen, feiern die Wilsberg-Fans in diesem Jahr ein doppeltes Jubiläum. Die erste Folge der Fernsehreihe wurde vor 30 Jahren ausgestrahlt. Der erste Roman, auf dem die erfolgreiche Krimireihe basiert, kam bereits vor 35 Jahren heraus. Beides trug den gleichen Titel „Und die Toten lässt man ruhen“. Kein Wunder, denn der erste Roman von Jürgen Kehrer aus dem Jahr 1990 lieferte die Vorlage für die erste Folge einer Reihe, die bis heute mit großem Erfolg im Fernsehen läuft. Seitdem waren Kehrers Romane und Drehbücher immer wieder die Grundlage für viele erfolgreiche Folgen.
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Herr Kehrer, der erste Wilsberg-Roman ist 1990 erschienen. Wie sind Sie damals auf die Figur des Georg Wilsberg gekommen?
Der Roman Wilsberg ist fünf Jahre vor der ersten Verfilmung entstanden. Ich hatte mir noch zu Zeiten des Stadtblatts überlegt, einen Kriminalroman zu schreiben und war im Zweifel, ob Münster dafür genügend Potenzial bietet, weil es so eine friedliche und ruhige, kultivierte Stadt ist. Ich habe dann verschiedene Überlegungen angestellt, aber das war irgendwie nicht so das Richtige. Irgendwann habe ich mich selbst davon überzeugt, dass ich die Geschichte doch in Münster ansiedeln sollte. Ich muss dazu sagen, dass es damals diese Regionalkrimis noch nicht so gab, heutzutage sind, glaube ich, 95 Prozent aller Krimis irgendwie regional verortet. Ich wollte keinen Polizeikrimi schreiben, weil ich dann den Anspruch gehabt hätte, dass es auch ein bisschen realistisch zugehen müsste. Polizeiarbeit besteht aber im Wesentlichen aus Kleinkram und viel Büroarbeit. Da dachte ich – weil ich ein Liebhaber dieser amerikanischen Privatdetektivfiguren wie Philip Marlowe war – Ich könnte einen Privatdetektiv nehmen, da habe ich auch mehr Freiheiten. Der darf mal das Gesetz übertreten, wenn es der Wahrheitsfindung dient.

Der zweite Gedanke war, dass man in Münster jetzt nicht so einen hart gesottenen Privatdetektiv ansiedeln kann, wie beispielsweise in Los Angeles, New York oder so. Das heißt, ich wollte einen Privatdetektiv, der auch zu Münster passt und eben kein harter Whisky trinkender Typ ist, sondern einer, der vielleicht ein bisschen an seinem Job zweifelt und deswegen noch ein Ladengeschäft hat, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Einer, der seine Fälle eher mit Verstand löst und nicht mit Fäusten oder Pistolen. So ist der Wilsberg entstanden, der ja eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hat, was das Alter angeht und ein bisschen den Werdegang. Er ist zum Studieren nach Münster gekommen, das bin ich auch, dann ist er in Münster hängen geblieben, weil es so gemütlich ist, wie ich auch. Das sind aber jetzt schon die wesentlichen Übereinstimmungen, er ist natürlich sehr viel mutiger als ich. Ich würde mich nicht in solche Abenteuer stürzen, er ist in dieser Hinsicht weniger sicherheitsorientiert als ich. Und er ist viel unordentlicher als ich, im Gegensatz zu ihm bin ich Ordnungsfanatiker.
Und woher kommt der Name? Es gibt ja tatsächlich einen Ort, der so heißt…
Ja, es gibt auch Menschen, die so heißen. Das verrate ich nicht, das ist ein kleines Geheimnis. [lacht]
Sie haben in Münster studiert und waren 14 Jahre lang erst bei dem Magazin „Knipperdolling“ und danach beim „Stadtblatt“.
Genau, das war noch ein Jahr Knipperdolling, dann haben wir zusammen mit dem damaligen Ultimo, das war etwas anderes als das heutige Ultimo, das Stadtblatt gegründet. Die Ultimos hatten Werbeanzeigen, mit denen wir im Knipperdolling noch nicht gesegnet waren. Wir wollten kommerzieller werden und auch ein bisschen Geld verdienen, um Stellen zu schaffen, deswegen brachte Ultimo den kommerziellen Erfolg mit und wir die redaktionelle Erfahrung, Kontakte und so weiter.
Das Stadtblatt war ja nicht unbedingt bei der Obrigkeit beliebt, oder? Gab es nicht sogar Polizeidurchsuchungen?
