Bundes- und teilweise europaweit wurde monatelang für die antifeministische Veranstaltung geworben. Gekommen waren zum 1000-Kreuze-Marsch am Samstag jedoch keine 1000 Menschen, sondern lediglich etwa 50, darunter nur wenige aus Münster. Deutlich größer fiel der Gegenprotest aus.
Veranstalter Wolfgang Hering, der aus München angereist war, und seine Anhänger*innen haben das erklärte Ziel, Schwangerschaftsabbrüche gänzlich zu verbieten. Dazu organisieren sie jedes Jahr in Münster den sogenannten 1000-Kreuze-Marsch. Dahinter steht der Verein “EuroProLife”. Die Zahl 1000 basiert auf der falschen Annahme, dass es in Deutschland täglich 1000 Schwangerschaftsabbrüche gibt. Wie bei einem Kreuzzug bewaffnen sich die Teilnehmer*innen der Demonstration mit weißen Holzkreuzen und versuchen, Schwangerschaftsabbrüche mit Tod in Verbindung zu bringen. Das zieht sich durch die gesamte Veranstaltung. So ist die Hauptattraktion ein großes Bild von der christlichen Maria, die wie ein Sarg getragen wird. Hinzu kommen Kindersärge, die in Kinderwägen durch die Stadt geschoben werden.
Anders sieht es im bunten Gegenprotest aus. Dort überstieg die Teilnehmer*innenzahl 1000 bei weitem. Zwischenzeitlich war der Ludgerikreisel von Demonstrant*innen mit Prideflags und Plakaten wie “My body, my choice” umringt. Organisiert wurde der feministische Protest vom “Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster”, einem breiten Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien. Beide Veranstaltungen verliefen parallel, ohne direkt aufeinander zu treffen. Trotzdem gab es am Rande des 1000-Kreuze-Marsches immer wieder einzelne kleinere Gegenproteste und Interventionen durch Anwohner*innen, sodass der Marsch ununterbrochen mit Gegenmeinungen konfrontiert wurde. Aktivist*innen unterbrachen zudem mehrfach den Demonstrationszug durch Sitzblockaden, die durch die Polizei unter Einsatz von körperlicher Gewalt beendet wurden.
Hohe Polizeipräsenz
Wie jedes Jahr ist auch die Polizei mit vielen Kräften vor Ort, um den Marsch durch die Stadt zu bekommen. Dabei übertraf die Anzahl der Polizeikräfte die Teilnehmer*innen des 1000-Kreuze-Marsches deutlich. Ein bizarrer Moment ergab sich zu Beginn der Demo, als unser Autor noch vor Beginn der Kundgebung den Servatiiplatz, den Startpunkt der fundamentalistischen Demonstration, zum Brötchen holen verließ. Die Polizeisperre weigerte sich beim Rückweg, den Autoren wieder auf den Platz zu lassen. Offenbar aus der Befürchtung, er vertrete eine andere Meinung als die Fundamentalist*innen. Trotz mehrfacher Erklärung, dass eine Demonstration öffentlich ist und selbstverständlich auch für alle zugänglich sein muss, weigerten sich die Beamt*innen, den Durchgang zu ermöglichen. Auch die direkten Vorgesetzten unterstützten das offenbar rechtswidrige Zugangsverbot. Erst, nachdem die Pressestelle der Polizei darüber informiert wurde, konnte unser Autor zurück auf den Servatiiplatz geleitet werden. Statt einer Entschuldigung schwiegen die Beamt*innen, die zuvor den Zugang verwehrten, mit hochrotem Kopf.
Was wäre auch ein Journalismus, der solche Veranstaltungen ausschließlich von Journalist*innen einordnen lässt, die nicht vor Ort waren oder im Sinne einer Hofberichterstattung versuchen, die Versammlung in ein positives Licht zu rücken. So geschieht es leider immer wieder durch die Bloggerin Felizitas Küble. In ihrem Blog verharmlost die Münsteranerin, die bundesweit als Aktivistin in der fundamentalistischen Szene bekannt ist, den Marsch als einfachen Gebetszug und schweigt über die Verbindung der Fundamentalist*innen zur extremen Rechten.