Ich glaube einmal, da war ich aber nicht da, da wurde irgendein Foto gesucht, meine ich. Im Prinzip hatten wir aber ein ganz entspanntes Verhältnis zumindest zu den Behörden. Natürlich waren wir schon wesentlich kritischer als die Westfälischen Nachrichten, aber es haben eigentlich alle auch mit uns gesprochen. Wir waren, glaube ich, eher den Westfälischen Naschrichten ein Dorn im Auge, weil wir uns natürlich öfter mal mit denen um irgendwelche Sachen gerauft haben. Also unsere härtesten Kritiker waren eigentlich andere, wir wurden mal mehrere Tage von einer radikalen Tierschützer-Gruppe besetzt! Die fanden unsere Gastronomie-Kolumne so schrecklich und haben unsere Wände bemalt, das war noch härter als die Polizeidurchsuchung!
Georg Wilsberg hat ja diese Hassliebe zum Westfälischen, Konservativen und der Selbstgefälligkeit, die man den Münsteranern gerne unterstellt. Ist Wilsberg in seinem Herzen vielleicht auch ein bisschen ein Revoluzzer-Typ?
Ja, das sehe ich schon so. Er ist natürlich im Laufe der Jahre konservativer geworden, hat aber schon viel Sympathien für Menschen, die was ändern wollen, die aufbegehren, die andere Vorstellungen vom Zusammenleben haben. Das hat er durchaus und das hat er sich bewahrt. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass er in seiner Jugend- und Studentenzeit schon mal an Demonstration teilgenommen hat. Doch, doch, das ist durchaus der Fall. Das liegt natürlich auch daran, dass er kein Ur-Münsteraner ist, er hat immer noch diesen kritischen Blick auf Münster, den die Ur-Münsteraner nicht haben. Die halten ihre Stadt für die schönste der Welt und das ist manchmal ein Punkt, der Veränderungen verhindert.
1990 ist der erste Wilsberg-Roman erschienen. War das eigentlich Ihr erstes Buch?
Das erste was veröffentlicht wurde. Ich habe vorher schon mal ein Buch geschrieben, das wollte aber kein Verlag haben, deswegen zähle ich das nicht mit. Nein, das war das erste Buch, das veröffentlicht wurde und es war auch kein Bestseller, aber es war für den kleinen Grafit-Verlag dennoch ein Erfolg. Es hat sich schon gut verkauft, das heißt, dass sie weitere Bände wollten. Ich hatte das nicht als langfristiges Projekt geplant. Ich wollte einmal einen Krimi veröffentlichen und als es dann ganz gut lief, habe ich natürlich weiter gemacht. Und dann kam ein paar Jahre später, ich glaube es war 1994, das ZDF, was ein bisschen überraschend den Roman verfilmen wollte. Wir waren natürlich sehr glücklich drüber, also der Verlag und ich, da wir beide was davon hatten.
Wissen Sie, wie der Roman den Weg zum ZDF gefunden hat?
Ja, das weiß ich. [lacht] Der zuständige ZDF-Redakteur Martin Neumann, der inzwischen im Ruhestand ist, Wilsberg aber eigentlich die ganze Zeit bis vor zwei Jahren betreut hat, stammt aus Bielefeld. Es hat sich ja rumgesprochen, dass deswegen immer Bielefeld in den Filmen erwähnt wird. Es gibt eine Gruppe von Männern, die in Bielefeld Abitur gemacht haben und die sich noch immer regelmäßig treffen und befreundet sind. Einer von denen ist nach Münster gezogen und hier als Mediziner tätig. Als Martin Neumann dann neue Stoffe suchte, weil er damals auch neu beim ZDF war, hat ihm dieser Freund aus Münster ein Buch von mir geschenkt. Das fand er dann offenbar so gut, dass er das im Sender vorgeschlagen hat. So lief das nicht über eine Produktionsfirma, was der normale Weg ist, sondern umgekehrt. Vom Sender kam der Wunsch, das zu machen, und es musste dann nur noch eine Produktionsfirma gefunden werden. Das wollten natürlich alle übernehmen, es hat dann eine recht kleine Produktionsfirma in Köln gemacht, Cologne Filmproduktion.
Wie war das, als dann 1995 die erste Ausstrahlung kam. Haben Sie da eine Party geschmissen?
Ich kann mich ehrlich gesagt gar nicht erinnern. Ich weiß aber, dass ich zwei, drei Mal bei den Dreharbeiten in Münster war, das fand ich natürlich spannend. Damals hat ja Joachim Król mitgespielt, also im ersten Wilsberg, und das fand ich schon aufregend und toll. Interessanterweise fand ich auch Joachim Król gut, obwohl er ein ganz anderer Typ ist als Leonard Lansink. Ich finde, dass beide passen. Sie haben natürlich unterschiedlich gespielt, aber diesen Typ Wilsberg, der ein etwas dröger, lakonischer und eben ironischer Mensch ist, den konnten beide, deswegen kann ich gar nicht sagen, welcher mir besser gefiel. Also, Leonard Lansink gefällt mir heute besser, weil er dabei geblieben ist! [lacht] Król hatte schon nach einem Film keine Lust mehr, das war natürlich nicht so schön.
Wie fanden Sie die Verfilmung, als sie fertig war?
Das fand ich toll! Die erste Verfilmung war auch tatsächlich nah am Roman, ich war schon begeistert zu sehen, dass sich so viele Menschen Gedanken machen und umsetzen, was ich mir ausgedacht habe. Das ist ein fantastisches Erlebnis.
Die erste Verfilmung war noch dicht an ihrem Roman, aber die nächsten waren es schon nicht mehr mit den Figuren, die dazu gedichtet wurden und die es bis heute gibt.
Dass es auseinander lief, begann tatsächlich nach dem ersten Film. Schon mit dem zweiten Film wurde aus dem Kommissar, den es im ersten Film gab, eine Kommissarin und so weiter. Auch die Erzählweise änderte sich, der erste Film war fast ausschließlich aus der Perspektive von Wilsberg erzählt, das entspricht der Ich-Perspektive im Roman. Aber es ist sehr schwer, eine Filmreihe zu machen, bei der immer nur eine Person im Mittelpunkt steht. Von daher war es einfach auch aus dramaturgischen Gründen sinnvoll, mehrere Perspektiven einzuführen und mehrere Handlungsstränge einzubauen.
Sie haben die Romanreihe beendet, aber Sie schreiben noch immer Drehbücher für die Reihe, zum Teil zusammen mit Ihrer Frau. Die letzte Verfilmung ist noch gar nicht so lange her, das war die Folge „Blut geleckt“ im letzten Herbst.
Ja, die habe ich zusammen mit meiner Frau geschrieben, es ist auch wirklich eine schöne Geschichte, die gut umgesetzt wurde. Es waren alle zufrieden, sowohl mit der Quote wie auch mit den Kritiken, die allesamt sehr positiv waren, uns selber hat es ebenfalls viel Spaß gemacht. Ein bisschen steckt ja auch unser eigenes Leben drin. Am Anfang gibt es eine große Buch-Premiere mit Signieren und solchen Sachen, also das, was wir auch kennen. Das Lustige an der Sache ist das Reißerische, das die Lektorin reinbringt, eine satirische Zuspitzung der Leute, die es in unserer Branche tatsächlich gibt.
Bleiben Sie Ihrem Detektiv Georg Wilsberg damit auch treu, indem Sie weiter Drehbücher schreiben?
Also ich bin ja jetzt im Rentenalter. Ich plane nicht mehr so langfristig, ich arbeite weiterhin, ich gehe nicht nur in den Park, um Tauben zu füttern, sondern arbeite schon noch. Im Moment schreibe ich ein Sachbuch, keinen Roman, da geht es um eine deutsche Arktis-Expedition im Jahre 1912, also etwas ganz anderes. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich kein Drehbuch mehr schreibe. Es kommt auf die Angebote an und darauf, ob ich Lust habe oder nicht.
Wenn man Sie bitten würde, das letzte Wilsberg-Drehbuch zu schreiben, wie könnte diese Geschichte aussehen?
Da habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken drüber gemacht, weil mich auch noch niemand gefragt hat. Es kann natürlich morgen sein, dass es zu Ende ist, das hängt von vielen Faktoren ab. Leonard Lansink hat ja immer gesagt, dass es 100 Folgen werden sollen, zuletzt habe ich irgendwo gelesen, dass er gesagt hat, dass 111 auch eine schöne Zahl sei [lacht]. Ich glaube, er will das Ende so lange wie möglich hinauszögern, wofür ich ja auch bin, ich verdiene schließlich noch immer dran. Trotzdem würde es mich schon reizen, die letzte Folge zu schreiben. Eine konkrete Geschichte habe ich mir noch nicht überlegt, aber das wäre, glaube ich, nicht so schwierig, ich habe ja den Roman-Wilsberg auch schon in Rente geschickt. Schimanski ist zum Abschied mit einem Drachenflieger über Duisburg geflogen. Das können wir wohl nicht machen, ich schätze, das macht Leonard Lansink nicht mit. Aber da würde ich mir schon was einfallen lassen, da bin ich mir sicher.
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