Begegnungsstätte des Fundamentalismus und Faschismus
In den vergangenen Jahren zog der Marsch in Münster vor allem durch die Teilnahme rechtsextremer Akteur*innen die Aufmerksamkeit auf sich. Unter dem Titel “Die Kreuze haben einen Haken” hat das Protest- und Recherchekollektiv “Busters” veröffentlicht, wer in den vergangen Jahren dort mitgelaufen ist. Neben reaktionären Fundamentalisten, zu denen zum Beispiel der Pfarrer Anton Behrens gehört, der Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, “als neues Ausschwitz” bezeichnet, finden sich auch immer wieder Rechtsextreme bei den Märschen.
Natürlich zieht die Verharmlosung des Holocaust solche Personen auch geradezu an. Dazu gehören neben Burschenschaftern auch immer wieder Funktionäre der Jungen Alternative und der AfD. Dabei handelt es sich keinesfalls um einfache Mitläufer, sondern regelmäßig um tragende Figuren des Protests. So durfte der holocaustverharmlosende Pfarrer zum Schluss einen Segen sprechen. JA-Funktionäre hingegen trugen in der Vergangenheit die Hauptattraktion, also den “Sarg” mit einem Bild der christlichen Maria, auf ihren Schultern.
“Family, Tradition, Property” und eine verbale Auseinandersetzung nach der Demo
Studenten der Männergruppe “Tradition, Family, Property” (TFP), die die junge Generation der Szene repräsentieren, kamen kostümiert in rotem Gewand zur Veranstaltung. Die internationale Gruppe besucht diese und ähnliche Veranstaltungen bundesweit und hat jedes Mal einen eigenen Block in den Demonstrationen. Einige Mitglieder sind zudem in Burschenschaften aktiv. Die TFP-Studenten tragen neben Kameraequipment für ihren Social Media-Aktivismus wie die meisten Fundamentalist*innen bei der Veranstaltung einen Rosenkranz, also eine Gebetskette mit Kreuz. Einer der gestern in Münster anwesenden Studenten wurde in Köln dabei beobachtet, wie er damit nach einer Person schlug. Das Verständnis von christlicher Nächstenliebe unterscheidet sich innerhalb des Christentums offenbar stark. So ist vermutlich auch der Zusatz “Property” in dessen Namen zu erklären. Die Gruppe glaubt, dass Privateigentum gottgegeben ist und spricht damit wohl vor allem wohlhabende Männer an. Ihr Ziel dabei ist auch, progressive Bestrebungen innerhalb der katholischen Kirche zu schwächen und zurück zu einem altertümlichen Christentum zu finden.
Zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen linken Gegendemonstrant*innen und der Gruppe der TFP-Studenten kam es am Abend in der Innenstadt. Die Männergruppe rief lautstark und aggressiv im Sprechchor “Smile, you survived abortion!” neben den Arkaden, bis sich eine verwunderte Menschentraube bildete.
Fundamentalismus in anderen Städten
Die geringe Teilnehmer*innenzahl in Münster lässt die Aktivist*innen aus dem Gegenprotest zwar aufatmen, allerdings sollte das nicht über die Stärke der Bewegung hinwegtäuschen. Der stetige Rechtsruck hat auch seine Auswirkungen auf den christlichen Fundamentalismus, sodass sich deren Einfluss stetig verbreitert. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Reaktionären bis tief in die CDU hinein Einfluss haben. Die “Christdemokraten für das Leben” beispielsweise sind auf allen Ebenen der Partei aktiv und aus der antifeministischen Szene nicht wegzudenken.
Dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland noch immer grundsätzlich eine Straftat darstellen und sie nur als Ausnahmeregel ungestraft bleiben, hat seinen Grund genau an dieser Stelle. Wie solche Proteste auch aussehen können, zeigt beispielsweise Köln, wo bereits zum zweiten Mal ein riesiger fundamentalistischer Marsch versuchte, durch die Stadt zu ziehen und nur durch Sitzblockaden aufgehalten wurde.
Ob bei Gehsteigbelästigungen, dem 1000-Kreuze-Marsch oder bei bundesweiten Aktionen: Wer sich einmal einen Überblick über die Szene verschafft, wird schnell verstehen, wie viel politischer Einfluss und damit einher, wie viel Geld dahintersteckt. Auch wenn in Münster der Gegenprotest ein Vielfaches des Zuspruchs in der Gesellschaft hat, wird die Gefahr für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung durch den Fundamentalismus häufig unterschätzt und die Verbindung zur extremen Rechten bleibt häufig unerwähnt.